Klas|si|zịs|mus 〈m.; -; unz.; Bez. für〉 zwei europäische Kunstrichtungen, im 16./17. Jh. in der Baukunst, von Palladio ausgehend, u. 1770-1830 in Baukunst, Plastik, Malerei u. Kunstgewerbe (Neu- od. Neoklassizismus), die sich die klaren, strengen Formen des klass. Altertums zum Vorbild nahmen [→ klassisch]
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Klas|si|zịs|mus, der; -, …men:
1. <o. Pl.> Stilform, die im Anschluss an antike, besonders römische Vorbilder Klarheit u. Strenge der Gliederung, Geradlinigkeit u. die Gesetzmäßigkeit der Verhältnisse betont.
2. klassizistisches Stilmerkmal.
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Klassizịsmus
der, -,
1) Kunst: Stilbegriff zur Bezeichnung von wiederkehrenden Kunstströmungen, die sich bewusst auf antike, meist griechische Vorbilder berufen. In der Architektur lassen sich klassizistische Richtungen seit dem 16. Jahrhundert in Frankreich (Classicisme), England und den Niederlanden (Palladianismus) nachweisen, die um 1770 zum vorherrschenden Stil in der europäischen und amerikanischen Kunst wurden. Klassizistische Tendenzen, oft nur schwer abgrenzbar vom Historismus und meist als Neoklassizismus bezeichnet, finden sich um 1870, im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts und wieder in der postmodernen Architektur seit 1970.
Klassizismus im Besonderen ist die Stilepoche zwischen 1750 und 1830, der die Stile Biedermeier, Directoire, Empire und Louis-seize untergeordnet sind. Die einsetzende wissenschaftliche Erforschung der antiken Kunst und Architektur bildete die Grundlage für die Rezeption antiker Vorbilder in allen Bereichen der Kunst. Anstöße gaben u. a. die frühen Ausgrabungen von Herculaneum und Pompeji und die Schriften des Grafen Caylus (»Recueil d'antiquités. ..«, 7 Bände, 1752-57) und v. a. J. J. Winckelmanns (»Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst«, 3 Teile, 1755; »Geschichte der Kunst des Altertums«, 2 Teile, 1764), ferner die architekturtheoretischen Werke von M.-A. Laugier (»Essai sur l'architecture«, 1753, 1755 erweitert) und J.-F. Blondel (»L'architecture française«, 4 Bände, 1752-56).
Seine deutlichste Ausprägung erfuhr der Klassizismus in Architektur und Stadtplanung fürstlicher Residenzen des aufgeklärten Absolutismus. Bezeichnend sind blockartige, streng gegliederte Bauformationen mit vorgesetzten Säulenordnungen. Zur Frühphase gehören das Petit Trianon (1764-68) in Versailles von J.-A. Gabriel, in England die Landsitze von W. Chambers und den Brüdern Adam, in Deutschland das Schloss Wörlitz bei Dessau (1769-73) von F. W. von Erdmannsdorff, das Brandenburger Tor (1788-91) in Berlin von C. G. Langhans und der Entwurf eines Denkmals für Friedrich dem Großen (1796) von F. Gilly. Im Kirchenbau sind Sainte-Geneviève (heute Panthéon) in Paris, 1764-90 nach Plänen von J.-G. Soufflot, und die Abteikirche Sankt Blasien im Schwarzwald von P. M. d'Ixnard (1770-83) zu nennen. Als vorbildliche Stadtanlage entstand in Deutschland im letzten Jahrhundertviertel das neue Kassel (mit Museum Fridericianum, 1769-76 von S. L. Du Ry); in Frankreich entwarf C.-N. Ledoux die Salinenstadt Chaux (Revolutionsarchitektur). Die noch stärker antiken Vorbildern verpflichtete zweite Phase des Klassizismus setzte um 1800 mit einer Anzahl bedeutender städtebaulicher Projekte ein. In London führte J. Nash, in München L. von Klenze, in Karlsruhe F. Weinbrenner, in Sankt Petersburg A. D. Sacharow, in Washington (D. C.) P. C. L'Enfant größere Stadterweiterungen mit jeweils einheitlich gestalteten Bebauungen aus. Griechischer Tempel und Tempelfassaden dienten als Vorbilder für den Umbau der Kirche Sainte-Madeleine in Paris (1806-42) von P. Vignon, die Neue Wache (1816-18) und das Alte Museum (1822-30) in Berlin von K. F. Schinkel, das Britische Museum (1823-47) in London von R. Smirke sowie das Custom House in Boston, Massachusetts, (1804) von J. B. Young. J.-F.-T. Chalgrin ließ sich beim Plan des Arc de Triomphe in Paris (1806 begonnen) besonders von der hellenistischen Architektur inspirieren. Die Entwürfe von P. F. L. Fontaine und C. Percier waren bestimmend für das Empire. Ab 1820 lassen sich aufgrund der Übernahme von Formelementen der italienischen Renaissance erste historistische Tendenzen erkennen, die den Klassizismus nur schwer gegen die Neurenaissance abgrenzen lassen. Der Nachweis der Polychromie griechischer Tempel durch J. I. Hittorf führte zu einer verstärkten Farbigkeit in der Architektur, die besonders durch verschiedenfarbige Materialien erreicht wurde und dem Stil eine romantische Note gab. Die wichtigsten Vertreter dieser Zeit sind G. Semper in Dresden, F. von Gärtner in München, C. F. Harsdorff und die Brüder H. C. und T. Hansen in Kopenhagen, Athen und Wien, G. Laves in Hannover und C. R. Cockerell in England.
In der Plastik lässt sich für Frankreich seit dem mittleren 18. Jahrhundert in den Werken von E. Bouchardon, M.-A. Slodtz und G. Coustou der Jüngere eine Abkehr von der durch G. L. Bernini eingeleiteten barocken Tradition beobachten. Einen Höhepunkt bilden im letzten Viertel des Jahrhunderts die unpathetischen, an griechischen Statuen geschulten Werke J.-A. Houdons. Aus der Schule von A. Canova ging der Däne B. Thorvaldsen hervor. In England folgte auf J. Nollekens und T. Banks J. Flaxman als bedeutendster englischer Vertreter der klassizistischen Bildhauerkunst, der sich in Deutschland J. H. Dannecker, G. Schadow und C. D. Rauch, in Schweden J. T. Sergel, in den USA H. Greenough und in Russland I. P. Martos verschrieben.
Für die Malerei des Klassizismus bedeutet das Deckengemälde »Parnaß« (1761) von A. R. Mengs in der Villa Albani in Rom den programmatischen Anfang, an den u. a. seine Schüler H. F. Füger und Angelica Kauffmann anknüpften. J. P. Hackert und v. a. J. A. Koch traten mit heroischen Landschaften hervor. A. J. Carstens orientierte sich bei seinen Umrisszeichnungen an antiken Vasenbildern. Gestaltungsprinzipien einer scharfen Linienführung und klaren Farbgebung wurden in Frankreich in den Gemälden von J.-L. David und J. A. D. Ingres weiterentwickelt; das Historienbild galt als wichtigste Gattung. In England fand G. Hamilton, ein wichtiger Wegbereiter des Klassizismus, keine ebenbürtige Nachfolge. Die Werke des dort lebenden Schweizers J. H. Füssli und W. Blakes wurzeln der Form nach im Klassizismus, stehen inhaltlich mit ihrer Tendenz zum Irrationalen jedoch in Widerspruch zu ihm. Die strengen Umrisszeichnungen Flaxmans fanden in ganz Europa Anerkennung.
D. Dolgner: Die Architektur des K. in Dtl. (Dresden 1971);
The age of Neoclassicism, Ausst.-Kat. (London 1972);
O. Hederer: K. (1976);
H. von Einem: Dt. Malerei des K. u. der Romantik: 1760-1840 (1978);
B. Hardtwig: Nach-Barock u. K. (1978);
H. J. Wörner: Architektur des Früh-K. in Süd-Dtl. (1979);
Ideal u. Wirklichkeit in der bildenden Kunst im späten 18. Jh., hg. v. H. Beck u. a. (1984);
G. Lammel: Dt. Malerei des K. (ebd. 1986);
K. Lankheit: Revolution u. Restauration (Neuausg. 1988);
Skulptur aus dem Louvre. 89 Werke des frz. K. 1770-1830, bearb. v. J.-R. Gaborit, Ausst.-Kat. (1989);
K., bearb. v. D. Dolgner (1991);
W. Nitsche: Das Schaffen der hochklassizist. dt. Bildhauer. Akademismus, Romerlebnis, Innovation u. Antikerezeption (1992).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Barockarchitektur: Klassizistische Tendenzen
Klassizismus: Die Architektur - Musentempel und Revolutionsaltäre
Klassizismus: Malerei und Bildhauerei - »Edle Einfalt, stille Größe«
2) Literatur: Der Klassizismus als bewusst postulierte normative Orientierung an den poetologischen und dichterischen Werken der Klassik wurzelt in dem sich v. a. die Form- und Stilmittel der Antike zum Vorbild nehmenden Renaissancehumanismus. Regelhaftigkeit und Gesetzmäßigkeit sollten eine kunstgerechte Poesie ermöglichen (M. G. Vida, J. C. Scaliger).
In Italien schrieb 1515 G. Trissino mit »Sofonisbe« (erschienen 1524) die erste Tragödie nach dem Vorbild des klassischen Dramas (Einhaltung der drei Einheiten). L. Castelvetro übersetzte die Poetik des Aristoteles (1570) und machte somit auf breiter Ebene die wichtigste theoretische Quelle zugänglich. Einen zweiten Höhepunkt erreichte der italienische Klassizismus um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert mit den Tragödien, Oden und Hymnen von V. Monti sowie dessen Übertragung der »Ilias« (1810).
In Frankreich sind im 16. Jahrhundert klassizistische Tendenzen im Sinne einer bewussten Anlehnung an antike Formen z. B. in der Dichterschule der Pléiade zu beobachten. Der (wenn auch erst spät geprägte) Epochenbegriff »classicisme« wird v. a. mit Bezug auf die französische Literatur des 17. Jahrhunderts (im engeren Sinn seit 1660) verwendet, soweit sie Regelhaftigkeit auf der Grundlage der antiken Poetik in ihr ästhetisches Programm einbezog (P. Corneille, J. Racine). Auch die Literatur der Französischen Revolution bis in die Zeit des Empire (A.-M. Chénier) ist klassizistisch geprägt.
Ähnliche Bewegungen vollzogen sich in Deutschland, wo im 17. Jahrhundert M. Opitz nach französischen, niederländischen und italienischen Vorbildern eine schulmäßige Zusammenstellung der vermeintlich auf die Autorität der Antike zurückgehenden Normen für die Herstellung kunstgerechter Poesie verfasste. Es gehörte zu der klassizistischen Überzeugung von der Gültigkeit und Anwendbarkeit eines Kanons von Mustern und Regeln, dass die Poesie für lehrbar und erlernbar gehalten wurde; der Klassizismus trug so besonders durch Opitz, im 18. Jahrhundert durch J. C. Gottsched zur Säuberung, Straffung und Disziplinierung der Dichtung deutscher Sprache bei und schuf die Voraussetzungen für klassisch-schöpferische Epochen. Gottsched griff dabei v. a. auf die französische klassizistische Dichtung und deren Auffassung von der aristotelischen Poetik zurück. Aus G. E. Lessings Polemik gegen Gottsched erwuchsen die Fundamente für Sturm und Drang und Weimarer Klassik. An diese anknüpfend, entwickelte sich im 19. Jahrhundert ein das Formale und Ästhetische bewusst betonender epigonaler Klassizismus, so z. B. bei A. von Platen und dem Münchner Dichterkreis, im 20. Jahrhundert v. a. bei S. George und dem Neuklassizismus.
Auch in England enwickelten sich eine an der Antike orientierte Ästhetik und literarische Praxis, zunächst z. B. bei B. Jonson und J. Dryden. Die Literatur des sich auf das »goldene Zeitalter« Roms besinnenden »Augustan Age« (spätes 17. Jahrhundert bis etwa 1760) spiegelt in ihrer Ausrichtung auf klaren Stil, gewählten Ausdruck und Regelhaftigkeit sowie in ihrem Bemühen um moralisch bessernde Wirkung die gesellschaftliche Entwicklung, die, unter dem Einfluss eines rationalistischen Welt- und Menschenbildes, geprägt war vom Streben nach einem harmonischen Gesellschaftsgefüge. Hauptvertreter des englischen Klassizismus war A. Pope, in dessen Werk Lehrgedicht und Satire dominieren und der Homer übersetzte. Er und J. Gay verfassten daneben rokokohaft verspielte Versepen. S. Johnson schrieb Verssatiren, verfasste das normstiftende englische Wörterbuch und, ebenso wie schon J. Addison und R. Steele, moralisch belehrende Essays, deren Stil als vorbildlich galt. J. Swifts satirische Prosa wird, ungeachtet der Schärfe ihres Witzes und ihrer eher pessimistischen Weltsicht, ebenfalls der klassizistischen Literatur zugerechnet. J. Thomsons Versgedicht »The seasons« (1726-30, endgültige Fassung 1746) weist trotz seiner dem Klassizismus verpflichteten poetischen Diktion auf die Romantik voraus.
In Russland setzte der aufklärerische Klassizismus, von französischen und deutschen Vorbildern ausgehend, in den 40er-Jahren des 18. Jahrhunderts als erste Epoche der neurussischen Literatur ein (A. Cantemir, M. W. Lomonossow, A. P. Sumarokow, G. R. Derschawin, D. I. Fonwisin).
F. Ernst: Der K. in Italien, Frankreich u. Dtl. (1924);
A. Heussler: Klassik u. K. in der dt. Lit. (Bern 1952, Nachdr. Nendeln 1970);
G. Stratmann: Engl. Aristokratie u. klassizist. Dichtung (1965);
D. Schenk: Studien zur anakreont. Ode in der russ. Lit. des K. u. der Empfindsamkeit (1972);
3) .In der Musik wird der Begriff Klassizismus in seinem auf Klassik rückbezüglichen Sinn auf Kompositionen des 19. Jahrhunderts angewandt, die sich betont an ältere Vorbilder anlehnen. Das gilt z. B. für Instrumentalwerke von F. Mendelssohn Bartholdy und J. Brahms, in denen Formprinzipien der Wiener Klassik aufgegriffen werden, oder für Chorwerke des Caecilianismus, die sich an der »klassischen« Vokalpolyphonie G. P. Palestrinas orientieren. Im 20. Jahrhundert, besonders im dritten und vierten Jahrzehnt, beziehen einige Komponisten ausdrücklich Stilmittel, Gattungsmerkmale oder ganze Werkteile älterer Stilepochen aus einer antiromantischen Haltung heraus in ihre Kompositionen ein (F. Busoni, P. Hindemith, v. a. I. Strawinsky). Neoklassizismus
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Klas|si|zịs|mus, der; -, ... men: 1. <o. Pl.> Stilform, die im Anschluss an antike, besonders römische Vorbilder Klarheit u. Strenge der Gliederung, Geradlinigkeit u. die Gesetzmäßigkeit der Verhältnisse betont: Ist der K. noch immer historisierend, so versucht die Revolutionsarchitektur ... (Bild. Kunst III, 30). 2. klassizistisches Stilmerkmal.
Universal-Lexikon. 2012.