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Corneille
Corneille
 
[kɔr'nɛj],
 
 1) ursprünglich Cornelis Guillaume van Beverloo, niederländischer Maler, * Lüttich 3. 7. 1922; studierte in Amsterdam, war 1948 Mitbegründer der Gruppe Cobra, lebt seit 1950 in Paris. Seine abstrahierenden, stark farbigen Bilder besitzen ein Ordnungsschema, das an zellulare Strukturen erinnert.
 
 2) Pierre, französischer Dramatiker, * Rouen 6. 6. 1606, ✝ Paris 1. 10. 1684, Bruder von 3); wurde in einem Jesuitenkolleg erzogen und studierte Rechtswissenschaften, übte den Anwaltsberuf jedoch selten aus. Sein dramatisches Werk stand zunächst noch unter dem Einfluss des Barockdramas (Intrigen- und Verwechslungskomödien mit vielsträngiger, komplizierter Handlung und theatralischen Effekten, die auch das Unwahrscheinliche und Übernatürliche einbeziehen).
 
Der große Erfolg Corneilles als Bühnenautor setzte mit »Le Cid« (1637; deutsch »Der Cid«) ein, einer Tragikomödie nach spanischer Vorlage (Guillén de Castro), in der mit der Verdichtung der dramatischen Handlung die Grundzüge des klassischen französischen Dramas deutlich werden. Charakteristisch für das Drama Corneilles ist die Entwicklung des dramatischen Konflikts aus den einander widerstreitenden Geboten von Ehre (verbunden mit Standespflichten und Staatstreue) und Leidenschaft, der im Sinne der Pflicht entschieden wird.
 
Die Aufführung des »Cid« löste einen literarischen Streit aus (»La querelle du Cid«); auf Anregung Richelieus verfasste die Académie française ein Gutachten, in dem ästhetische und moralische Einwände erhoben wurden. Die ästhetischen Einwände betrafen die Verletzung der drei Einheiten des Ortes, der Zeit und der Handlung (so wird z. B. der Schauplatz auf eine ganze Stadt ausgedehnt). Der moralische Einwand bezog sich auf den Verstoß gegen die Schicklichkeit (»bienséance«).
 
In den folgenden Tragödien bemühte sich Corneille um eine den Regeln gemäße Darstellung. In »Horace« (nach Titus Livius, 1641; deutsch »Horatius«) stellt sich der Protagonist rückhaltlos in den Dienst des Staates, in »Cinna« (nach Seneca, 1643; deutsch) geht das Moment individueller Freiheit im monarchistischen Prinzip auf, in »Polyeucte« (1643; deutsch »Polyeukt«), einem Märtyrerdrama, wird der Anspruch irdischer Liebe der göttlichen Berufung geopfert. Mit »Le menteur« (1644; deutsch »Der Lügner«) schuf Corneille die erste französische Charakterkomödie.
 
In den späteren Dramen konnte Corneille an die früheren Erfolge nicht mehr anknüpfen. 1670 unterlag seine im Wettstreit mit Racine verfasste Tragödie »Tite et Bérénice« der »Bérénice« Racines und damit einem Werk von neuartigem, verinnerlichtem dramatischem Stil.
 
1660 veranstaltete Corneille eine Ausgabe seiner Bühnenstücke, die er nach den inzwischen verbindlichen klassizistischen Sprachregeln überarbeitet hatte; ferner veröffentlichte er die »Trois discours«, in denen er, in flexiblerer Handhabung der antiken und humanistischen Poetik, seine dichtungstheoretischen Prinzipien darlegte (»Discours de l'utilité des parties du poème dramatique«, »Discours de la tragédie«, »Discours des trois unités«, alle 1660).
 
Corneille gilt als erster Vollender des klassischen französischen Dramas, das in der Ausschaltung alles Nebensächlichen eine äußerste Konzentration und Bewusstheit des dramatischen Ablaufs gewinnt. Die Handlung wird nicht (wie im antiken Drama) durch ein unabwendbares Schicksal (also nicht metaphysisch) bestimmt, sondern aus innerer Notwendigkeit entwickelt. Wesentlich ist die Haltung, die die in einem dichten Beziehungsgefüge zueinander stehenden Figuren in einer dramatischen Situation einnehmen; diese wird Anlass zur Austragung eines inneren Konflikts. Den heroischen, einer Willensethik verpflichteten Gestalten entsprechen die (häufig der römischen Geschichte entnommenen) Stoffe; auch ist der Einfluss der Bühnendichtung Senecas sowie des Stoizismus spürbar, jedoch bewegen sich die Dramen in der Regel (so im Verständnis des Ehrbegriffs) in den gesellschaftlichen Normen des 17. Jahrhunderts. Die Diskussion über die Standesethik (z. B. im »Cid«) spiegelt die Zeit der Fronde wider, in der ein absolutistisches Regime die Vorrechte des Adels infrage stellte, sowie die charakteristische Verknüpfung von privater (und ständischer) und politischer Sphäre, aber auch die schließliche Unterordnung unter die absolute Macht des Königtums.
 
Weitere Werke: Komödien: Mélite ou les fausses lettres (1629); La galerie du palais ou l'amie rivale (1634); L'illusion comique (1636); La place royale (1637); Don Sanche d'Aragon (1650).
 
Tragödien: Médée (1635); La mort de Pompée (1643); Rodogune (1647; deutsch); Héraclius (1647); Nicomède (1651); Pertharite (1652); Sertorius (1662); Attila (1667); Suréna (1674).
 
Übersetzung: L'imitation de Jésus-Christ (1670; nach der Imitatio Christi des Thomas a Kempis).
 
Ausgaben: Œuvres, herausgegeben von M. C. Marty-Laveaux, 12 Bände (1862-68); Œuvres complètes, herausgegeben von G. Couton, 3 Bände (Neuausgabe (1980-87, Band 1 Nachdruck 1996).
 
Literatur:
 
V. Klemperer: P. C. (1933);
 R. Schneider: C.s Ethos in der Ära Ludwigs XIV. (Neuausg. 1948);
 A. Stegmann: L'héroisme cornélien, genèse et signification, 2 Bde. (Paris 1968);
 H. Verhoeff: Les comédies de C. (ebd. 1979);
 H. Verhoeff: Les grandes tragédies de C. (ebd. 1982);
 A. Ritter: Bibliogr. zu P. C. Von 1958 bis 1983 (1983);
 G. Couton: C. et la tragédie politique (Paris 1984);
 G. Poirier: C. et la vertu de prudence (Genf 1984);
 J. Scherer: Le théâtre de C. (Paris 1984).
 
 3) Thomas, französischer Dramatiker, * Rouen 20. 8. 1625, ✝ Les Andelys (bei Rouen) 8. 10. 1709, Bruder von 2); verfasste zahlreiche Tragödien, Komödien und (für J.-B. Lully) Opernlibretti im klassischen Stil, die, ohne eigenständig zu sein, dem Publikumsgeschmack entgegenkamen. Als Mitglied der Académie française schrieb er im Geist der klassizistischen Sprachregelung »Notes sur les remarques de Vaugelas« (1687) und einen »Dictionnaire des termes d'art et de sciences« (1694) als Ergänzung zum Wörterbuch der Académie.
 
Weitere Werke: Dramen: Timocrate (1656); Bérénice (1657); Le comte d'Essex (1678; deutsch Der Graf von Essex).

Universal-Lexikon. 2012.