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Anatomie
Lehre vom Körper

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Ana|to|mie [anato'mi:], die; -:
a) Lehre, Wissenschaft von Form und Aufbau des Körpers:
Anatomie studieren.
b) Aufbau, Struktur des Körpers:
die Anatomie des menschlichen Körpers.

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Ana|to|mie 〈f. 19
1. Wissenschaft vom Körperbau der Pflanzen, Tiere u. des Menschen
2. wissenschaftl. Institut für anatom. Studien
3. 〈i. w. S.〉 Strukturbestimmung
4. 〈salopp〉 anziehende Körperformen
[zu grch. anatemnein „zerschneiden“]

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Ana|to|mie , die; -, -n [spätlat. anatomia < griech. anatomi̓a, zu: anatémnein = aufschneiden; sezieren]:
1. <o. Pl.>
a) Wissenschaft vom Bau des [menschlichen] Körpers u. seiner Organe:
systematische A.;
b) Aufbau, Struktur des [menschlichen] Körpers:
die A. des Menschen, der Hauskatze;
die weibliche, männliche A.
2. anatomisches Institut:
eine Leiche an die A. geben.
3. Lehrbuch der Anatomie (1).

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Anatomie
 
[zu griechisch anatome̅́ »das Zerschneiden«] die, -, die Wissenschaft vom Bau der Lebewesen, die aus der Untersuchung der Struktur des Körpers, der Organe, Gewebe, Zellen und Organellen ihr Zusammenspiel und ihre Funktion erschließt. Man unterscheidet die »normale« von der pathologischen Anatomie, die sich mit dem Studium krankhafter Veränderungen des Körpers beschäftigt. Die Anatomie wird untergliedert in makroskopische Anatomie, das Betrachten und Beschreiben der Organe, und mikroskopische Anatomie, deren mikroskopische, auch elektronenmikroskopische Untersuchung. Man unterscheidet außerdem zwischen der Anatomie der Pflanzen (Phytotomie) und der Anatomie der Tiere (Zootomie); ein Teil der Zootomie ist die Anatomie des Menschen. Das Ziel anatomischer Forschung ist das Erkennen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Bauplänen (vergleichende Anatomie) und den Funktionssystemen (systematische Anatomie, klinische Anatomie) sowie der Lagebeziehungen der Organe (topographische Anatomie) als räuml.Voraussetzung bei der Planung chirurgischer Eingriffe (angewandte Anatomie). Die ursprünglichen Teilgebiete der Anatomie, nämlich die Lehre von der Entwicklung des Organismus und der Organe (Embryologie), die Gewebelehre (Histologie) sowie die Zellenlehre (Zytologie) und deren Spezialfächer Histochemie, Immunhistochemie und Ultrastrukturforschung haben sich zu selbstständigen Forschungsgebieten entwickelt. Die Anatomie ist eine der Grundlagen der modernen Medizin (Pflichtfach der vorklinischen ärztlichen Berufsausbildung).
 
Anatomie des Menschen:
 
Die klassische beschreibende (deskriptive) Anatomie gliedert sich den verschiedenen Funktionssystemen entsprechend in folgende Teilbereiche: 1) Anatomie des Bewegungsapparats mit der Gelenklehre (Arthrologie), Bänderlehre (Syndesmologie) und Muskellehre (Myologie), 2) Anatomie der inneren Organe (Splanchnologie) einschließlich der Lehre von den Gefäßen (Angiologie), vom Blut (Hämatologie) als Teil des Herz-Kreislauf-Systems, vom Verdauungstrakt und von den Atemorganen (Gastropulmonalsystem), von den Harn- und Geschlechtsorganen (Urogenitalsystem) und von den innersekretorischen Drüsen (Endokrinologie), und 3) die Nervenlehre (Neurologie) mit den Unterbereichen zentrales, peripheres und autonomes Nervensystem, Sinnesorgane (Ästhesiologie) und Haut (Integument) mit deren Anhangsorganen. Die Anatomie des Menschen hat eine eigene Nomenklatur entwickelt, die in der vom 6. Internationalen Anatomenkongress (Paris, 1955) verabschiedeten Fassung als Pariser Nomenklatur (Pariser Nomina anatomica, Abkürzung P. N. A.) allgemein verbindlich ist.
 
Durch fachübergreifende Methodiken und thematische Verbindungen zu Nachbardisziplinen bildeten sich aus der klassischen Anatomie neue wissenschaftliche Fächer mit neuen Fragestellungen heraus: Im Zusammenhang mit der Entwicklungsgeschichte, der Genetik und der Molekularbiologie entstand die Entwicklungsbiologie. Aus der Embryologie und der Endokrinologie sowie der Physiologie, Biochemie und Anatomie der Fortpflanzungsorgane entwickelte sich das Gebiet der Reproduktionsbiologie. Aus Neuroanatomie, Neurophysiologie und Biochemie entstand die Neurobiologie und aus Zellenlehre, Biochemie und Biophysik die Zellbiologie.
 
Die anatomischen Institute sind universitäre Lehr- und Forschungsstätten. Als Ausbildungseinrichtungen für angehende Ärzte müssen sie über Hörsäle, Präparier-, Mikroskopier- und Demonstrationsräume verfügen. Das Arbeiten am menschlichen Leichnam erfordert hygienische Einrichtungen. Die meist durch ein testamentarisches Vermächtnis zur Verfügung stehenden Leichname werden durch Konservierung für lange Zeit unveränderlich gehalten. In anatomischen Sammlungen werden speziell präparierte Teile des menschlichen Organismus zu Studien- und Lehrzwecken aufbewahrt. Dem Unterricht dienen zahlreiche weitere Hilfsmittel wie Wandkarten, Modelle, audiovisuelle Lehrmittel, Video-Einrichtungen, Lehrfilme u. a. Zu den Instituten gehören Labors für Histologie, Elektronenmikroskopie, Biochemie, Gewebezüchtung, Intravital- und Fluoreszenzmikroskopie, gegebenenfalls auch Röntgeneinrichtungen, Computerterminals für Rechenanlagen und Bibliotheken. Weiterhin sind im Allgemeinen Versuchstierställe, Operationsräume, Fotoateliers mit angeschlossenen Illustrationszentren angegliedert.
 
Die Anatomische Gesellschaft, gegründet 1886 in Berlin als übernationale Gesellschaft (hervorgegangen aus der Anatomisch-Physiologischen Sektion der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte e. V.), dient der Förderung der Anatomie. Ihr Publikationsorgan ist seit 1886 der »Anatomische Anzeiger« (Annals of Anatomy), der für die Anatomen zusammen mit den Verhandlungsbänden (Tagungsberichten) herausgegeben wird.
 
Geschichte:
 
Während in Asien bereits in frühgeschichtlicher Zeit eine hoch entwickelte Heilkunde ohne eigentlichen Anatomiekenntnisse bestand, entwickelten im klassischen Griechenland Empedokles, später Hippokrates und Aristoteles durch Tierzergliederungen (der Sektion menschlicher Leichname standen noch bis zum Mittelalter oft religiöse Ansichten entgegen) Ansätze zu einer empirischen Anatomie. In Alexandria nahmen Herophilus (um 300 v. Chr.) und Erasistratos Sektionen Verstorbener vor. Ihren Höhepunkt erlebte die Anatomie des Altertums unter dem aus Pergamon gebürtigen Leibarzt Marc Aurels, Galen, dessen teils richtige, teils falsche, aus Tiersektionen abgeleiteten anatomischen Vorstellungen für die arabische und mittelalterliche abendländische Medizin maßgebend wurden.
 
Im Jahre 1238 ordnete der Stauferkaiser Friedrich II. im Zuge der Entwicklung der italienischen Universitäten für Sizilien regelmäßige Obduktionen an. Zum ersten Bruch mit den überkommenen Vorstellungen Galens kam es dann durch das Anatomiebuch des Bolognesen Mundinus (Raimondo dei Liuzzi, * um 1275, ✝ 1326). Eine teilweise erst Jahrhunderte später wieder erreichte Höhe in der Genauigkeit der Beobachtung und der Darstellung der menschlichen Anatomie stellen die bekannten Zeichnungen Leonardo da Vincis dar. Der Durchbruch zu einer systematischen, auf eigener Anschauung fußenden Darstellung gelang dem Leibarzt Kaiser Karls V., dem Belgier Andreas Vesalius, dessen mit zahlreichen Holzschnitten versehenes Werk »De humani corporis fabrica« (»Vom Bau des menschlichen Körpers«, Basel 1543) den Beginn der wissenschaftlichen Anatomie darstellt. Die weiter gehende Erforschung von Organen und Systemen betrieben u. a. die Italiener G. Falloppia und M. Malpighi, die Engländer W. Harvey und T. Willis, der Däne T. Bartholin und die Niederländer R. de Graaf und A. van Leeuwenhoek. Vor allem Leeuwenhoeks Erfindung des Mikroskops eröffnete neue Dimensionen.
 
Im 18. Jahrhundert setzte dann die Entwicklung von Spezialdisziplinen ein. Zunächst vollzog sich die Abtrennung der Physiologie (etwa mit A. von Haller), der Pathologie (G. B. Morgagni), der Anthropologie (P. Camper) und der Chirurgie (Antonio Scarpa, * 1747, ✝1830). Die englische Schule um die Monros in Edinburgh (3 Generationen, 1693-1859) und die Brüder Hunter in London und die französische Schule von Félix Vicq d'Azyr (* 1748, ✝ 1794), M. F. X. Bichat und Georges Cuvier führten den rationalen, empirischen Ansatz der klassischen Anatomie weiter, während sich aus der deutschen Schule der Meckel (3 Generationen, 1713-1833), von S. T. Sömmerring, K. E. von Baer und J. P. Müller unter dem Eindruck Goethes eine idealistische Morphologie entwickelte, die wesentliche Erkenntnisse auf dem Gebiet der vergleichenden Anatomie, der Embryologie und der Neuroanatomie geliefert hat.
 
Mit der Entwicklung der histologischen Technik durch J. Henle, B. Stilling, R. A. von Kölliker, P. Ehrlich, C. Golgi und S. Ramón y Cajal wurde ein universelles Rüstzeug morphologischer Untersuchungsmethoden entwickelt, das das Eindringen in den subzellulären Bereich ermöglichte. Diese Entwicklungsrichtung wurde nach 1945 durch die moderne Hochleistungsmikroskopie (Elektronenmikroskopie u. a.) und biologische Verfahren (Zellkultur u. a.) noch verstärkt. Eine Weiterentwicklung der Anatomie wird durch den Einsatz zellbiologischer Methoden und Verfahren in den Spezialdisziplinen (z. B. Neuroanatomie, Entwicklungsbiologie) erwartet.
 
Kunst:
 
In der Antike setzte die künstlerische Illustration anatomischer Lehrbücher ein, die im Mittelalter wieder auflebte. Leonardo da Vinci, der selbst Leichen sezierte, schuf die ersten exakten Darstellungen der inneren Organe. Neben der grafischen entstand auch die plastische anatomische Darstellung (Muskelmänner, z. B. von J.-A. Houdon; Skelette). Bis ins 19. Jahrhundert war Anatomie ohne die Hilfe des illustrierenden Künstlers undenkbar. - Mit Leonardo da Vinci u. a. Renaissancekünstlern, besonders auch A.Dürer, wurde Anatomie eine der Grundlagen der bildenden Kunst, und die wissenschaftliche Anatomie wirkte entscheidend auf Proportionslehre und Schönheitskanon der Kunst ein. Es entwickelte sich eine spezielle »Anatomie für Künstler«, die zu einer zunehmenden Verselbstständigung des Aktes führte. - In der Buchmalerei des 14. Jahrhunderts entstand das Anatomiebild, die Darstellung von chirurgischen Eingriffen, aus der sich in den Niederlanden in Zusammenhang mit der Gründung »anatomischer Theater« (Lehrgebäude für Anatomie in der Form eines Amphitheaters; nach dem ersten 1594 in Padua u. a. in Leiden, 1597) eine neue Variante des Gruppenbildes entwickelte, die im Barock ihren Höhepunkt erreichte (z. B. Rembrandt, T. de Keyser).
 
Literatur:
 
A. des Menschen:
 
G. Wolf-Heidegger: Atlas der systemat. A. des Menschen, 3 Bde. (Basel 2-31971-72);
 W. Bargmann: Histologie u. mikroskop. A. des Menschen (71977);
 R. Bertolini u. G. Leutert: Atlas der A. des Menschen, 3 Bde. (1978-82);
 A. Waldeyer u. A. Mayet: A. des Menschen für Studierende u. Ärzte. .., 2 Bde. (141979-80);
 O. Bucher: Cytologie, Histologie u. mikroskop. A. des Menschen (Bern 101980);
 H. Frick u. a.: Allg. A., 2 Bde. (21980);
 G. Töndury: Angewandte u. topograph. A. Ein Lb. für Studierende u. Ärzte (51981);
 H. U. Zollinger: Patholog. A., 2 Bde. (51981);
 H. Leonhardt: Histologie, Zytologie u. Mikro-A. des Menschen (71985);
 A. Rauber u. F. Kopsch: Lb. u. Atlas der A. des Menschen, hg. v. H. Leonhardt u. a., 4 Bde. (1987-88);
 W. Kahle u. a.: Taschenatlas der A. für Studium u. Praxis, 3 Bde. (51991);
 H. Feneis: Anatom. Bildwb. der internat. Nomenklatur (71993);
 J. W. Rohen: Funktionelle A. des Menschen (71993);
 J. Sobotta: Atlas der A. des Menschen, 2 Bde. (201993);
 A. Benninghoff: A. Makroskop. A., Embryologie u. Histologie des Menschen, 2 Bde. (151993-94).
 
A. der Tiere:
 
D. Starck: Vergleichende A. der Wirbeltiere. Auf evolutionsbiolog. Grundlage, 3 Bde. (1978-82);
 
A. S. Romer u. T. S. Parsons: Vergleichende A. der Wirbeltiere (a. d. Amerikan., 51991);
 
K. Loeffler: A. u. Physiologie der Haustiere (81991).
 
A. der Pflanzen:
 
B. Huber: Grundzüge der Pflanzen-A. (1961);
 
B. Kaussmann: Pflanzen-A., unter besonderer Berücksichtigung der Kultur- u. Nutzpflanzen (1963);
 
K. Esau: Pflanzen-A. (1969);
 
Strasburger. Lb. der Botanik für Hochschulen, neu bearb. v. P. Sitte u. a. (331991).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Anatomie: Erkenntnis aus dem Körper
 

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Ana|to|mie, die; -, -n [spätlat. anatomia < griech. anatomía, zu: anatémnein = aufschneiden; sezieren] (Med.): 1. <o. Pl.> a) Wissenschaft vom Bau des [menschlichen] Körpers u. seiner Organe: systematische, topographische, pathologische, vergleichende A.; b) Aufbau, Struktur des [menschlichen] Körpers: eine A. der Geschlechter; Ü Diese Unterlagen ermöglichen es ..., die A. einer Wochenschau zu studieren (Enzensberger, Einzelheiten I, 107). 2. anatomisches Institut: eine Leiche an die A. geben; Ich habe einen Freund gehabt ..., der war bei der A. bedienstet (Werfel, Himmel 18). 3. Lehrbuch der ↑Anatomie (1).

Universal-Lexikon. 2012.