Glas|ma|le|rei 〈f. 18〉 künstler. Bemalung von Kirchenfenstern
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Glas|ma|le|rei, die:
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Glasmalerei,
Herstellung von Fenstern und Scheiben figuralen oder ornamentalen Charakters in Farbe und Grisaille. Bei der klassischen, der musivischen Glasmalerei kann man drei Komponenten unterscheiden: 1) das Glas, Träger der Farbe, als Lichtspender durchscheinend, aber nicht durchsichtig, eine aus einer Vielzahl von Einzelscheiben mosaikartig zusammengesetzte Fläche in unmittelbarer Verbindung mit der Architektur beziehungsweise eine für eine größere Fensterfläche bestimmte Scheibe kleineren Formats; 2) das Bleinetz, das jedes einzelne Glasstück umfasst und ein solides elastisches Gerüst bildet, zugleich mit seinen dunklen Stegen in unterschiedliche Dicke auch Träger der linearen Komposition ist; 3) die Malfarbe, das Schwarzlot, eine bräunlichschwarze Farbe, die, in verschieden hellen bis ganz dunklen Schichten aufgetragen, die Lichtdurchlässigkeit bei den einzelnen Gläsern modifiziert, also die transparenten Farben des Trägerglases durch Abdeckungen besonders leuchtend hervortreten lässt beziehungsweise konturiert und mit modellierenden Schattentönen versieht. Jede Komposition bedingt als Erstes eine maßstabgetreue Werkzeichnung (ursprünglich auf Holz und Pergament, später auf Papier), die die genauen Farbangaben enthält.
Das Glas wurde mittels Metalloxiden in der Masse durchgefärbt oder zum Teil auch nur mit dünnen Farbschichten überzogen (Überfangglas). Mit heißem Eisendraht wurden dann die einzelnen Stücke von den Glastafeln verschiedene Farbe abgesprengt und mit einem Kröseleisen, einer Art Kneifzange (im 16. Jahrhundert vom Diamantschneider abgelöst), in die gewünschte Form gebracht. Danach begann das Auftragen des Schwarzlots auf der Vorderseite, zuerst in hellem Wasserton, dann dunkler schattierend und für die Kontur und schwarze Flächen deckend (für weiche Schatten zum Teil auch Lasuren auf der Rückseite). Häufig wurde die Farbschicht nach dem Trocknen noch mit dem Pinsel gestupft, oder man radierte mittels Federkiel u. Ä. Lichtgrate und zarte Ornamente aus. Anschließend erfolgte bei 600 ºC das Aufschmelzen der Malschicht auf das Trägerglas. Nach 1300 trat zu dem Schwarzlot eine weitere Malfarbe, das Silbergelb, bestehend aus mit Ocker oder Ton vermischtem Schwefelgelb. Es wurde rückseitig aufgetragen und gestattete, dass auf ein und derselben Scherbe zwei Farben erscheinen konnten, wobei das Gelb nach dem Brennen von heller Zitronenfarbe bis Dunkelorange variierte. Im späten 15. und im 16. Jahrhundert traten weitere Lotfarben hinzu, am bekanntesten ist das Eisenrot. Die fertig bemalten und gebrannten Scherben wurden in Bleistege mit doppeltem u-Profil eingebettet und so das Glasfenster aufgebaut. Die Größe der einzelnen Felder war der Stabilität wegen beschränkt.
Die Frage nach der Entstehung der Glasmalerei ist noch nicht eindeutig geklärt. In der beschriebenen Art kommt sie nur im christlichen Abendland vor. Vorstufen finden sich in der römischen Antike und in Byzanz. Die frühesten Zeugnisse der Glasmalerei reichen bis ins 9. Jahrhundert zurück (Fensterfragmente mit dem Kopf eines Heiligen aus dem Kloster Lorsch; Darmstadt, Hessisches Landesmuseum). Bei den um 1100 entstandenen Prophetenfenstern im Augsburger Dom handelt es sich um den frühesten in Teilen erhaltenen Zyklus. In der Gotik öffnete sich der Kirchenraum in großen »diaphanen« (durchscheinenden) Wänden aus Farbglas, die anstelle der Wandmalerei nun die Belehrung der Gläubigen übernahmen. Häufige Darstellung fanden Christus und seine Vorfahren (Wurzel Jesse), Szenen aus dem Alten Testament und dem Neuen Testament sowie aus Heiligenlegenden, ferner Einzelfiguren von Heiligen entsprechend dem ikonographischen Gesamtprogramm des Baues. Den größten Anteil an der gotischen Glasmalerei hat Frankreich. Vorbildlich für die Fenster der Kathedralen von Chartres, Bourges und Reims und die Sainte-Chapelle in Paris waren Glasmalereien in der Abteikirche Saint-Denis und in den Kathedralen von Le Mans und Poitiers. Französische Einflüsse wirkten auf die Glasmalerei in England (Kathedralen von Canterbury, Lincoln und York), auf Spanien (Kathedrale von León), Italien (Oberkirche von San Francesco in Assisi, Dom in Orvieto) und Deutschland (Straßburger Münster, Sankt Kunibert in Köln, Elisabethkirche in Marburg; Münster in Freiburg im Breisgau; Dome in Regensburg, Köln und Erfurt, Klosterkirche Königsfelden). Neben den figürlichen entstanden auch reine Ornamentfenster. Zu ihrer Ausbreitung trug maßgeblich der Zisterzienserorden bei. Da ihm die Ordensregel verbot, seine Kirchen mit farbigen Bildern zu schmücken, beschränkten sich die Mönche lange Zeit auf Grisaillefenster mit Flechtbandmuster und Blattornamenten. Ab 1260 hellten sich die Fenster französischer Kirchen allgemein auf. Grisaillescheiben fanden zunehmend Verwendung, auch wurden hellere Farbtöne bevorzugt. Seit dem 14. Jahrhundert zeichneten sich ähnlich wie in der Malerei Tendenzen zur Eroberung des Bildraums ab. Die Figuren gewannen Realitätscharakter und wurden plastisch durchgeformt. Von großem Einfluss und in ihrer Prägnanz überragend sind die Arbeiten der Straßburger Werkstattgemeinschaft unter der Führung von P. Hemmel (Volckamer-Fenster in Sankt Lorenz, Nürnberg). Für ihn und andere Glasmalereiwerkstätten arbeiteten u. a. M. Schongauer, A. Dürer und H. Baldung. In Italien fertigten L. Ghiberti, Andrea del Castagno und D. Ghirlandaio Entwürfe für Glasmalerei des Doms in Florenz an. War zunächst die Kirche Hauptauftraggeber gewesen, so trat die Glasmalerei vom 15. Jahrhundert an häufiger in den Dienst der Profanarchitektur (Rathäuser, Zunftstuben, Gasthäuser, Badehäuser u. a.). In den Niederlanden, Frankreich und England entstanden auch während der Renaissance noch prunkvolle monumentale Glasmalereien (z. B. in Saint-Michel in Brüssel, u. a. entworfen von B. van Orley). In den deutschen-sprachigen Ländern bewirkten Humanismus und Reformation, dass sich der Wunsch nach hellen Kirchenräumen durchsetzte. Häufig fanden nur noch farbige Scheiben kleineren Formats zwischen Butzenscheiben und Rautengläser Verwendung. Um auf die nun eher störend wirkenden Bleistege verzichten zu können, wurden im 16. Jahrhundert die Schmelz- oder Emailfarben entwickelt, die es gestatteten, auf Glas und nicht mehr mit Glas zu malen (Glasgemälde). In der Profanarchitektur erfreuten sich seit dem frühen 16. Jahrhundert besonders in Süddeutschland und der Schweiz Kabinettscheiben bis ins 17. Jahrhundert großer Beliebtheit, für die u. a. J. Breu der Ältere, Hans von Kulmbach, H. S. Beham, T. Stimmer Entwürfe lieferten. Diese kleinen Glasscheiben mit religiösen oder profanen Darstellungen, Porträts und v. a. Wappen (Wappenscheiben) in Schwarzlot- und Emailmalerei wurden meist in eine Neutralverglasung aus Rautenglas und Butzenscheiben eingesetzt. Eine Variante bilden die Fensterbierscheiben in Norddeutschland, Geschenke, die man anlässlich eines Neubaus dem Bauherrn überbrachte. Dieser lud dafür beim Einsetzen der Fenster zum »Fensterbier« ein. Ende des 17. Jahrhunderts begann der Verfall der Glasmalerei, die erst im 19. Jahrhundert im Zuge wissenschaftlichen Interesses und romantische Mittelalterverehrung neu belebt wurde.
Nachhaltig ist der Einfluss von W. Morris, dessen Firma zahlreiche Verglasungen ausführte; die bedeutendsten entwarf E. Burne-Jones. Zu neuen Lösungen gelangte der Jugendstil mit L. C. Tiffany in den USA, Eugène Grasset (* 1841, ✝ 1917) und Jacques Gruber (* 1870, ✝ 1936) in Frankreich, H. Christiansen und M. Lechter in Deutschland, J. Mehoffer und S. Wyspiański in Polen. Zukunftweisend waren die geometrischen Kompositionen des Amerikaners F. L. Wright. Von den Arbeiten J. Thorn-Prikkers leitet sich eine Richtung ab, für die nicht mehr die malerische Wirkung der Glasmalerei, sondern die Architektur interpretierende Strukturen maßgebend sind. Vertreter dieser Richtung in Deutschland sind u. a. G. Meistermann, J. Schreiter und L. Schaffrath. Stärker an der Malerei orientierte sich die Glasmalerei in Frankreich (H. Matisse, M. Chagall, F. Léger, G. Rouault, A. Manessier). Durch die Umweltverschmutzung sind die Werke der Glasmalerei stark gefährdet. Ihre Konservierung und Restaurierung bilden deshalb ein wichtiges Aufgabengebiet der Denkmalpflege.
Corpus vitrearum medii aevi, hg. vom Internat. Kunsthistorikerkomitee (Basel u. a. 1956 ff.; erscheint in zahlr., nach Ländern geordneten Reihen);
L. Grodecki: Roman. G. (a. d. Frz., 1977);
Die Welt der Glasfenster. 12 Jh. abendländ. G. in über 500 Farbbildern, bearb. v. L. Lee u. a. (a. d. Engl., 1977);
J. Lafond: Le vitrail (Paris 1978);
Architectural stained glass, hg. v. B. Clarke (London 1979);
Das Bild in Glas. Von der europ. Kabinettscheibe zum New Glass, bearb. v. S. Beeh-Lustenberger, Ausst.-Kat. (1979);
P. Cowen: Die Rosenfenster der got. Kathedralen (a. d. Engl., 21984);
C. Brisac: Glasfenster. 1 000 Jahre europ. G. (a. d. Frz., 1985);
P.-F. Michel: Jugendstil-G. in der Schweiz (a. d. Frz., Bern 1986);
U. Looft-Gaude: G. um 1900. Musiv. Verglasungen im dt.-sprachigen Raum zw. 1895 u. 1918 (1987);
Dt. G. des MA., hg. v. R. Becksmann, 2 Bde. (1992-95);
Glasmalerei des 19. Jh. in Dtl., bearb. v. M. Böning, Ausst.-Kat. Angermuseum Erfurt (1993).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
gotische Glasmalerei: Bildprogramme, Auftraggeber und Werkstätten
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Universal-Lexikon. 2012.