kẹltische Kunst,
die v. a. in kunstgewerblichen Objekten, aber auch in plastischen Werken sich äußernde Kunst der Kelten, deren Beginn v. a. nach der datierbaren importierten griechischen und etruskischen Keramik, seltener auch nach dendrochronologischen Befunden von in geschlossenen Fundzusammenhängen geborgenen Holzresten heute meist erst gegen Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. am Ende des westlichen Kreises der späten Hallstattkultur angesetzt wird, die heute freilich meist ebenfalls bereits als »frühkeltisch« gilt. Die frühkeltische Kunst fand bei diesem Ansatz ihr Ende nach 350 v. Chr. In ihrer Endphase ist zum Teil ein Nebeneinander von frühkeltischen und den neuen Elementen der Kunst der La-Tène-Zeit zu beobachten. In der Wanderzeit der Kelten ab circa 400 v. Chr. sind die Funde spärlicher, bis es zu einer neuen Blütezeit im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. kam. Die keltische Kunst ging auf dem Kontinent in der provinzialrömischen Kunst auf. In Teilen der Britischen Inseln, besonders in Irland, bestand sie weiter und nahm eine eigene Entwicklung.
Europäisches Kontinent:
Mit Einsetzen der Hallstattkultur und der auf sie folgenden frühen keltischen Kunst trat die Fibel an die Stelle der gebräuchlichen Nadel, und zwar in den Formen der Kahn-, Bogen- und Schlangenfibel, abgelöst von der Pauken- und Fußzierfibel. Selten gefundene Goldfibeln wie im Fürstengrab von Hochdorf waren nicht für den Gebrauch bestimmt (da sie nicht federn wie Bronze). Gold war beliebt; nach Berichten des Diodor gab es in Gallien zwar kein Silber, dafür aber reichlich Gold. Es wurde von den frühkeltischen Goldschmieden außer für massiven Schmuck und Gerät (Goldhalsreifen, Torques, Schalen) auch für hauchdünne Treibarbeiten verwendet. Das dünne Goldblech oder Blattgold wurde auf Bronze oder andere Materialien (nur selten sind Spuren erhalten) aufgelegt; es zierte Gefäße (Keramikschalen, Trinkhörner), Schmuck (breite Tonnenarmringe, Haar- und Haubennadeln, Ohr-, Hals-, Schläfenschmuck, Ringe, Gürtelplatten oder -haken, Fibeln) und Herrschaftszeichen (fürstliche Zierdolche). Als Verzierungen wurden neben pflanzlichen Motiven symmetrische Ornamentsysteme verwendet, die mithilfe von Zirkelschlägen entstanden oder von innen eingepunzt wurden; häufig sind auch Durchbrucharbeiten, die den (andersfarbigen) Untergrund zur Wirkung brachten.
Am Mittelrhein und in Zentralfrankreich sind pflanzliche, dem mittelmeerischen Bereich entlehnte Motive vorherrschend, während im Osten von Bayern bis Österreich abstrakt geometrische, auf ältere Motive zurückgehende Muster vertreten sind. Es kommen Einlagen aus Koralle und Bernstein vor. Frühkeltische vierrädrige Wagen, die den Fürstengräbern fast stets beigegeben waren, konnten rekonstruiert werden, besonders der metallbeschlagene Prunkwagen aus Hochdorf, ebenso die dort gefundene Bronzekline. Das Totenbett besaß weibliche Stützfiguren in Adorantenhaltung (sonst nicht belegt). Importwaren unter den Beigaben der Fürstengräber belegen erst Kontakte zum griechischen Raum, wohl über Massilia (das antike Marseille; Keramik), etwas später zu Etrurien (z. B. Schnabelkannen). Gefäßen sind zum Teil kleine plastische Arbeiten als Attaschen angesetzt (Fund aus Küssaberg-Reinheim, Landkreis Waldshut). Es gab auch kleine figürliche Anhänger, meist Figürchen von Menschen oder Tieren (Fruchtbarkeitskult). Eine Reihe großer, figürlich bearbeiteter steinerner Grabstelen ist erhalten, sie wurden v. a. unter Anregung durch die etruskische und italische Kunst anstelle der älteren Steinstelen auf die großen Grabhügel gestellt. Ein wenig jünger, aus dem 5. Jahrhundert v. Chr., ist die lebensgroße Statue eines keltischen Fürsten, die neben den Fürstengräbern vom Glauberg entdeckt wurde. Zu den Beigaben der beiden Bestattungen im Fürstengrabhügel gehörten u. a. eine bronzene Schnabel- und eine bronzene Röhrenkanne sowie ein goldener Halsreif. Für die fast nur in den Siedlungen gefundene frühkeltische/hallstattzeitliche mehr oder weniger lokale Keramik sind Kegelhalsbecher mit hohem Hals, Flaschen und Fußgefäße charakteristisch, neben der häufigen grauen Bemalung auf rotem Grund gab es zeitweise auch weißgrundige bemalte Ware, z. B. auf der Heuneburg. Hier und in einigen anderen großen Adelssitzen wurde auch die Drehscheibe verwendet (geriefte Ware), allgemein war sie erst in der folgenden La-Tène-Kultur verbreitet.
Der im 4. Jahrhundert v. Chr. auf den frühen Stil folgende Waldalgesheimstil (nach dem ersten Fundort Waldalgesheim) führte nur bedingt den frühkeltischen Stil fort; er knüpfte mit plastischen Schlingornamenten v. a. an die griechisch-italischen Rankenornamentik an, wandelte sie jedoch in typisch keltischer Manier ab. Dieser frühlatènezeitliche Stil ist v. a. auf Arbeiten der »Flachgräberzone« von Frankreich bis Ungarn vertreten. Kennzeichnende Werke dieses Stils findet man aber auch auf dem Balkan und in keltischen Gräbern des 4. Jahrhunderts bis nach Mittelitalien. An neuen Fibelformen traten nun in der La-Tène-Zeit die Drahtzier-, Masken- und Tierkopf-, Scheiben- und Certosafibeln und zahlreiche weitere lokale Typen auf. Es gab jetzt Brandopferplätze (Gefäßreste), später Opfergruben. Den Männergräbern wurden im Unterschied zur Frühzeit Waffen beigegeben (lange Schwerter, Lanzen, Flachschilde). Aus dem Waldalgesheimstil entwickelten sich im 3. Jahrhundert v. Chr. sowohl der v. a. durch Waffenfunde aus Schweizer Gewässern und aus Gräbern in Ungarn und dem ehemaligen jugoslawischen Raum bekannte Schwertstil als auch der plastische Stil als Höhepunkt der künstlerischen Eigenentwicklung, für den es im gesamten keltischen Bereich Zeugnisse gibt. Beide Stile werden auch als freier fließender Stil zusammengefasst. Neben streng symmetrischen Verzierungen erscheinen bewegungsreiche Strukturen, in freiem Rhythmus der Form angepasst oder - in der Plastik - für die Form bestimmend. Zu nennen sind z. B. der Eber aus Gutenberg, Liechtenstein (Vaduz, Historische Sammlung), die Figurinen (Tänzer und Tänzerinnen) aus Neuville-en-Sullias südöstlich von Orléans (Orléans, Musée Historique et Archéologique de l'Orléanais) oder der »Gott von Bouray« (Saint-Germain-en-Laye, Musée des Antiquités Nationales). Ein sehr häufiges Motiv aller Gattungen der keltischen Kunst ist der menschliche Kopf, der als Sitz der Seele galt; nach literarischem Zeugnis wurden Köpfe von Feinden gesammelt, vielleicht auch von Geopferten. Besonders bekannt sind die spätkeltischen Relieffunde mit mehreren Köpfen aus der Provence, mit denen der böhmische Steinkopf aus Mšecké Žehrovice bei Kladno verwandt ist (in Prag, Národní Muzeum). Ein nicht deutbares Werk ist die Kalksteinskulptur eines Menschen verschlingenden Ungeheuers mit zwei abgeschlagenen Köpfen unter den Pranken (»Le tarasque« aus Noves; in Avignon, Musée Calvet). Nach dem fließenden Stil folgte in der keltischen Kunst auf dem Kontinent kein neuer Kunstimpuls mehr, da die spätkeltische Oppidazivilisation des 2./1. Jahrhunderts v. Chr. zu einer industriell-technisierten Fertigung überging. Seit der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. wurde die keltische Kunst von der provinzialrömischen Kultur assimiliert, jedoch lebten viele Motive (z. B. in der Bauplastik) weiter.
Vom 4. bis 1. Jahrhundert v. Chr. traten - nach Übernahmen kontinentaler Motive im 5. Jahrhundert (Fibeln mit Leiermotiv, Schwertscheiden mit Zirkelschlagornamentik) - eine eigenständige Flechtwerk- und Kreisornamentik, aber auch Vogelmotive und fließende plastische Muster auf. Die vielleicht typischsten Erzeugnisse sind die Bronzespiegel und Schwertscheiden. Ihre flachen Oberflächen sind mit Mustern verziert, die auf Kreisen und Kreissegmenten basieren, oft zu dreiteiligen Formen wie dem Dreiwirbel (»triskeles«) verbunden und vom üblichen Flechtwerkhintergrund umgeben. Eine etwa in der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. im Gebiet von Norfolk arbeitende Werkstatt stellte v. a. goldene Hals- und Armringe her, deren Endstücke fließende plastische Muster und Flächen mit Flechtwerkmotiven zieren, auf die kleine Knöpfe mit Vertiefungen gesetzt sind. Anderswo bestand gegen Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr. bei allmählich wachsendem römischem Einfluss eine Tendenz zur Verwendung symmetrischer Muster, es kam zur Entwicklung eines strengeren, weniger freien, weniger fließenden Stils. Die Verwendung von Blutemail, die für spätere britischen Arbeiten typisch ist, erhielt Auftrieb durch die römisch beeinflusste Einführung von blauem, gelbem und weißem Email. Am bekanntesten ist der bronzene »Battersea-Schild« aus der Themse bei Battersea (London, Britisches Museum), dessen (eingeschnürte) Form römisch, nicht keltisch ist.
Die latènezeitlichen irischen Bronzearbeiten (Schmuckbleche u. a.) sind der keltischen Kunst zuzuordnen; es bildeten sich - ohne Berührung mit der römischen Zivilisation - gegen Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr. eigenständige Merkmale heraus (Goldhalsring von Broighter; Dublin). Gleichzeitig kam es zu einer eigentümlichen Steinbildhauerei, deren Entwicklung im 3. Jahrhundert v. Chr. eingesetzt hatte (Turoe-Stein, County Galway). Nach dem 6. Jahrhundert traten in der irischen Kunst zu den keltischen Motiven germanische, wie verschlungene Bänder oder Tiere, und bis Ende des 7. Jahrhunderts auch christliche Bilddarstellungen. Aus dieser Synthese entstand ein neuer Kunststil (irische Kunst).
M. Lenerz-de Wilde: Zirkelornamentik in der Kunst der Latènezeit (1977);
Die Kelten in Mitteleuropa. Kultur, Kunst, Wirtschaft, Keltenmuseum Hallstein, Österreich (Salzburg 1980);
P. S. Wells: Culture contact and culture change. Early iron age Central Europe and the mediterranean world (Cambridge 1980);
C. Eluère: Das Gold der Kelten (a. d. Frz., 1987);
D. Schlinke: Kelten in Österreich (Wien 1987);
Trésors des princes celtes, Ausst.-Kat. (Paris 1987);
Gold der Helvetier. Kelt. Kostbarkeiten aus der Schweiz, bearb. v. A. Furger u. Felix Müller, Ausst.-Kat. Schweizer. Landesmuseum, Zürich (Zürich 1991);
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Kelten: Im Lande der Druiden
keltische Kunst: Abstraktion und Vieldeutigkeit - Die künstlerische Sprache der La-Tène-Kultur
Kelten, westliche Hallstattkultur und La-Tène-Kultur
Universal-Lexikon. 2012.