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Kriegsrecht
Notstand; Ausnahmezustand

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Kriegs|recht 〈n. 11; unz.〉 alle völkerrechtl. Vorschriften für kriegführende Staaten gegenüber den feindl. u. neutralen Staaten sowie der Zivilbevölkerung

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Kriegs|recht, das:
1. <o. Pl.> völkerrechtliche Vorschriften, die Krieg führenden Staaten in ihren Handlungen bestimmte rechtliche Grenzen setzen.
2. eines der Rechte, die Krieg führenden Parteien zustehen:
ein Verstoß gegen die -e.

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Kriegsrecht,
 
1) im Staatsrecht die kriegsbedingten Änderungen des geltenden Rechts (Notstandsverfassung); 2) im Völkerrecht die im Rechtszustand des Krieges geltenden internationalen Rechtsnormen.
 
Die Unterscheidung zwischen Kriegsrecht und Friedensrecht setzt zwei Rechtszustände, nämlich denjenigen des Krieges und denjenigen des Friedens, voraus. Diese Unterscheidung wurde im Völkerrecht seit Entwicklung einer Völkerrechtstheorie im 16. Jahrhundert und einer völkerrechtlichen Staatenpraxis im 17. Jahrhundert getroffen. Das »klassische Völkerrecht«, dessen Geltung mit dem Westfälischen Frieden (1648) begann, stellte die beiden Rechtszustände wertungsfrei nebeneinander und überließ es den Souveränen, ob sie ihre politische Ziele mit kriegerischen oder friedlichen Mitteln erreichen wollten. Entschieden sie sich für den Krieg, so hatten sie dies durch eine förmliche Kriegserklärung bekannt zu geben. Die Rücküberführung aus dem Rechtszustand des Krieges in denjenigen des Friedens erfolgte durch den Friedensvertrag.
 
Diese völkerrechtlichen Grundsätze gelten auch heute noch, obwohl die Periode des klassischen Völkerrechts im 20. Jahrhundert zu Ende gegangen ist. An die Stelle der Kriegsfreiheit des klassischen Völkerrechts (Recht zum Kriege, lateinisch ius ad bellum) ist das Kriegsverbot getreten, das erstmals im Briand-Kellogg-Pakt vom 27. 8. 1928 niedergelegt wurde und heute als allgemeine, zwingende Völkerrechtsnorm gilt, die im Gewaltverbot des Art. 2 Nummer 4 der Satzung der Vereinten Nationen enthalten ist. Das allgemeine Kriegsverbot des geltenden Völkerrechts berührt jedoch nicht das Verteidigungsrecht, das auch die Satzung der Vereinten Nationen in ihrem Art. 51 allen Staaten als »naturgegebenes Recht« zubilligt. Das Recht, Verteidigungskriege zu führen, ist keine Ausnahme vom Kriegsverbot, sondern dessen Bestätigung. Gerade weil der Krieg nach geltendem Völkerrecht verboten ist, muss die Notwehr, ähnlich innerstaatliches Recht, rechtlich normiert werden.
 
Mit der Aufrechterhaltung des Kriegsrechts (also des Rechts im Krieg, lateinisch ius in bello) trägt das geltende Völkerrecht der Tatsache Rechnung, dass Kriege auch unter der Geltung des Kriegsverbots möglich sind. Das Kriegsrecht gilt für alle bewaffneten internationalen Konflikte ohne Rücksicht auf ihre Ursache, und zwar ungeachtet der Tatsache, dass die strenge Formalisierung von Kriegsbeginn und -ende durch die Staatenpraxis des 20. Jahrhunderts aufgeweicht worden ist. Die Feindseligkeiten beginnen oft ohne Kriegserklärung und enden ohne Friedensvertrag. Dadurch ist der gesamte völkerrechtliche Begriff des Krieges undeutlich geworden. In der völkerrechtlichen Fachliteratur wie in der Sprache der Diplomatie und der Verträge wird deshalb der Begriff des Krieges durch denjenigen des »internationalen bewaffneten Konflikts« ersetzt. Dementsprechend tritt allmählich an die Stelle des Ausdrucks »Kriegsrecht« die Bezeichnung »Recht der bewaffneten internationalen Konflikte«. Eine inhaltliche Veränderung ist hiermit aber nicht verbunden. Nach wie vor gilt der Grundsatz, dass durch die Kriegserklärung der Rechtszustand des Krieges eintritt; die diplomatischen Beziehungen der Kriegsgegner sind mit diesem Schritt beendet. Ohne Kriegserklärung ist der Rechtszustand des Krieges mit Beginn der Feindseligkeiten erreicht. Auch die Rücküberführung in den Rechtszustand des Friedens erfolgt durch einen Friedensvertrag, der seinerseits nicht mehr dem Kriegsrecht, sondern dem Friedensrecht unterliegt. Unterbleibt der Abschluss eines Friedensvertrags, so kann die Überführung in den Rechtszustand des Friedens durch einseitige Erklärungen über die Beendigung des Kriegszustandes erfolgen, wie dies seitens der Alliierten gegenüber Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs der Fall war. Dagegen beendet ein Waffenstillstandsvertrag, der stets dem Kriegsrecht unterliegt, den Kriegszustand nicht.
 
Das Kriegsrecht wird auch definiert als die Gesamtheit der Völkerrechtsregeln, die während des Kriegszustandes für die im Kriegsgebiet befindlichen Personen und die völkerrechtliche Beurteilung der Kriegshandlungen gelten. Im weiteren Sinn wird zum Kriegsrecht auch das Recht der Neutralität gezählt. Das Kriegsrecht i. e. S. (unter Ausklammerung des Neutralitätsrechts) gliedert sich in Kriegsaktionenrecht und humanitäres Völkerrecht. Ersteres betrifft den Einsatz von Kampfmitteln und die Anwendung von Kampfmethoden, Letzteres den Schutz der von den Kriegsaktionen betroffenen Menschen, einschließlich der Soldaten. Da auch das Kriegsaktionenrecht letztlich dem Ziel dient, die durch den Krieg verursachten Leiden zu mildern, ist die Unterscheidung nicht eindeutig. Sie hat auch keine praktische Bedeutung. Weil das Kriegsaktionenrecht erstmals in einer Reihe von Abkommen im Gefolge der Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 kodifiziert wurde (Haager Abkommen), wird es häufig als »Haager Recht« bezeichnet. Die Kodifikation des humanitären Völkerrechts erfolgte vornehmlich durch Abkommen, die in Genf abgeschlossen wurden, weshalb es auch »Genfer Recht« genannt wird.
 
Das älteste Kernstück des Kriegsrechts ist die Haager Landkriegsordnung (Abkürzung HLKO) von 1907, die in ihren wichtigsten Teilen auf die (nicht ratifizierte) Brüsseler Deklaration von 1874 zurückgeht. Sie wird durch zahlreiche Verträge aus neuerer Zeit über einzelne Kampfmittel und Kampfmethoden ergänzt. Daneben gelten Regeln für den Luft- und Seekrieg.
 
Die wichtigste Grundregel des Kriegsrechts ist die strenge Anweisung, Kriegshandlungen nur gegen militärische Objekte (Kombattanten und der Kriegführung dienende Gegenstände) zu richten. Gegen die Zivilbevölkerung und deren Eigentum dürfen kriegerische Maßnahmen nicht ergriffen werden. Jedoch wird in Kauf genommen, dass bei kriegerischen Maßnahmen gegen militärische Objekte auch schädigende Nebenwirkungen auf zivile Objekte (Personen und Sachen) entstehen (»Kollateralschäden«). Sie werden vom Kriegsrecht geduldet, solange sie in einem angemessenen Verhältnis zu dem von der militärischen Aktion erstrebten Erfolg stehen. Gezielte Angriffe auf zivile Objekte sind aber in jedem Fall verboten. Darüber hinaus haben sich im Kriegsrecht Regeln für besonders geschützte Personen (z. B. Verwundete und Kranke) und Sachen (z. B. Krankenhäuser, Lazarette, Kulturgüter) entwickelt. Aus dem Verbot, zivile Objekte zum Ziel militärischer Aktionen zu machen, ergibt sich das Verbot der »blinden Waffen«, d. h. von Waffen, die sich unterschiedslos gegen militärische und nichtmilitärische Objekte richten (z. B. strategische Kernwaffen). Wie der Internationale Gerichtshof in Den Haag 1996 in einem Gutachten feststellte, ist das Verbot des Einsatzes von Kernwaffen nur in einem extremen Fall der Selbstverteidigung eines Staates unter Umständen anders auszulegen. Völkerrechtswidrig ist auch, gleich zu welchem Zweck, der Einsatz konventioneller Waffen, die flächendeckend wirken, z. B. massives Artilleriefeuer und Flächenbombardements auf dicht besiedelte Gebiete.
 
Besondere Waffenverbote enthielt bereits die HLKO (Art. 23). Alle Geschosse, die sich beim Auftreffen auf den menschlichen Körper verformen und auf diese Weise kaum heilbare Wunden verursachen (z. B. Dumdumgeschosse), sind verboten. Unter dieses Verbot fallen auch Napalmbomben. Das Genfer Protokoll (Gaskriegsprotokoll) von 1925 ächtete die Verwendung betäubender, giftiger oder anderer Gase und ähnlicher Flüssigkeiten, Stoffe oder Vorrichtungen im Krieg. Das C-Waffen-Abkommen vom 15. 1. 1993 (in Kraft getreten am 29. 4. 1997) verbietet schließlich generell die Entwicklung, Herstellung, Lagerung und den Einsatz von chemischen Waffen. Die Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) und toxischer Waffen wurde durch das B-Waffen-Abkommen vom 10. 4. 1972 verboten, das am 26. 3. 1975 in Kraft trat.
 
Infolge des Grundsatzes der Gegenseitigkeit berechtigt die Anwendung verbotener Kampfmittel den Gegner zum Einsatz derselben Kampfmittel, jedoch nur in den Grenzen der Repressalie, d. h. unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Eine weitere Grundregel gebietet die Beachtung des Prinzips von Treu und Glauben auch gegenüber dem Kriegsgegner. So dürfen z. B. Soldaten nicht in Uniformen gegnerischer Streitkämpfe kämpfen, sich nicht als Zivilisten tarnen und nicht die Ergebung vortäuschen (»Perfidieverbot«). Das 1. Zusatzprotokoll von 1977 (Genfer Vereinbarungen 1) hat diese alte Grundregel bestätigt und neu formuliert.
 
Gegen den wehrlosen oder zur Ergebung bereiten Feind dürfen keine weiteren Kriegshandlungen gesetzt werden. Jeder Soldat, der sich ergibt, erhält den Status des Kriegsgefangenen.
 
Bewaffnete Konflikte ohne internationalen Charakter unterliegen grundsätzlich nicht dem Kriegsrecht. Jedoch bestimmen die vier Genfer Konventionen von 1949 übereinstimmend, dass bei diesen Konflikten ein Kernbestand an Regeln des humanitären Völkerrechts, der in den genannten Artikeln genau umschrieben ist, Anwendung findet. Die Ausdehnung des Kriegsrechts auf nichtinternationale bewaffnete Konflikte hat sich im 2. Zusatzprotokoll von 1977 zu den vier Genfer Abkommen, das ausdrücklich dafür gilt, fortgesetzt.
 
Literatur:
 
F. Berber: Lb. des Völkerrechts, Bd. 2: K. (21969);
 
The laws of war, hg. v. L. Friedman, 2 Bde. (New York 1972);
 J. Fisch: Krieg u. Frieden im Friedensvertrag (1979);
 O. Kimminich: Schutz der Menschen in bewaffneten Konflikten (1979);
 
The laws of armed conflicts, hg. v. D. Schindler u. a. (Dordrecht 31988);
 H.-J. Wolff: Kriegserklärung u. Kriegszustand nach klass. Völkerrecht (1990).
 

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Kriegs|recht, das <o. Pl.>: völkerrechtliche Vorschriften, die Krieg führenden Staaten in ihren Handlungen bestimmte rechtliche Grenzen setzen.

Universal-Lexikon. 2012.