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Wieland
I
Wieland,
 
altnordisch Vọ̈lundr, Hauptgestalt in einer der ältesten germanischen Heldensagen, die in der altnordisch »Völundarkviȓa« (»Das Lied von Völundr«) der Lieder-Edda bewahrt ist. Wieland, ein kunstreicher Schmied mit albischen (Elfen) Zügen, wird von dem goldgierigen König Nihad (Nidhod, Nidung; altnordisch Niȓuȓr) gefangen, auf den Rat der Königin gelähmt und zu kostbaren Schmiedearbeiten gezwungen. Wieland nimmt Rache, indem er die beiden Söhne des Königs erschlägt und sich dessen Tochter, Böȓvildr, durch einen Rauschtrank gefügig macht. Dann erhebt er sich lachend mittels seiner selbst geschmiedeten Flügel in die Lüfte und entflieht. - Die Wiederentdeckung der Edda führte zu Nacherzählungen des Stoffes (K. Simrock, »Wieland der Schmied«, 1835), auch zu dramatischen Bearbeitungen (Entwurf R. Wagners: »Wieland der Schmied«, 1849; von H. Drachmann das Melodrama »Vølund smed«, 1894; von F. Lienhard »Wieland der Schmied«, 1905, sowie von G. Hauptmann »Veland«, 1925).
 
II
Wieland,
 
1) Christoph Martin, Schriftsteller, * Oberholzheim (heute zu Achstetten, Landkreis Biberach) 5. 9. 1733, ✝ Weimar 20. 1. 1813. Wieland entstammte einem pietistischen Landpfarrhaus, wuchs in Biberach an der Riß heran, kam 1747 in das herrnhutische Schulinternat von Kloster Berge (bei Magdeburg) und 1749 zur Vorbereitung auf das Studium nach Erfurt. Während eines kurzen Aufenthalts in der Heimat fasste er 1750 eine schwärmerische Neigung zu seiner Cousine Marie Sophie Gutermann von Gutershofen (La Roche, Marie Sophie von), mit der er bis 1753 verlobt war und auch nach der Trennung freundschaftlich verbunden blieb. 1750-52 studierte er in Tübingen Jura. 1752 folgte Wieland einer Einladung J. J. Bodmers nach Zürich und blieb dort bis 1758; 1759 ging er als Hauslehrer nach Bern, wo er sich mit Julie von Bondeli verlobte, 1760 aber die Verlobung wieder löste. Im selben Jahr wurde Wieland Ratsherr, wenig später Kanzleidirektor in Biberach an der Riß; konfessionelle Streitigkeiten, finanzielle Schwierigkeiten und persönliche Konflikte bestimmten jene Zeit. 1765 heiratete er die Augsburger Patriziertochter Dorothea von Hillengrand (* 1746, ✝ 1801); aus dieser Ehe gingen 14 Kinder hervor. 1769 wurde Wieland Professor der Philosophie und kurmainzischer Regierungsrat an der Universität in Erfurt, von wo aus er bald Beziehungen zum Halberstädter Kreis (J. W. L. Gleim, J. G. Jacobi) aufnahm. 1772 berief ihn Herzogin Anna Amalia zum Erzieher ihrer beiden Söhne nach Weimar. Nach der Regentschaftsübernahme durch Karl August (1775) lebte er als freier Schriftsteller weiter in Weimar, 1797-1803 auch oft auf seinem Landgut in Oßmannstedt nahe der Stadt.
 
Wielands poetisches Werk repräsentiert wie kein anderes des 18. Jahrhunderts die Entwicklung des deutschen Geisteslebens von A. Haller bis zur Romantik. Die ersten Schriften atmen noch den Geist einer enthusiastisch-empfindsamen Religiosität (u. a. »Die Natur der Dinge«, 1752, ein gegen Lukrez gerichtetes Lehrgedicht). Die in Hexametern geschriebenen »Briefe von Verstorbenen an hinterlassene Freunde« (1753), die lehrhaften Prosastücke »Sympathien« (1756) und die von G. E. Lessing scharf kritisierten »Empfindungen eines Christen« (1757) zeigen ihn auf der Höhe emphatischer Tugend- und Seelenschwärmerei. In Zürich entstand als Nachdichtung einer Tragödie von N. Rowe das bürgerliche Trauerspiel »Lady Johanna Gray« (1758), das erste deutsche Drama in Blankversen.
 
In der Biberacher Zeit lernte er auf Schloss Warthausen, Sitz des ehemaligen kurmainzischen Ministers Reichsgraf Friedrich von Stadion-Warthausen (* 1681, ✝ 1768), die französisch bestimmte Kultur und Literatur des Rokokos kennen. Unter diesem Einfluss und dem der persönlichen Konflikte wandelte sich der Charakter seiner Werke, die nun von Skepsis und Ironie, aber auch von heiterer Anmut und Eleganz geprägt sind. Dieser neue Ton wird erstmals deutlich in der Ritterroman-Parodie »Der Sieg der Natur über die Schwärmerey oder Die Abentheuer des Don Sylvio von Rosalva« (1764). In den »Comischen Erzählungen« (1765) werden griechische Göttergeschichten auf für die Zeitgenossen ungewohnt frivole Weise in eleganten Versen wiedergegeben. Unter dem Einfluss von L. Sterne und H. Fielding schuf Wieland mit der »Geschichte des Agathon« (2 Bände, 1766/67; zunächst anonym; erweiterte Fassungen 1773 und 1794) den ersten großen Bildungs- und Erziehungsroman der deutschen Literatur, der - in antikem Gewand - sowohl psychologische als auch gesellschaftliche Dimensionen einbezieht. Als Ziel eines wechselvollen Lebensweges erscheint der harmonische Ausgleich zwischen vernunftbeherrschter Sinnlichkeit und einer durch ästhetische Moralität bestimmten Daseinsfreude. Diesen Ausgleich verkündete auch die durch Lukian angeregte kleine Verserzählung »Musarion, oder Die Philosophie der Grazien« (1768). Wieland gehörte inzwischen zu den wichtigsten Repräsentanten des deutschen Literaturlebens. Angefeindet wurde er von den Mitgliedern des Göttinger Hains, die F. G. Klopstock verherrlichten und sogar Werke Wielands verbrannten. Hauptwerk der Erfurter Zeit ist der politisch-satirische Roman »Der goldne Spiegel« (4 Bände, 1772), der in Form einer Rahmenerzählung im orientalischen Dekor Probleme aufgeklärt-moderner Staatsführung erörtert. Dieser »Fürstenspiegel« gab auch den Anlass für Wielands Berufung nach Weimar, wo er in den folgenden Jahrzehnten die Weimarer Klassik mit prägte. Zunächst aber rief eines seiner Werke für die Weimarer Hofbühne, das Singspiel »Alceste« (1773), das den antiken Alkestis-Stoff nach dem empfindsamen Zeitgeschmack gestaltete, den Spott Goethes hervor, der in dieser Zeit ganz den Idealen des Sturm und Drang verpflichtet war (Prosafarce »Götter, Helden und Wieland«, 1774). In den Dramen der klassischen Zeit griff Goethe dann allerdings auf die ästhetischen Prinzipien Wielands zurück.
 
Für die Erziehung von Geist und Geschmack des deutschen Bürgertums war Wielands Zeitschrift »Der Teutsche Merkur« (nach dem Vorbild des Mercure de France, herausgegeben 1773-89 in 68 Bänden) von großer Bedeutung. Wieland veröffentlichte die meisten seiner Werke fortan zuerst dort, so auch 1774-80 den geistreich-satirischen Narrenroman »Die Abderiten. Eine sehr wahrscheinliche Geschichte« (1781 unter dem Titel »Geschichte der Abderiten«, 2 Bände), der unter antiker Maske scharfe Zeitkritik am deutschen Spießbürgertum verbirgt. Auch das romantische Heldengedicht »Oberon« wurde zunächst im »Teutschen Merkur« veröffentlicht (1780); in dieser Dichtung, die Goethe als »ein Meisterstück poetischer Kunst« hoch schätzte, vereinigen sich Anmut und Musikalität der Form mit heiter-gelöster Märchenfantasie und einem tiefen Gehalt. Wichtigstes Alterswerk ist der weit ausholende Briefroman »Aristipp und einige seiner Zeitgenossen« (4 Bände, 1800-02), das letzte große Werk der deutschen Aufklärung, das in seiner Stofffülle schon auf den kulturhistorischen Roman des 19. Jahrhunderts weist.
 
Gleichberechtigt neben den eigenen dichterischen Arbeiten und der Herausgebertätigkeit (u. a. »Dschinnistan oder auserlesene Feen- und Geistermährchen«, 3 Bände, 1786-89) stehen Wielands bedeutende Übersetzungen. Bereits in Biberach entstand die Prosaübertragung von 22 Stücken Shakespeares (»Theatralische Werke«, 8 Bände, 1762-66), die zum literarischen Ruhm Wielands wesentlich beitrug und durch die der englische Dramatiker zum ersten Mal dem deutschen Publikum in großem Umfang zugänglich wurde und damit die ungewöhnlich breite Shakespearerezeption in Deutschland einleitete. Später übersetzte Wieland Horaz und Lukian, der ihn zu eigenen Dialogen anregte: »Dialoge im Elysium« (1780-82) und »Neue Göttergespräche« (1791). Übersetzungen des Aristophanes, Xenophon und Euripides, die den Hauptinhalt der von Wieland gegründeten Zeitschrift »Attisches Museum« (4 Bände, 1796-1803) ausmachten, sowie die Übertragung der Briefe Ciceros schlossen sich an. Ab 1794 arbeitete er an der Ausgabe letzter Hand seiner »Sämmtlichen Werke« (45 Bände, 1794-1811, erschienen bei G. J. Göschen).
 
Wielands eleganter Stil, hintergründiger Humor und überlegene Urteilsfähigkeit haben zur Belebung der deutschen Literatur in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts entscheidend beigetragen. Er war es, auf den die lange Zeit Goethe zugeschriebene Prägung des Begriffs von der Weltliteratur zurückgeht (um 1790). Der schnelle Wandel der literarischen und ästhetischen Anschauungen und Wertungen ab etwa 1770 sowie die zum Teil vehementen Anfeindungen führten dazu, dass er schon am Ende des 18. Jahrhunderts mehr und mehr in den Hintergrund trat und nach seinem Tod fast ganz in Vergessenheit geriet. Erst seit den 1950er-Jahren erwachte das Interesse an dem form- und sprachgewandten, geistreichen und liebenswürdigen Autor neu.
 
 
Weitere Werke: Dichtungen: Lobgesang auf die Liebe (1751); Anti-Ovid, oder die Kunst zu lieben (1752); Idris (1768, unvollendet).
 
Epen: Der gepryfte Abraham (1753); Der Noah (1753); Cyrus (1759, Fragment); Die Grazien (1770); Der Neue Amadis, 2 Bände (1771).
 
Romane: Sokrates mainomenos oder Die Dialoge des Diogenes von Sinope (1770); Geheime Geschichte des Philosophen Peregrinus Proteus, 2 Bände (1791); Agathodämon (1799).
 
Sonstiges: Beyträge zur Geheimen Geschichte des menschlichen Verstandes und Herzens, 2 Bände (1770); Briefe an einen Freund über das deutsche Singspiel Alceste (1773); Gespräche unter vier Augen (1799).
 
Ausgaben: Briefwechsel, herausgegeben von H. W. Seiffert, auf zahlreiche Teile berechnet (1963 folgende); Ausgewählte Werke, herausgegeben von F. Beissner, 3 Bände (1964-65); Werke, herausgegeben von F. Martini u. a., 5 Bände (1964-68); Wielands Werke, herausgegeben von H. Böhm, 4 Bände (31984); Gesammelte Schriften, herausgegeben von der Deutschen Kommission der Preußischen Akademie der Wissenschaften, 15 Bände (Neuausgabe 1986-87); Werke, herausgegeben von G.-L. Fink, auf 12 Bände berechnet (1986 folgende); Politische Schriften, herausgegeben von J. P. Reemtsma u. a., 3 Bände (1988); Sophie Brentano - C. M. Wieland. Briefe und Begegnungen, herausgegeben von O. Drude (Neuausgabe 1989).
 
Literatur:
 
C. Sommer: C. M. W. (1971);
 
C. M. W., hg. v. H. Schelle (1981);
 G. Günther u. H. Zeilinger: W.-Bibliogr. (Berlin-Ost 1983);
 H. Radspieler: C. M. W., 1733-1813. Leben u. Wirken in Oberschwaben (1983);
 
C. M. W., hg. v. H. Schelle (1984);
 
W.-Kolloquium Halberstadt 1983, hg. v. T. Höhle (Halle/Saale 1985);
 
C. M. W. u. die Antike (Stendal 1986);
 T. C. Starnes: C. M. W. Leben u. Werk, 3 Bde. (1987);
 
C. M. W. Epoche - Werk - Wirkung, Beitrr. v. S.-A. Jørgensen u. a. (1994);
 H.-U. Mielsch: Die Schweizer Jahre dt. Dichter. C. M. W.. .. (Zürich 1994);
 K. Schaefer: C. M. W. (1996).
 
W.-Studien, hg. vom W.-Archiv Biberach (1991 ff., zweijährl.).
 
 2) Hans Beat, schweizerischer Maler, * Gallusberg (heute zu Mörschwil, Kanton Sankt Gallen) 11. 6. 1867, ✝ Kriens 23. 8. 1945; malte (zum Teil großformatige) stimmungsvolle schweizerische Berglandschaften und Genreszenen; schuf auch Buchillustrationen.
 
 3) Heinrich Otto, Chemiker, * Pforzheim 4. 6. 1877, ✝ München 5. 8. 1957; Professor an der Universität München (1909-17) und an der TH München, 1921-25 in Freiburg im Breisgau, dann wieder in München. Wieland untersuchte zahlreiche Naturstoffe, u. a. biologisch wichtige Sterine sowie Alkaloide, Glykoside und Pterine. Für seine Forschungen über den Aufbau der Gallensäuren erhielt er 1927 den Nobelpreis für Chemie.

Universal-Lexikon. 2012.