Gẹnf:
Schweizer Kanton u. Stadt.
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Gẹnf,
französisch Genève [ʒə'nɛːv],
1) Hauptstadt des gleichnamigen schweizerischen Kantons, am Ausfluss der Rhône aus dem Genfer See, 375 m über dem Meeresspiegel, 172 800 Einwohner. Als geistiger Mittelpunkt der französischen Schweiz hat Genf Universitäten (1559 von Calvin als Akademie gegründet, seit 1873 Universität; integriert sind zahlreiche Institute und Hochschuleinrichtungen, u. a. Schule für Architektur, Dolmetscherschule, Institut für Geschichte der Reformation, Institut für internationale Studien); Institut Batelle für angewandte Forschung, Konservatorium, Kunstschulen, Ingenieur- und Uhrmacherschule; Staatsarchiv, Bibliotheken (u. a. Bibliothek der UNO); Theater, Museen, u. a. Kunst- und Historisches Museum, Ethnographisches Museum, Collection Baur (chinesische und japanische Kunst), Museum Barbier-Muller (Völkerkunde), Naturhistorisches Museum, Uhrmacher- und Emailleriemuseum; im benachbarten Cologny die berühmte Fondation Martin Bodmer (Handschriften, Inkunabeln); Observatorium; botanischer Garten. Genf ist Sitz zahlreicher internationaler Organisationen, u. a. des europäischen Zentrums der UNO sowie verschiedene Unterorganisationen wie Internationale Arbeitsorganisation (ILO), Weltgesundheitsorganisation (WHO), Internationale Fernmelde-Union (ITU), Sitz Welthandelsorganisation (WTO), der Internationalen Umweltakademie, ferner des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), kirchliche Organisationen (Ökumenischer Rat der Kirchen und Lutherischer Weltbund); nordwestlich von Genf in Meyrin befindet sich das Forschungszentrum von CERN.
Genf ist ein bedeutendes Bank-, Handels- (mit Messen und Ausstellungen, u. a. der jährlich stattfindende Internationale Automobilsalon), Verkehrs- und Fremdenverkehrszentrum sowie ein internationaler Kongress- und Konferenzort. Die Industrie umfasst besonders Maschinenbau (u. a. Lokomotiven, Turbinen, Transformatoren), Herstellung von Uhren (seit dem 16. Jahrhundert; im 17. Jahrhundert durch Hugenotten gefördert und über den Jura verbreitet) und Präzisionsgeräten, Bekleidungs-, Nahrungs- und Genussmittelindustrie, grafische Gewerbe (zahlreiche Verlage), chemische und pharmazeutische Industrie. Der internationale Flughafen Cointrin nordwestlich von Genf ist der zweitgrößte des Landes.
Im Mittelpunkt der Altstadt liegt die Kathedrale Saint-Pierre (begonnen um 1160, 1232 vollendet), eine dreischiffige Basilika mit hervorragender Bauplastik, besonders die spätromanische bis frühgotische Kapitelle; die Makkabäerkapelle am südlichen Seitenschiff ist das erste Beispiel für den Flamboyantstil in Genf; Säulenportikus (1752-56) von B. Alfieri; vom Vorgängerbau wurde ein Raum mit Fußbodenmosaik und Wandbemalung freigelegt (zwischen 4. und 6. Jahrhundert). Unter dem Temple d'Auditoire (heutige Gestalt 15. Jahrhundert), in dem J. Calvin predigte, wurde eine zweite frühchristliche Kathedrale mit Baptisterium nachgewiesen. Weitere Kirchen: in der Altstadt der Temple de la Madeleine (14./15. Jahrhundert), an der Stelle mehrerer Vorgängerbauten (Grabungen zugänglich), und Saint-Germain (1460, Vorgängerbauten seit 5. Jahrhundert); am Nordrand der Altstadt die älteste protestantische Kirche, der Temple de la Fusterie (1713-15); jenseits der Rhône Saint-Gervais, 1435 bis vor 1446 über verschiedene Vorgängerbauten errichtet, mit romanischer Krypta. Ein bedeutender Profanbau der Altstadt ist das Rathaus, ein in mehreren Bauperioden (seit 15. Jahrhundert) gewachsener Komplex; zahlreiche Bürgerhäuser v. a. des 15.-18. Jahrhunderts, das älteste die Maison Tavel (nach 1334); Collège Saint-Antoine (1558-62), die alte Akademie J. Calvins. Die Schleifung der Stadtmauern (19. Jahrhundert) ermöglichte die Ausdehnung der Stadt, die Anlage von Promenaden und Quais; an der Place Neuve liegen Museum Rath (1824/25), Konservatorium (1857/58) und Theater (1874-79), auf der Promenade des Bastions die Universität (1869-72) und das Reformationsdenkmal (1909-17); im Norden der Stadt liegen das Palais des Nations (1929-37) u. a. UNO-Gebäude. - Das heutige Stadtbild wird stark von Bauten der modernen Architektur geprägt. 1928/29 wurde nach Plänen von M. Braillard das Wohn- und Geschäftshaus »Les Tilleuls« (La Rotonde) um einen offenen Hof errichtet; als ersten Stahlskelettbau in Genf schuf Le Corbusier 1930-32 an der Rue Adrien Lachenal die »Maison Clarté«; 1961/62 bauten A. Bugna und G. Candilis die »Französische Primarschule« im Stadtteil Villereuse; die Eisenkonstruktion des »Pavillon du Désarmement« entwickelten 1931/32 A. Guyonnet und L. Perrin; den Bau für die Weltgesundheitsorganisation mit Fassaden aus vorgefertigten Elementen schufen 1966 J. Tschumi und P. Bonnard; die Gebäude des Flughafens (1968) sind ein Werk von J. Camoletti und J. Ellenberger; ein Architektenteam unter Leitung von Peter Böcklin und Predrag Petrović erbaute 1988-92 das »Théâtre pour Enfants«, erstes und einziges Theater der Schweiz, das ausschließlich Kindern und Jugendlichen vorbehalten ist; 1994 wurde das Musée d'art moderne et contemporaine (MAMCO) eröffnet, das nach Umbau eines ehemaligen Fabrikgebäudes entstand.
Genfs Ursprünge reichen auf den von Caesar erwähnten Hauptort der keltischen Allobroger Genava sowie eine in caesarianischer Zeit entstandene römische Siedlung zurück. Im ausgehenden 4. Jahrhundert wurde Genf Bischofsstadt, 443-61 war es Sitz der burgundischen Könige. Nach Eroberung durch die Franken (534) kam Genf an das Fränkische Reich. Mit dessen Verfall gelangte es 887 zum neuen Königreich Burgund (Hochburgund). 1124 konnten sich die Bischöfe im Kampf um das Stadtregiment gegen die Grafen von Genevois endgültig durchsetzen (bis 1534). Von der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung der Stadt zeugten im 14./15. Jahrhundert die Genfer Messen. Die Stadt verbündete sich 1526 mit Freiburg und Bern gegen die ständigen Übernahmeversuche Savoyens. Der seit langem bestehende Gegensatz zwischen Bürgerschaft und bischöflichen Stadtherrn begünstigte 1534 das von Bern durch die Entsendung von G. Farel unterstützte Vordringen der Reformation. Mit dem Verlassen der Stadt durch den Bischof zog sich Freiburg aus dem Bündnis zurück. Gemeinsam mit Berner Truppen verteidigte sich Genf 1536 gegen einen Angriff Savoyens. Seit 1536 wirkte J. Calvin in der Stadt, die er zur Hochburg des reformierten Bekenntnisses (»protestantisches Rom«) machte. Der ständigen Bedrohung durch Savoyen begegnete Genf durch ein Bündnis mit Zürich und Bern (1584, »Ewiges Bündnis«). Im 17./18. Jahrhundert widersetzten sich die Bürger in mehreren Aufständen der trotz republikanischen Verfassung immer aristokratischer werdenden Regierung. Die Auseinandersetzungen um die Stadtverfassung fanden 1791 unter dem Eindruck der Französischen Revolution mit der Einsetzung einer revolutionären Regierung (nach französischem Muster) ein Ende. 1798 annektierte Frankreich Genf und machte es zur Hauptstadt des Départements du Léman. Mit dem Ende der französischen Herrschaft trat Genf 1814 der Eidgenossenschaft bei (Genf 2). Es wurde 1864 Sitz des IRK; 1920-46 war es Sitz des Völkerbundes.
Kunstführer durch die Schweiz, hg. v. H. Jenny u. a., Bd. 2 (Wabern 51976);
C. Hussy: Genève. Étude régionale (Bern 1980);
R. Guerdan: Histoire de Genève (Paris 1981);
Encyclopédie de Genève, hg. v. C. Santschi u. a., 5 Bde. (Genf 1982-86);
2) Kanton in der französisch-sprachigen Schweiz, 282 km2, (1999) 403 100 Einwohner; Hauptstadt ist Genf. Der Kanton ist ein Hügelland aus eiszeitlichen Ablagerungen um das südwestliche Ende des Genfer Sees, das im Westen vom Jura, im Süden und Osten von den Savoyer Alpen umrahmt wird.
Nach der Verfassung vom 24. 5. 1847 (mehrfach geändert und ergänzt) üben das Volk und der Große Rat (Grand Conseil) die Gesetzgebung aus. Der Große Rat (100 Mitglieder) wird nach dem Proporzverfahren auf vier Jahre vom Volk gewählt (Stimmrecht für Frauen seit 1960). Es können nur Parteien oder Gruppierungen einziehen, die mindestens 7 % der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen. - Die oberste vollziehende Behörde ist der siebenköpfige Staatsrat (Conseil d'État), der alle vier Jahre neu gewählt wird. Verfassungsänderungen und Gesetze des Großen Rates unterliegen einem Referendum. Initiativen zu Gesetzesänderungen bedürfen der Unterstützung von 10 000 Stimmberechtigten. Genf entsendet 11 Vertreter in den Nationalrat und 2 Vertreter in den Ständerat. - Die obersten kantonalen Gerichte sind das Kantonsgericht (»Cour de Justice«) und das Verwaltungsgericht (»Tribunal administratif«).
Das Kantonswappen zeigt in einem geteilten Schild links den halben Reichsadler und rechts den Schlüssel Sankt Peters, des Patrons des Bistums Genf, in den Farben Rot-Schwarz-Gelb.
95 % der Bevölkerung wohnen in der städtischen Agglomeration Genf; der Anteil der Ausländer ist mit rd. 37 % hoch (Schweiz: 19 %). Von der Bevölkerung sind 51 % Katholiken, 32 % Reformierte und 1 % Juden.
Das Schulwesen umfasst zwei fakultative Jahre Kindergarten, sechs Jahre Primarschule, drei Jahre Beobachtungsschule (Schulpflicht neun Jahre), Gymnasiumtypen A, B, C, D sowie musische Gymnasium, Handelsdiplom- und Handelsmaturitätsschulen, Diplommittelschulen, höhere pädagogische Lehranstalten, Berufsschulen, Technikerschule und Höhere Technische Lehranstalt, landwirtschaftliche Fachschulen und Technikum, Kunstschulen, Konservatorien.
Der Kanton Genf ist das bedeutendste Wirtschaftszentrum der Westschweiz, überwiegend vom Dienstleistungssektor geprägt, in dem von den insgesamt 189 531 Beschäftigten rd. 80 % tätig sind. Konzentriert auf die Stadt Genf spielen v. a. Unternehmen des Finanzsektors (Banken, Versicherungen, Vermögensverwaltungen) und internationale Organisationen sowie der Tourismus eine überragende Rolle. Der Anteil des sekundären Sektors an den Beschäftigten beträgt nur 19 %. Traditionelle Branchen sind die Uhrenherstellung, der Maschinenbau und die Nahrungsmittelindustrie; Bedeutung erlangten zunehmend Elektronik- und chemische Industrie. 46 % der Gesamtfläche werden landwirtschaftlich genutzt; es werden v. a. Gemüse, Obst, Blumen sowie Getreide angebaut und Weinbau betrieben. Mit einem Volkseinkommen je Einwohner von (1993) 50 707 sfr liegt der Kanton an 4. Stelle unter den 26 Kantonen (Schweiz: 43 704 sfr je Einwohner).
Mit dem Ende der napoleonischen Herrschaft (seit 1798) erlangte die Stadt Genf mit ihrem Umland 1814 die Unabhängigkeit zurück. Im gleichen Jahr wurde das Gebiet als 22. Kanton in die Eidgenossenschaft aufgenommen. Die Kantonalverfassung von 1814 wurde 1847 auf Betreiben der radikaldemokratischen Opposition durch eine neue ersetzt; 1907 erfolgte die Trennung von Kirche und Staat.
3) Bistum, Lausanne-Genf-Freiburg.
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Calvins Genfer Reformation: Erwählte und Verdammte
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Gẹnf: Kanton u. Stadt in der Schweiz.
Universal-Lexikon. 2012.