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Saint-Pierre
I
Saint-Pierre
 
[sɛ̃'pjɛːr],
 
 1) Hauptort auf Guernsey, Saint Peter Port.
 
 2) ehemalige Hauptstadt von Martinique, 1902 beim Ausbruch der Montagne Pelée zerstört.
 
II
Saint-Pierre
 
[sɛ̃'pjɛːr],
 
 1) Charles-Irénée Castẹl [k-], Abbé de, französischer Geistlicher und Schriftsteller, * Saint-Pierre-Église (bei Cherbourg) 18. 2. 1658, ✝ Paris 29. 4. 1743; aufklärerischer Kritiker, forderte neben einer Reform des Klerus u. a. die Dezentralisation der Staatsverwaltung. Im Anschluss an den Frieden zu Utrecht (1713) sah er in der Errichtung eines europäischen Staatenbundes die Grundlage zu einem beständigen Frieden. Sein Plan eines ewigen Friedens (»Projet pour rendre la paix perpétuelle en Europe«, 3 Bände, 1713-17; deutsch »Der Traktat vom ewigen Frieden«) beeinflusste J.-J. Rousseau.
 
 2) Jacques Henri Bernardin de [bɛrnar'dɛ̃-], französischer Schriftsteller, * Le Havre 19. 1. 1737, ✝ Éragny-sur-Oise (Département Val-d'Oise) 21. 1. 1814; Ingenieur; unternahm ausgedehnte Reisen durch Mittel- und Osteuropa und nach Übersee, mit längerem Aufenthalt auf der Île de France (Mauritius). Sein Reisebericht »Voyage à l'Île de France« (1773) hat die Negersklavendebatte in sozialreformerischer Richtung beeinflusst. Im Geist J.-J. Rousseaus, mit dem er in Verbindung stand (»La vie et les ouvrages de Jean-Jacques Rousseau«, herausgegeben 1907), idealisierte er die Natur im Sinne einer auf den Menschen hin gerichteten Ordnung, wobei naive Thesen neben Schilderungen besonders der exotischen Natur von neuer Anschaulichkeit und Intensität stehen. Saint-Pierre eröffnete der französischen Literatur das Feld der exakten Naturbetrachtung. Umfangreichen Studien (»Études de la nature« 1784; »Les harmonies de la nature«, 3 Bände, herausgegeben 1815) folgten erzählende Werke: »La chaumière indienne« (1791; deutsch »Die indische Hütte«) und v. a. die tragische Idylle »Paul et Virginie« (1789; deutsch »Paul und Virginie«). Hier schildert er eine in paradiesischer Natur (auf Mauritius) spielende Kinderliebe, die v. a. durch Einwirkungen der Zivilisation zerstört wird; damit verband er moralische und kulturkritische Tendenzen in der Nachfolge Rousseaus. Der empfindsame Roman hatte eine außerordentliche Nachwirkung. Die Naturschilderungen haben das Amerikaerleben und die Pflanzengeographie A. von Humboldts mitgeprägt. Darüber hinaus hat Saint-Pierre (besonders mit »Paul et Virginie«) die französische Romantik stark beeinflusst (F. R. de Chateaubriand, A. de Lamartine, George Sand, außerhalb Frankreichs E. A. Poe); sein Werk wirkte in der realistischen erzählenden Literatur des 19. Jahrhunderts weiter (H. de Balzac, G. Flaubert, T. Storm, W. Raabe), in der Verklärung tropischer Natur noch im 20. Jahrhundert (spürbar u. a. bei Tania Blixen, A. Carpentier, J.-M. G. Le Clézio).
 
Ausgabe: Œuvres complètes, herausgegeben von L. Aimé-Martin, 12 Bände (1818).
 
Literatur:
 
H. Hudde: B. de S.-P.: Paul et Virginie. Studien zum Roman u. seiner Wirkung (1975);
 P. Robinson: B. de S.-P.: Paul et Virginie (London 1986).
 

Universal-Lexikon. 2012.