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Wikinger
Wi|kin|ger 〈a. [vị-] m. 3〉 = Normanne; oV Wiking [vermutl. zu Wiek „kleine Bucht“]

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Wi|king, der; -s, -er, Wi|kin|ger, der; -s, - [auch: 'vɪ…]:
Angehöriger eines nordgermanischen Volksstammes.

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I
Wikinger
 
[altnordisch víkingr »Mitglied einer Gefolgschaft«, vielleicht von nordisch vik »Bucht« oder lateinisch vicus »Handelsplatz«, vergleiche Wiek], Bezeichnung für die Bewohner Nordeuropas (Schweden, Norwegen und Dänemark) im 9.-11. Jahrhundert, die vorübergehend oder langfristig in weiten Teilen Europas als Kaufleute (häufig genossenschaftlich organisiert), räuberische Gefolgschaften und Landnehmer präsent waren. Im Westen und in Sizilien waren sie auch als Normannen bekannt, im Osten als Rus und Waräger.
 
Die Gründe für das weite Ausgreifen über ihr nordeuropäisches Ursprungsgebiet hinaus müssen sehr unterschiedlich gewesen sein. Erwerbsstreben wird dabei ebenso eine Rolle gespielt haben wie der u. a. durch Bevölkerungsdruck und gewandelte gesellschaftliche Strukturen bedingte Wunsch, Neuland zu gewinnen. Zudem lud der innere Zustand des nach dem Tod Karls des Großen zerfallenden Fränkischen Reiches und der untereinander verfeindeten angelsächsischen Reiche zu Plünderungszügen ein. Auf dem Kontinent und den Britischen Inseln traten die Wikinger als Krieger, Händler und Siedler allerdings nicht zahlreich genug auf, um sich in diesen bereits dicht besiedelten Regionen dauerhaft durchzusetzen. Dagegen wurden die bis dahin unbesiedelten Färöer, Island und zeitweilig auch Grönland von ihnen als landnehmenden Bauern skandinavisiert. Die wichtigste Voraussetzung für die Überseeexpansion war das Wikingerschiff.
 
In ihren nordischen Heimatgebieten waren die Wikinger überwiegend Bauern, die v. a. Viehzucht, aber auch Ackerbau betrieben. Sie bewirtschafteten Dänemark, das südlichste Schweden, die Mälarregion, das Gebiet um den Oslofjord sowie weiter nordwärts gelegene Küstenzonen, während binnenländische Landesteile fast nur als Jagdgründe und zur Eisengewinnung erschlossen wurden. Vorherrschend waren Einzelhöfe, im Süden gab es aber auch kleine Dörfer. Ballungszentren frühstädtlicher Form entstanden erst im Lauf des 9. Jahrhunderts durch die ausgreifende Handelstätigkeit - so in Birka, im Grenzgebiet zum Fränkischen Reich in Haithabu und in geringerem Umfang in Kaupang bei Larvik in Südnorwegen. Erst um die Jahrtausendwende errichteten die Wikinger in Dänemark auch große Burgen, die als Sammlungsplätze für die Englandfahrten dienten und zur Stabilisierung des dänischen Königreichs unter Sven Gabelbart (986-1014) und Knut der Große (1018-35). In Norwegen war schon in der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts (Schlacht am Hafrsfjord bei Stavanger, 872?) unter Harald Schönhaar (860-930) vorübergehend ein zentralisiertes Reich entstanden, dem sich einer späteren Tradition zufolge viele Häuptlingsgeschlechter und Großbauern durch Auswanderung (v. a. nach Island) entzogen. In Schweden entwickelte sich der Kern des Reiches um den Mälarsee.
 
Die Christianisierung der Skandinavier, die zum Teil bis ins 11. Jahrhundert an den Hauptgottheiten Odin, Thor, Freyr, Freyja und Baldr festhielten (in Island wurde im Jahr 999/1000 auf Beschluss des Althings landesweit das Christentum eingeführt), geschah auf zwei Wegen: Dänemark und Schweden standen unter dem Einfluss der fränkischen Mission (Missionsreise Ansgars in der 1. Hälfte des 9. Jahrhunderts), Norwegen und Island wurden von England aus christianisiert. Einen sichtbaren Höhepunkt erreichte die Mission in Dänemark im ausgehenden 10. Jahrhundert am Königshof Harald Blauzahns (etwa 940-985/987) in Jelling in Jütland, dort u. a. dokumentiert auf einem Runenstein mit Christusdarstellung. Aber noch nach der Mitte des 11. Jahrhunderts berichtet Adam von Bremen über heidnische Bräuche mit Menschen- und Tieropfern in Uppsala.
 
Als Handwerker und Künstler verzierten die Wikinger Metallgegenstände wie Fibeln, Gürtelschnallen und Waffen unter Fortführung germanischer Traditionen der Völkerwanderungszeit (Tierstil) und schufen die einzigartigen hölzernen Stabkirchen des 11. und 12. Jahrhunderts Eine besondere Stellung nahm die Schiffbaukunst ein.
 
In der Wikingerzeit liegen auch die Wurzeln der reichhaltig überlieferten altnordischen Literatur in der Form der mythologischen und heroischen edd. Dichtung (Edda), der Skaldendichtung und zum Teil wohl auch der erzählenden Prosaliteratur, die dann im 13. Jahrhundert als Saga v. a. auf Island eine besondere Literaturgattung bildete.
 
Die Züge der Wikinger:
 
787 tauchten die ersten Wikinger in Westeuropa auf, 793 plünderten sie das Kloster Lindisfarne (Holy Island) vor der englischen Nordostküste. Seitdem erschienen sie immer häufiger in wachsenden Gruppen von Gefolgschaften bis zu großen militärischen Kontingenten als plötzlicher Angreifer, deren Überraschungseffekt gefördert wurde durch ihre Überlegenheit als Seefahrer. V. a. bedrohten sie die Britischen Inseln sowie das westliche Frankenreich von Dänemark und Norwegen aus. Bald kam es auch zu ersten Überwinterungen, woraus sich an manchen Orten eine langfristige Sesshaftigkeit ergab. Gräber von Männern und Frauen mit typisch wikingischen Waffen- und Trachtenausstattung bezeugen das auch archäologisch. Im Lauf des 9. Jahrhunderts sowie noch einmal am Ende des 10. Jahrhunderts verheerten die Wikinger die Küstenbereiche und über die großen Ströme sogar das Binnenland. Opfer wurden Hafenplätze wie Dorestad ebenso wie Köln, Trier, Paris, die zum Teil wiederholt niedergebrannt wurden. Die Wikingerheere forderten häufig Tributzahlungen als Ersatz für Plünderungen (»Danegeld«). Solche Silbermünzen finden sich in großer Zahl in Skandinavien als Grabbeigaben oder Depotfunde; sie tragen wesentlich zur Datierung von Wikingerzügen bei. Bereits für die Mitte des 9. Jahrhunderts sind auch Plünderungszüge in den Mittelmeerraum belegt, die bis Pisa und Lucca führten. Dabei erlaubten die Schiffe mit geringem Tiefgang auch überraschende Landungen an seichten Küsten, zuweilen sogar mit Pferden, auf denen Angriffe an Land fortgesetzt wurden.
 
In England gelang es Alfred dem Großen in der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts, wikingische Niederlassungen im Danelaw auf den Raum nördlich der Linie London-Chester zu begrenzen. Zahlreiche bewahrte Ortsnamen skandinavischer Prägung spiegeln das heute noch. Im Bereich des Danelaw nahmen sie die Five Boroughs (Lincoln, Stamford, Leicester, Derby und Nottingham) in Besitz und gründeten in York ein Königtum. Nach der Ermordung aller Dänen in Südengland 1002 führten dänische Könige Invasionsflotten erfolgreich gegen England.
 
Anfängliche Überfälle auf Irland führten dort ebenfalls zu wikingischen Herrschaftsbildungen. Dabei entwickelte sich Dublin, das einer der Hauptstützpunkte der Skandinavier in Westeuropa war, zeitweilig zur Hauptstadt eines norwegisch geprägten Königreichs. Doch wie in den übrigen bisher genannten Regionen war auch hier der nordische Einfluss nicht von Dauer. Das gilt eingeschränkt ebenfalls für die Hebriden, die Orkneyund die Shetlandinseln, wo jedoch in der Sprache skandinavische Elemente bis in die frühe Neuzeit bewahrt blieben.
 
Anders verhält es sich mit den weiter nordwärts gelegenen Inseln. Die Färöer wurden im 9. Jahrhundert von Norwegen aus besiedelt. Sie sind seitdem zu einem norden Land geworden. Das trifft auch für Island zu, das ab 870/874 von den Wikingern besiedelt wurde. Dorthin führte eine Auswanderungswelle vornehmlich von Norwegen aus. Auf Flotten aus offenen Schiffen brachten die Siedler Hab und Gut einschließlich des notwendigen Viehbestands für einen Neubeginn über den Nordatlantik mit. Um 930 war die Landnahme abgeschlossen; damals wohnten bereits etwa 30 000 Personen als königsfreie Gemeinschaft auf Island.
 
Grönland
 
wurde um die Jahrtausendwende, zur Zeit des mittelalterlichen Klimaoptimums, unter Führung von Erich dem Roten besiedelt. Es entstanden an der Südspitze und an der Westküste je eine Kolonie mit insgesamt mehreren Hundert Höfen, die einige Jahrhunderte überdauerten. Klimaverschlechterung, Pest, ausbleibender Nachschub und vom Norden vordringende Eskimo sowie fehlende Anpassung an die arktischen Bedingungen trugen zu ihrem Untergang bei.
 
Die weiteste Expansion der Wikinger führte kurzfristig schließlich noch von Grönland aus nach Nordamerika. Mehrfach sind Fahrten dorthin überliefert (Leif Eriksson). Im Norden Neufundlands wurde bei L'Anse aux Meadows eine wikingische Station ausgegraben.
 
Neben der Schreckensbilanz in zeitgenössischen kontinentalen und insularen Quellen, die überwiegend die Sicht der im Norden zu dieser Zeit missionierenden Kirche spiegeln, können zahlreiche archäologische Befunde, die nur im ehemaligen Frankenreich verhältnismäßig spärlich sind, herangezogen werden. Diese lassen die Wikinger nicht mehr vornehmlich als kriegerisches Abenteurer erkennen, sondern als bäuerlicher Siedler, die auf den nordatlantischen Inseln neues Land suchten, sowie in besonderem Maß auch als Kaufleute, die ein umfangreiches Fernhandelsnetz auf den europäischen Wasserwegen errichteten, insbesondere auch auf den russischen Flusssystemen der Wolga und des Dnjepr, über die das Schwarze Meer (Byzanz) und das Kaspische Meer erreicht wurden. Die Skandinavier, in erster Linie Schweden (Waräger), sicherten diese Handelswege auch politisch und waren der Überlieferung nach an der Errichtung des Kiewer Reiches beteiligt. Auf vielen skandinavischen Runensteinen sind in ganz Europa erreichte Ziele verzeichnet, an denen sie unermessliche, in vielen Schätzen gesammelte Reichtümer erwarben. Die Geschwindigkeit und Kapazität ihrer hochseetüchtigen Schiffe waren groß genug, um v. a. kostbare Luxusgüter, auch unter Einsatz trogförmiger Behälter, und Sklaven, die für den arabischen Markt v. a. aus den slawischen Gebieten östlich der Elbe geholt wurden, schnell über weite Strecken zu transportieren. Dafür gründeten sie eigene Hafen- und Handelsplätze als Drehscheiben zwischen Norden und Süden sowie Osten und Westen und nutzten Zentren wie Dorestad, Dublin, London, Bolgary, Kiew und Nowgorod. Durch die Vermittlung der Wikinger wandelte sich auch der Norden von einem naturalwirtschaftlichem zu einem geldwirtschaftlichen Gebiet. Die Wikinger hatten so großen Anteil an der Ausbreitung des christlichen Abendlandes und der Veränderung der politischen Landkarte (Normandie, nordatlantische Inseln, schwedische Expansion nach Finnland u. a.) sowie an einem vom Byzantinischen Reich über die Ost- und Nordsee bis zur Rheinmündung und nach England reichenden Fernhandelssystem.
 
Literatur:
 
E. H. Arbman: Schweden u. das Karoling. Reich (Stockholm 1937);
 K. Eldjárn: Kuml og hangfé (Reykjavík 1956);
 H. Harthausen: Die Normanneneinfälle im Elb- u. Wesermündungsgebiet (1966);
 A. D'Haeneus: Les invasions normandes en Belgique au IXe siècle (Löwen 1967);
 K. J. Krogh: Viking Greenland (Kopenhagen 1967);
 
Die W., hg. v. B. Almgren (1968);
 A. S. Ingstad: The discovery of a Norse settlement in America (Oslo 1977);
 J. Graham-Campbell: Viking artefacts (London 1980);
 P. H. Sawyer: Kings and Vikings - Skandinavia and Europe A. D. 700-1100 (ebd. 1982);
 H. Jankuhn: Haithabu. Ein Handelsplatz der W.-Zeit (81986);
 T. Capelle: Die Eroberung des Nordatlantik (1987);
 T. Capelle: Die W. Kultur- u. Kunstgesch. (21988);
 
W., Waräger, Normannen. Die Skandinavier u. Europa 800-1200, hg. v. E. Roesdahl, Ausst.-Kat. (1992).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
 
Wikinger: Im Drachenboot zu fernen Ufern
 
Wikinger: Schiffsgräber und Runensteine
 
II
Wikinger
 
Als Wikinger (vielleicht »Männer auf Seefahrt«) oder Normannen (»Männer aus dem Norden«) wurden von den Zeitgenossen die heidnischen Dänen, Norweger und Schweden bezeichnet, die ihre Heimatländer verließen, um in der Fremde als Händler, Piraten oder Eroberer Reichtum und Beute zu erwerben.
 
Die Wikingerzüge vom Ende des 8. bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts, die die gesamte christliche Welt in Angst und Schrecken versetzten, hatten vielfältige Ursachen, etwa die durch das Erbrecht hervorgerufene Landnot, die Herrschaftspolitik des skandinavischen Königtums, günstige politische Konstellationen in der abendländischen Welt, aber auch schlicht die Lust am Abenteuer. Die Wikinger waren nicht nur disziplinierte Kämpfer, sondern auch begabte und kühne Seefahrer, die die Segeltechnik beherrschten und mit ihren flachen, mit einem massiven Kiel ausgestatteten Booten in der Lage waren, auch weite Entfernungen auf hoher See zu überwinden. Daneben waren sie erfahrene und weit gereiste Kaufleute, die einen ausgeprägten Sinn für großräumige Handelsbeziehungen, Profit und Risiko erkennen ließen. Ihre Erfolge beruhten neben ihrer Überlegenheit zur See vor allem auf dem Überraschungseffekt und einer äußerst mobilen und flexiblen Kriegsführung.
 
Der erste Wikingerüberfall erfolgte 787 an der Südwestküste Englands. 793 wurde das Kloster Lindisfarne an der englischen Nordostküste geplündert, und wenig später tauchten Wikinger an den Küsten Irlands und des Frankenreiches auf. Im 9. Jahrhundert nahmen die Angriffe immer größere Ausmaße an, sodass die Eindringlinge in den von ihnen heimgesuchten Ländern bereits überwinterten und schließlich dazu übergingen, dort sesshaft zu werden und eigene Herrschaften zu gründen. Während sich die schwedischen Waräger nach Osten wandten, setzten sich norwegische Wikinger auf den Färöer-, Shetland- und Orkneyinseln, den Hebriden sowie im Norden Schottlands, auf der Insel Man, in Irland und im Norden Englands fest. Norwegische Wikinger waren es auch, die in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts Island besiedelten und von dort später nach Grönland und um 1000 unter Leif Eriksson nach Nordamerika vordrangen. Die Züge der dänischen Wikinger konzentrierten sich dagegen vor allem auf England und das westfränkische Reich, wobei es ihnen gelang, Teile Nord- und Mittelenglands (Danelag) sowie die heutige Normandie zu besetzen.
 
Nachdem bereits in der Mitte des 9. Jahrhunderts eine Wikingerflotte plündernd in den Mittelmeerraum vorgedrungen war, errichteten normannische Söldner im 11. Jahrhundert Herrschaften in Süditalien und legten damit den Grund für das spätere Königreich Sizilien. Wikingerheere unter Führung des dänischen Königtums eroberten bis 1016 England, das unter Knut dem Großen Bestandteil eines skandinavischen Großreiches wurde.

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Wi|king [auch: 'vɪ...], der; -s, -er, Wi|kin|ger [auch: 'vɪ...], der; -s, -: Angehöriger eines nordgermanischen Volksstammes.

Universal-Lexikon. 2012.