Ortsnamen,
Siedlungsnamen, Namen von menschlichen Siedlungen. Der Geltungsbereich eines Ortsnamens konnte sich im Lauf der Zeit ändern, z. B. konnte ein Ortsnamen zu einem Gebietsnamen (Mecklenburg: eigentlich »große Burg«) oder zu einem Personennamen werden. Gingen Siedlungen unter, konnten die Ortsnamen als Flurnamen weiterleben. Im Allgemeinen waren die Ortsnamen relativ konstant; zum Ortsnamenswechsel führten v. a. Veränderungen der politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse (so wurde z. B. Köln, das, aus einer Ansiedlung germanischer Ubier entstanden, ursprünglich Oppidum Ubiorum oder Ara Ubiorum hieß, als römische Kolonie nach Agrippina der Jüngeren in Colonia Agrippinensis umbenannt).
Bei den Germanen waren anfangs nur Insassennamen (Sigmaringen »bei den Leuten des Sigmar«) und Geländenamen (Örtlichkeitsnamen) in Gebrauch. Zahlreiche Örtlichkeitsnamen wurden später zu Siedlungsnamen, z. B. Salzungen (»Stelle an der Salzquelle«), Fachingen (»Stelle am Fischwehr«), Goslar (»Weideplatz an der Gose«). Später bezeichneten die Ortsnamen auch bauliche Anlagen, z. B. Brücken (Innsbruck »Brücke über den Inn«) oder Wehranlagen (Kassel »Kastell«). Im Mittelalter zeigte sich die politisch-soziale Ordnung auch in der Ortsnamensgebung, besonders in dem aus dem Personennamen des Grundherrn im Genitiv (Dietz aus »Dietrichs«) zusammen mit einem Grundwort, z. B. -weiler, -hausen, -dorf, -hofen, -rode, -reuth gebildeten Ortsnamenstyp, etwa Rappoltsweiler aus Rātboldes und wīlare (»Dorf des Ratbold«). Die Christianisierung fand ihren Niederschlag in Ortsnamen wie Sankt Gallen, Benediktbeuern. Seit dem 8./9. Jahrhundert traten auch Ortsnamen mit Bestimmungswörtern wie Bischof und Pfaffe auf, z. B. Bischofshofen, Pfaffendorf. Orte mit Klostergründungen hießen z. B. Zell (lateinisch cella »Klosterzelle«), München (»bei den Mönchen«), Münster (lateinisch monasterium »Kloster«, »Einsiedelei«). Namen von stadtähnlichen Siedlungen wurden bis ins 12. Jahrhundert überwiegend mit -burg (seltener mit -berg) gebildet, z. B. Duisburg, Magdeburg, Würzburg; dann drängten Bildungen auf -stat, -stet mit der Bedeutung »Stadt« vor. Die - v. a. vom Rittertum getragene - Kultur des hohen Mittelalters spiegelt sich in zahlreichen Burgennamen auf -burg, -stein, -fels, -eck, die zum Teil zu Ortsnamen geworden sind, z. B. Homburg (»Hohenburg«), Weißenfels. - Die im Zuge der deutschen Ostsiedlung entstandenen Ortsnamen wurden besonders mit den Grundwörtern -au, -bach, -dorf, -feld, -walde und einem Bestimmungswort wie Lieb-, Schön- u. a. gebildet (Schönau, Reichenbach, Waltersdorf). Die Neusiedlungen des 17. und 18. Jahrhunderts erhielten oft den Namen des ehemaligen Heimatortes der Siedler mit dem Vorsatz Neu- (Neukölln).
An die Zeit des Absolutismus erinnern z. B. Karlsruhe, Charlottenburg. Ortsnamenstypen des 20. Jahrhunderts sind Neubildungen für im Zuge der Industrialisierung entstandene Siedlungszentren, wie Freital in Sachsen (1921 nach dem Zusammenschluss von drei Gemeinden in Anlehnung an Freiberg gebildet) oder die mit Bindestrich gebildeten Ortsnamen (Castrop-Rauxel, seit 1926; Villingen-Schwenningen, seit 1972).
Im Deutschen gibt es drei Arten von Ortsnamen: Einfache Ortsnamen sind z. B. Aue (»nasse Wiese«), Fürth (»Furt«), Kassel (»Kastell«, »Wehranlage«). Der ursprüngliche Kasus blieb vielfach erhalten, z. B. München (»bei den Mönchen«), oder wurde durch den Nominativ ersetzt, z. B. Hof (»zum Hofe«). An andere Ortsnamen wurde ein -en erst nachträglich in Analogie angefügt. Die zusammengesetzten Ortsnamen bestehen aus einem ortsbezeichnenden Grundwort (-dorf, -stadt, -heim u. a.) und verschiedenartigen Bestimmungswörtern, z. B. Adjektiven zur näheren Erläuterung (Hannover: am hohen Ufer), Substantiven (Forchheim: zu althochdeutsch forha »Föhre«, »Kiefer«), Namen von Personen (Braunschweig: Dorf des Bruno) oder Stämmen (Frankfurt: Furt der Franken). Die Suffixe abgeleiteter Ortsnamen waren ursprünglich oft selbstständige Wörter, so die althochdeutschen Wörter für Wasser, Fluss -aha (in Fulda) oder -manni u. a. (in Dortmund). Häufig im Deutschen ist das eine Zugehörigkeit ausdrückende Suffix -ing (-ingen, -ungen), wie in Freising, Göttingen. Zur Unterscheidung von Ortsnamen wurden seit jeher Zusätze verwendet wie Alt-, Frei-, seit dem Spätmittelalter Ober-, Groß-, Hohen- u. a., in der Neuzeit z. B. Frankfurt am Main, oder Doppelnamen bei Stadtteilen (Stuttgart-Degerloch).
Die deutschen Ortsnamen entwickelten sich sprachlich im Allgemeinen entsprechend der Mundart des betreffenden Gebiets. Der niederdeutschen Form -werder (Flussinsel) entspricht mitteldeutsch -werda und oberdeutsch -wörth, der niederdeutschen und mitteldeutschen Form -rode, Rade- in Rodungsnamen oberdeutsch -reuth, -reith. Den mitteldeutschen und oberdeutschen Ortsnamen gemeinsam ist die lautliche Veränderung aufgrund der zweiten Lautverschiebung, z. B. Pforzheim (zu lateinisch porta). Häufig sind in Ortsnamen Reliktformen erhalten, die oft wichtige sprachgeschichtliche Denkmäler darstellen. - Im deutschsprachigen Gebiet existieren neben den alten germanischen und deutschen Ortsnamen viele eingedeutschte fremdsprachige Ortsnamen, besonders im Westen (romanische) und Osten (slawische). In Gebieten mit römischer Besatzung entstanden aus den vollen lateinischen Ortsnamen meist volkstümliche Kurzformen, die Ausgangspunkt für die Entlehnung wurden, z. B. Trier (Colonia Augusta Treverorum), Augsburg (Augusta Vindelicum oder Vindelicorum). Für Art und Zeitpunkt der Eindeutschung gibt die Sprachgeschichte wichtige Aufschlüsse. Der Lautersatz von lateinisch c durch z (cella zu Zell) muss nach dem 4./5. Jahrhundert erfolgt sein, als c bereits vor i und e [ts] gesprochen wurde. Lateinische Ortsnamen, die vor der zweiten Lautverschiebung (etwa 7. Jahrhundert) entlehnt wurden, waren davon noch betroffen, z. B. Turicum: Zürich. Von romanischer Besiedlung noch im Frühmittelalter zeugen Ortsnamen auf -walch (zu welsch), z. B. Seewalchen. Am häufigsten sind romanische Ortsnamen im Moselgebiet, sie kommen außerdem in den Alpen, in Süddeutschland und im Rheinland bis zum Limes vor. - Slawische Ortsnamen treten in Gebieten mit ehemals slawischer Besiedlung (z. B. im Südosten Österreichs) oder im deutsch-slawischen Grenzgebiet im Osten Deutschlands, besonders in Gebieten mit sorbischen Mundarten, auf. Sie wurden bei der deutschen Besiedlung im Allgemeinen nicht ersetzt, sondern nach Anpassung an das deutsche Lautsystem übernommen (z. B. Zauchtel aus Suchdol); häufig entstanden auch Mischnamen mit einem slawischen und einem deutschen Bestandteil, z. B. Peterwitz. - Die Ortsnamenswechsel als Folge politisch-sozialer Veränderungen vollziehen sich bis in die Gegenwart; z. B. wurde 1990 Karl-Marx-Stadt wieder in Chemnitz zurückbenannt (in Russland z. B. 1990 Gorkij wieder in Nischnij Nowgorod).
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