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Keynesianismus
Keyne|si|a|nịs|mus 〈[kɛınzı-] m.; -; unz.; Wirtsch.〉 nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit prägende wirtschaftspolitische u. -theoretische Lehre (u. ihre Weiterentwicklungen), die erstmals grundlegend die Möglichkeit eines wirtschaftl. Gleichgewichts bei Unterbeschäftigung thematisierte [nach dem brit. Nationalökonom John Maynard Keynes, 1883-1946]

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Keyne|si|a|nịs|mus [keɪnz… ], der; -:
auf der Lehre des britischen Volkswirtschaftlers J. M. Keynes (1883–1946) beruhende wirtschaftstheoretische u. wirtschaftspolitische Konzeption.

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Keynesianịsmus
 
[keɪnz-] der, -, wirtschaftstheoretische und wirtschaftspolitische Konzeption, die auf der Lehre von J. M. Keynes beruht und die das ökonomische Denken nach dem Zweiten Weltkrieg lange prägte (keynesianische Revolution). Vor dem Erfahrungshintergrund der Weltwirtschaftskrise von 1929 war Arbeitslosigkeit in einer marktwirtschaftlichen Ordnung Keynes' beherrschendes Thema.
 
Wesentliche Elemente der keynesianischen Wirtschaftstheorie sind: 1) In Wiederanknüpfung an die klassische Nationalökonomie werden der ökonomischen Analyse gesamtwirtschaftliche Größen zugrunde gelegt und die Höhe der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und ihrer Komponenten untersucht. 2) Im Gegensatz zur klassischen Theorie und v. a. zu J. B. Say geht der Keynesianismus nicht von der harmonischen Vorstellung einer Beseitigung von Störungen des Wirtschaftsablaufs durch die »Selbstheilungskräfte« der Wirtschaft, v. a. nicht von der automatischen Herbeiführung eines Zustands der Vollbeschäftigung aus, sondern begreift ein wirtschaftliches Gleichgewicht mit Vollbeschäftigung lediglich als einen Sonderfall möglicher Gleichgewichtszustände. 3) Die Geldtheorie des Keynesianismus stellt einen Zusammenhang zwischen monetärem und güterwirtschaftlichem Bereich her, unterscheidet sich damit von den bis dahin vorherrschenden Auffassungen einer (güterwirtschaftlichen) »Neutralität« des Geldes. 4) Der Keynesianismus bezieht in seine Analyse auch psychologische Annahmen über das wirtschaftliche Verhalten und seine Bestimmungsgründe ein, führt also Begriffe wie Konsum- und Investitionsneigung, Liquiditätspräferenz und Erwartungen in die Theorie ein. 5) Der Keynesianismus geht aus von einer Abhängigkeit der Konsumausgaben vom Einkommen, der Investitionen vom Zinssatz, der Geldnachfrage von Einkommen und Zinssatz und konstruiert auf dieser Grundlage einen Zusammenhang zwischen Geldmenge, Zinssatz, Investitionen, Volkseinkommen und Beschäftigung. Grundlegend hierfür ist das von J. R. Hicks entwickelte IS-LM-Modell (IS-LM-Diagramm), das um den Staatssektor und um außenwirtschaftliche Beziehungen, später auch um die Effekte von Bestandsveränderungen (z. B. Vermögenseffekte), um Lohnbildungshypothesen für den Arbeitsmarkt (z. B. Phillips-Kurve, Kontraktmodelle) sowie um weitere Unterteilung der einzelnen Märkte in Teilmärkte (z. B. verschiedene Teilarbeitsmärkte) erweitert wurde. Auch ein alternatives Modell mit gesamtwirtschaftlichen Angebots- und Nachfragefunktionen wurde entwickelt und neben der kurzfristigen (konstantes Produktionspotenzial) auch die langfristige Betrachtung in die theoretische Analyse einbezogen. Bedeutende Vertreter des Keynesianismus (Keynesianer) sind u. a. J. R. Hicks, A. H. Hansen, J. V. Robinson, N. Kaldor, R. F. Kahn, P. A. Samuelson, H. R. Harrod, E. D. Domar, William Jack Baumol (* 1922), J. Tobin, Don Patinkin (* 1922), L. R. Klein. Sieht man von den vielen Spielarten des Keynesianismus (z. B. neue keynesianische Makroökonomik im Sinne einer Ungleichgewichtstheorie, Postkeynesianismus, Neuer Keynesianismus) und der anhaltenden Kontroverse darüber, »was Keynes wirklich meinte«, ab (z. B. fundamentalistischer Keynesianismus; Kritik am IS-LM-Modell von Robinson und Kaldor), lassen sich drei grundlegende Aspekte des Keynesianismus hervorheben:
 
1) Versagen der Preismechanismen: Die neoklassische Theorie unterstellte flexible Preismechanismen, die die Aktivitäten der Wirtschaftssubjekte so steuern, dass Ungleichgewichte an den Märkten zwischen Angebot und Nachfrage beseitigt werden (Markträumungsannahme, saysches Theorem). Demgegenüber betont der Keynesianismus den Fall, dass die volkswirtschaftlichen Preismechanismen versagen. Dies tritt ein, wenn die Preise (Güterpreise, Löhne, Zinsen) nicht genügend flexibel sind, also nicht oder nur langsam auf Marktungleichgewichte, die insoweit erhalten bleiben, reagieren. Solche Preisinflexibilitäten können durch einseitige Machtverhältnisse an den Märkten verursacht werden, dank denen sich marktstarke Anbieter einem von der Marktlage ausgehenden Druck auf die Preise erfolgreich zu widersetzen vermögen. So kann v. a. das Ausbleiben von Lohnsenkungen trotz hoher Arbeitslosigkeit auf den Widerstand marktstarker Gewerkschaften zurückgeführt werden. Preisinflexibilitäten können aber ebenso durch rationales Verhalten begründet sein, z. B. dann, wenn Anbieter und Nachfrager zum Schutz vor künftigen Preisschwankungen Kontrakte abschließen, die Preisänderungen für einige Zeit ausschließen (beispielsweise langfristige Mietverträge mit festen Mieten, mehrjährige Arbeitsverträge mit gesichertem Lohn, Lieferverträge mit Preisbindung). Die Begründung von Preisinflexibilitäten, die mit rationalem Verhalten auf mikroökonomischer Ebene vereinbar sind, stellt ein zentrales Anliegen des Neuen Keynesianismus dar.
 
Nach dem Keynesianismus sichern aber auch flexible Preise keineswegs den Ausgleich der Märkte, und zwar wegen ungewisser Erwartungseffekte, die durch Preisbewegungen ausgelöst werden können. So kann eine bei Arbeitslosigkeit auftretende Lohnsenkung ganz unterschiedlich auf Investitionen, Produktion und damit auf die Beschäftigung wirken, je nachdem, ob die aktuelle Lohnsenkung bei den Unternehmern die Erwartung weiterer Lohnsenkungen oder die Erwartung eines künftigen Wiederanstiegs der Löhne erzeugt. Werden weitere Lohnsenkungen erwartet, ist mit einer anhaltenden Zurückhaltung der Unternehmen bei Investitionen und Produktion zu rechnen, weil beides künftig billiger wird. Das würde die Arbeitslosigkeit noch verstärken. Welche Erwartungseffekte von Preisbewegungen ausgelöst werden, ist häufig nicht vorauszusagen; die Möglichkeit destabilisierender Effekte ist aber nicht auszuschließen.
 
2) Instabilitäten und Arbeitslosigkeit: Während die neoklassische Theorie eine stabile wirtschaftliche Entwicklung unterstellt, betont der Keynesianismus das Auftreten von Instabilitäten, die im Rahmen der Konjunkturtheorie u. a. mit dem Multiplikator-Akzelerator-Modell analysiert werden. Diese Instabilitäten resultieren v. a. aus plötzlichen Erwartungsänderungen. Viele wirtschaftliche Dispositionen (z. B. über Investitionen oder Vermögenshaltung) sind auf die Zukunft bezogen und müssen folglich Erwartungen über die zukünftige Wirtschaftsentwicklung berücksichtigen. Da zukünftige Ereignisse nicht verlässlich abschätzbar sind, kann es spontan und unregelmäßig zu Erwartungsänderungen bei den Wirtschaftssubjekten kommen. Die Folgen sind plötzliche Umdispositionen bei zukunftsgerichteten Entscheidungen, woraus instabile Wirtschaftsabläufe und Konjunkturzyklen entstehen. Dies betrifft v. a. das Verhalten der Investoren bei Investitionsentscheidungen unter Unsicherheit. Die Instabilitäten in Verbindung mit den mangelhaft wirkenden Preismechanismen erklären nach Ansicht des Keynesianismus, weshalb eine Volkswirtschaft dauerhaft in einem Zustand der Arbeitslosigkeit verharren kann.
 
3) Verantwortliche Wirtschaftspolitik: Während im neoklassischen Denken für aktive wirtschaftspolitische Eingriffe kein Anlass gegeben ist, weil funktionierende Preismechanismen in einer grundsätzlich stabilen Wirtschaft gesamtwirtschaftliche Fehlentscheidungen beseitigen, begründet der Keynesianismus die Steuerungsnotwendigkeit und -möglichkeit des Wirtschaftsablaufs durch eine aktive Wirtschaftspolitik. Weil versagende Preismechanismen und Instabilitäten im Wirtschaftsablauf einen Zustand anhaltender Arbeitslosigkeit erzeugen können (Marktversagen), muss die Wirtschaftspolitik v. a. die Arbeitslosigkeit zu beheben versuchen. Lohn- und Einkommenspolitik sollen dabei aber zurückhaltend eingesetzt werden, da Änderungen des Nominallohnes je nach den dadurch ausgelösten Erwartungen über die weitere Lohnentwicklung widersprüchliche und damit letztlich ungewisse Beschäftigungseffekte haben. Ähnliches gilt für die Geldpolitik. Sind mit geldpolitisch ausgelösten Zinsänderungen Erwartungen weiter steigender oder bald wieder sinkender Zinsen verbunden, sind die Wirkungen auf Investitionen und Beschäftigung entsprechend unterschiedlich. Besteht zudem als denkbarer Grenzfall ein nach unten starres Zinsniveau, weil kaum ein Vermögensbesitzer mehr mit sinkenden Zinsen rechnet, würden weitere Erhöhungen der Geldmenge ohne Zinswirkungen bleiben und damit wirkungslos versickern (»Liquiditätsfalle«). So bleibt letztlich nur die Fiskalpolitik. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und rezessiver Wirtschaftsentwicklung muss der Staat durch zusätzliche Ausgaben oder durch Steuersenkungen die effektive Nachfrage nach Gütern und Diensten in der Wirtschaft erhöhen und somit der wirtschaftlichen Schwäche und der Unterbeschäftigung entgegenwirken (keynesianische Vollbeschäftigungspolitik). Dabei müssten die staatlichen Mehrausgaben und die Steuerausfälle durch Kreditaufnahme finanziert werden (Defizitfinanzierung). Wegen der Bevorzugung der Fiskalpolitik wird der Keynesianismus auch als Fiskalismus bezeichnet.
 
Ergänzend zu dieser keynesianischen Konjunkturpolitik zur Herbeiführung und Erhaltung eines stabilen Wirtschaftsablaufs tritt die Investitionssteuerung im Sinne einer staatlichen Mitverantwortung für ein gesamtwirtschaftlich notwendiges Investitionsvolumen (Instrumente sind z. B. öffentliche Investitionen, staatliche Investitionsanreize, staatliche Investitionsplanung, Investitionslenkung).
 
Der Keynesianismus fand nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur in der Wirtschaftswissenschaft, sondern auch in der praktischen Wirtschaftspolitik weite Verbreitung. In Deutschland z. B. verpflichtet das Stabilitätsgesetz von 1967 den Staat ganz im Sinne des Keynesianismus zu einer auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gerichteten Wirtschaftspolitik (antizyklische Konjunkturpolitik). Die Grundgedanken des Keynesianismus wurden dabei v. a. durch K. Schiller unter der Bezeichnung Globalsteuerung allgemein bekannt. Gleichwohl geriet der Keynesianismus seit den 70er-Jahren gegenüber neoklassisch orientierten Ansätzen (Monetarismus, neue klassische Makroökonomik, angebotsorientierte Wirtschaftspolitik) in die Defensive. Das kann v. a. auf drei Ursachen zurückgeführt werden: 1) Zu Beginn der 70er-Jahre zeigte sich auf empirischer Ebene, dass für die meisten westlichen Industrieländer nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Inflation das vordringliche Problem war. Spätestens nach der Ölkrise 1973/74 traten dann Inflation und Beschäftigungsrückgang simultan auf (»Stagflation«). Der v. a. auf Erklärung und Lösung von Unterbeschäftigungsproblemen ausgerichtete Keynesianismus geriet hierdurch in einen theoretischen und wirtschaftspolitischen Erklärungsnotstand. Die vom Keynesianismus angebotene Inflationserklärung, nach der Inflation letztlich auf ungelöste Verteilungskonflikte in der Gesellschaft zurückzuführen ist (Verteilungskampftheorie der Inflation), wurde von der Mehrzahl der Ökonomen - zumindest als alleiniger Erklärungsansatz - nicht akzeptiert. Die in den konfliktorientierten Ansätzen häufig explizit oder implizit angenommene passive Anpassung des Geldangebots an die Geldnachfrage wurde zugunsten einer monetaristischen Inflationserklärung aufgegeben, die als alleinige Inflationsursache einen zu starken Anstieg des Geldangebots ausmacht. 2) Es wurden Grenzen der Defizitfinanzierung deutlich: Sofern Defizite in den öffentlichen Haushalten nicht nur vorübergehend auftreten, sondern anhalten, entsteht eine wachsende Zinsbelastung des Staates, die den staatlichen Handlungsspielraum mehr und mehr einengt. Hierbei spielt eine wichtige Rolle, dass es Politikern aus wahltaktischen Gründen offenbar leichter fällt, in der Rezession defizitfinanzierte Mehrausgaben zu tätigen als in der Hochkonjunktur Ausgaben zu kürzen, um das Defizit zurückzuführen. Auch können anhaltende Staatsdefizite bei den Investoren die Erwartung künftiger Steuererhöhungen auslösen und die öffentlichen Kreditaufnahmen private Finanzierungen am Kapitalmarkt verdrängen (Crowding-out). Hinzu kommt die Einsicht, dass staatliche Interventionen in den Wirtschaftsablauf im Sinne einer diskretionären Wirtschaftspolitik keineswegs nur stabilisierend wirken, sondern ihrerseits Quelle von Instabilität sein können (Staatsversagen). 3) Spätestens im Verlauf der 80er-Jahre wurde deutlich, dass anhaltende Arbeitslosigkeit nicht nur an einem Mangel an effektiver Nachfrage liegen kann, sondern auch an einem Mangel ausreichender Produktionskapazitäten (Angebotsmangel), sodass dann nicht mehr wie im Keynesianismus die Ausweitung der Güternachfrage, sondern die Ausweitung des Angebotspotenzials in der Volkswirtschaft zur Bekämpfung der Unterbeschäftigung notwendig ist.
 
Die Relativierungen, die der Keynesianismus in den 70er- und 80er-Jahren erfuhr, haben diese Lehre dennoch nicht überflüssig gemacht. Die anhaltenden Beschäftigungsprobleme in vielen Volkswirtschaften belegen nicht zuletzt auch die zentrale These des Keynesianismus von der begrenzten Wirksamkeit der Preismechanismen.
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Beschäftigung · Einkommensverteilung · Geld · Konjunktur · Stabilitätspolitik · Volkseinkommen · Volkswirtschaftslehre · Wachstum · Wirtschaftspolitik
 
Literatur:
 
Der K., hg. v. G. Bombach u. a., 5 Bde. (1976-84, tlw. Nachdr.);
 D. Robert: Makroökonom. Konzeptionen im Meinungsstreit (1978);
 L. R. Klein: The Keynesian revolution (Neudr. London 1980);
 A. Coddington: Keynesian economics. The search for first principles (London 1983);
 
Post-K., Beitrr. v. K. Dietrich u. a. (1987);
 H. P. Minsky: John Maynard Keynes. Finanzierungsprozesse, Investition u. Instabilität des Kapitalismus (a. d. Engl., 1990);
 A. Winkler: Geld, Zins u. keynesian. Angebotspolitik (1992);
 B. Felderer u. S. Homburg: Makroökonomik u. neue Makroökonomik (61994);
 
Das IS-LM-Modell. Entstehung u. Wandel, hg. v. I. Barens u. V. Caspari (1994);
 M. Pflüger: Neu-K. u. Marktmacht (1994).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Volkswirtschaft: Ökonomische Ideengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts
 
Weltwirtschaft: Wohlstand und Wirtschaftskrisen (1950-85)
 

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Keyne|si|a|nịs|mus [keɪnz...], der; -: wirtschaftstheoretische u. wirtschaftspolitische Konzeption, die auf der Lehre des britischen Volkswirtschaftlers J. M. Keynes (1883-1946) beruht u. das ökonomische Denken nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit geprägt hat.

Universal-Lexikon. 2012.