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ökologischer Landbau
ökologischer Landbau,
 
biologischer Landbau, organischer Landbau, früher auch alternativer Landbau, im Unterschied zur konventionellen (technisch-ökonomischen) Landwirtschaft alle Formen des Landbaus mit folgenden Grundsätzen: Der landwirtschaftliche Betrieb ist ein Ökosystem, in dem ein geschlossener Kreislauf mit geringstmöglichem Verbrauch nicht erneuerbarer Energie- und Rohstoffvorräte angestrebt wird; Bodenfruchtbarkeit hat höchste Priorität; Bodenbearbeitung nur unter Schonung der Bodenorganismen; keine Verwendung synthetischer Dünger oder Pestizide, insbesondere kein Einsatz von synthetisiertem Stickstoffdünger; Anstreben der biologischen Selbstregulation des Ökosystems.
 
 Entwicklung
 
Im Gefolge der Reformbewegungen nach dem Ersten Weltkrieg, die sich insbesondere im Ernährungsbereich in der breiten Bevölkerung durchsetzten (u. a. M. Bircher-Benner), gewann das Adjektiv »biologisch« eine neue Bedeutung als Gegensatz zu »chemisch« oder »synthetisch«. In der Landwirtschaft flammte der alte Streit zwischen Humus- und Mineralstofftheorie aus dem 19. Jahrhundert neu auf. Einerseits geriet die praktische Landwirtschaft zunehmend unter den Einfluss der im Krieg ausgebauten und jetzt neue Märkte suchenden Salpeterindustrie; andererseits versuchten anthroposophisch orientierte Landwirte, die Humustheorie auch für neue landwirtschaftliche Methoden nutzbar zu machen und nannten ihre Landwirtschaft »biologisch-dynamische Wirtschaftsweise«, wobei »biologisch« für eine möglichst weitgehende Nutzung der biologischen Wirkungsmechanismen steht; »dynamisch« ist aus dem Zusammenhang der Anthroposophie heraus zu verstehen und bezieht sich auf das (angenommene) Zusammenwirken irdischer und kosmischer Einflüsse beim Pflanzenwachstum. Auf Förderung und Ausgleich dieser Kräfte zielen die Verwendung bestimmter in homöopatischer Dosierung angewandter Präparate (Hornkiesel, Horndung u. a.) sowie die Berücksichtigung von kosmischen (Mond, Sternbilder) und biorhythmischen Konstellationen beim Landbau. Das Echo in der praktischen Landwirtschaft blieb zunächst klein. R. Steiners grundlegende Vortragsreihe »Landwirtschaftlicher Kurs« (1924) behandelte landwirtschaftliche Fragen auf der Grundlage des anthroposophischen Gedankenguts. Erkennbare Missstände der bisherigen Betriebsführung sollten beseitigt werden. Stallmistpflege, ein vielseitiges Anbauverhältnis mit guter Fruchtfolge und weitgehende Betriebsautarkie zur Sicherung des Stoffkreislaufs sollten die chemischen Düngemittel und Pestizide überflüssig machen.
 
Mit der internationalen Ausbreitung der Anthroposophie entstanden in vielen Ländern biologisch-dynamische Landwirtschaftsbetriebe. Die Mehrzahl der Landwirte nahm von der biologisch-dynamischen Methode kaum Notiz, erwartete hingegen enorme Ertragssteigerungen von den Mineraldüngern; deren Verbrauch stieg rasch an, ebenso jedoch die Betriebskosten. Dies führte bei sinkenden Verkaufspreisen zu wirtschaftlichen Verlusten der Landwirte. Die Abhängigkeit von industriell hergestellten Produkten der Chemie und Landtechnik wurde zunehmend als Problem erkannt. Aus diesen Gedankengängen heraus entwickelte sich in der Schweiz in den 30er-Jahren die »organisch-biologische Wirtschaftsweise« (M. und H. Müller, P. Rusch; in Deutschland seit 1971 etabliert als Organisation »Bioland«), die ebenfalls einen möglichst geschlossenen Stoffkreislauf anstrebt, unter Berücksichtigung mikrobiologischer Erkenntnisse. Das Bodenleben wurde als Grundlage der Fruchtbarkeit deutlich herausgestellt. Ein Übergreifen auf die deutsche und österreichische Landwirtschaft wurde durch die vorherrschende Meinung, niedrigeren Erzeugerpreisen könne man nur mit größerem Betriebsmitteleinsatz begegnen, gehemmt. Ende der 50er-Jahre dürften etwa 300 landwirtschaftliche und gärtnerische Betriebe in der Bundesrepublik biologisch gewirtschaftet haben, also weniger als 0,1 % aller Betriebe. Der Anteil in der Schweiz dürfte höher, in Österreich niedriger gewesen sein.
 
Zwischen den Weltkriegen waren neue Erkenntnisse gewonnen und erprobt worden. Der Einsatz von Traktoren ermöglichte eine tiefere Lockerung des Bodens ohne Wendung, und der Zwischenfruchtbau erschloss eine Fruchtbarkeitssteigerung durch eine tief reichende Durchwurzelung, die als wichtigster Faktor für die Fruchtbarkeit erkannt wurde. Diese Entwicklungen wurden durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen. Die Mehrzahl kleinbäuerlicher westdeutscher Landwirtschaft sah in den durch Beratung und Industrie propagierten Möglichkeiten, die Chemie und Technik bieten, die wichtigste Voraussetzung für die schon seit den 30er-Jahren angestrebte Produktions- und Produktivitätssteigerung. Die Landwirtschaft schloss sich dem allgemeinen Trend an. Als Grundlage einer modernen Landwirtschaft wurden größere, stark mechanisierte und auf wenige Erzeugnisse spezialisierte Betriebe angesehen; zusammen mit steigendem Düngemitteleinsatz sollten hohe Hektarerträge und damit auch ein hinreichendes Einkommen zu erzielen sein.
 
 Die Situation heute
 
In den 70er-Jahren erkannten einige Außenseiter der Landbauwissenschaften, dass die Entwicklung seit 1950 keineswegs zu einer dauernden Steigerung der Bodenfruchtbarkeit, sondern zu ihrer Zerstörung führen müsse. Bestätigt wurde dies durch Beiträge aus den verschiedensten Richtungen der Biologie. Verantwortlich gemacht für die schlechte Bodensituation wurden sowohl landwirtschaftliche Fehler als auch die allgemeine Luft- und Wasserverschmutzung. V. a. Erkenntnisse der Ökologie führten zu einem neuen Naturverständnis, das viele Ansichten des ökologischen Landbaus bestätigte. Das Lehrgebäude des ökologischen Landbaus sieht die wichtigste Aufgabe des Landwirtes darin, durch seine Arbeit Veränderungen des Ökosystems so auszugleichen, dass das Ökosystem, wenn auch eingeschränkt, weiter funktionieren kann beziehungsweise weitgehend wiederhergestellt wird. Der Weg dazu führt über die Wiederherstellung der natürlichen Bodenfunktionen durch Zufuhr organischen Materials, Bodenlockerung, Vertiefung der Bodendurchwurzelung, möglichst ständige Bodenbedeckung, betrieblicher Stoffkreislauf und Förderung der Artenvielfalt auf den Nutzflächen und ihrer Umgebung. Je besser diese Aufgaben gelöst werden, desto größer kann der Anteil landwirtschaftlicher Erzeugnisse an der Leistung des örtlichen Ökosystems sein. Der Mensch darf den Anteil der Leistungen von Pflanzen und Tieren, den er entnimmt, nicht auf Kosten ganzer Arten steigern. Seit der Konsolidierung dieses neuen Naturbildes wurde der ökologische oder organische Landbau zu einer weltweiten Bewegung.
 
Anfang des Jahres 2000 gab es im Bereich des ökologischen Landbaus in Deutschland 7 464 landwirtschaftliche Betriebe mit insgesamt rd. 383 000 ha Fläche (2,2 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche). Dem Argument, dies sei zu wenig, um eine Hilfe bei der Bewältigung der in der konventionellen Landwirtschaft entstandenen Probleme zu sein (z. B. Marktüberschüsse, Bodenerosion, Wasserbelastung), wird die Vorbildfunktion dieser Betriebe entgegengehalten, deren Zahl sich in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppelt habe; inzwischen ist der ökologische Landbau in Lehre und Forschung verankert; EG-Förderprogramme nutzen ihn als konsequentes Mittel der Extensivierung der Agrarerzeugung. - Seit Anfang 2002 werden im ökologischen Landbau erzeugte Produkte in Dtl. mit dem Bio-Siegel gekennzeichnet. Es soll eine Orientierung beim Kauf von Öko-Lebensmitteln geben; daneben sind allerdings auch noch die Eigenmarken des Handels, der Hersteller, sowie die Verbandszeichen der anerkannten Öko-Anbauverbände erlaubt.
 
 Organisation des ökologischen Landbaus
 
Viele Betriebe in Deutschland, die ökologischen Landbau betreiben, sind Mitglieder in einer der Erzeugerorganisationen, die sich ihrerseits den nationalen Richtlinien für den ökologischen Landbau und den sich daraus ergebenden Geboten, Verboten und Empfehlungen für die Produktion im Rahmen des ökologischen Landbaus verpflichtet haben. Diese Richtlinien sind öffentlich, eindeutig und verpflichtend und somit auch kontrollierbar. Seit 1991 regelt die »Verordnung (EWG) über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse Nr. 2092/91« Erzeugung, Kontrolle und Kennzeichnung im ökologischen Landbau. Sie ermöglicht einerseits eine Abgrenzung des ökologischen Landbaus, andererseits über die zugesicherte Qualitätskontrolle eine Steigerung der Marktchancen. Die Kontrollfunktion liegt bei den staatlich zugelassenen Kontrollstellen. Die Betriebe werden durch Verträge zur Einhaltung der Erzeugungsrichtlinien verpflichtet. Einige Verbände sind auf nationaler Ebene in der 1988 gegründeten »Arbeitsgemeinschaft ökologischer Landbau« zusammengeschlossen, die ihre Aufgabe u. a. darin sieht, den ökologischen Landbau gegenüber Wissenschaft, Praxis, Behörden und Verbänden auch international zu vertreten, Erfahrungsaustausch zu ermöglichen, Aus- und Fortbildung zu fördern, Informationen zu erteilen.
 
Literatur:
 
H. Heinze: Lebendige Landwirtschaft durch Naturerleben u. Naturverstehen (1980);
 G. Preuschen u. K. Bernath: Die Kunst der Gründüngung (Graz 1983);
 M. Sekera: Gesunder u. kranker Boden (Graz 51984);
 H. P. Rusch: Bodenfruchtbarkeit (61991);
 Hanspeter Schmidt u. M. Haccius: EG-Verordnung »Ö. L.« Eine jurist. u. agrarfachl. Kommentierung (21994);
 G. Preuschen: Ackerbaulehre nach ökolog. Gesetzen (21994);
 G. Preuschen: Kleine ökolog. Weltgesch. (1996);
 G. Preuschen: u. a.: Umstellung auf ö. L. (1997);
 H. H. Koepf u. a.: Biologisch-dynam. Landwirtschaft (41996).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Landwirtschaft: Integrierter Landbau, ökologischer Landbau
 

Universal-Lexikon. 2012.