Ẹl|fen|bein|schnit|ze|rei 〈f. 18〉
I 〈unz.〉 Kunst, aus Elfenbein Figuren u. Gegenstände zu schnitzen
II 〈zählb.〉 Kunstwerk aus Elfenbein
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Ẹl|fen|bein|schnit|ze|rei, die:
2. <o. Pl.> Kunst, Gegenstände aus Elfenbein zu schnitzen, zu schneiden, zu drechseln.
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Elfenbeinschnitzerei,
durch Schnitzen u. a. Techniken wie Schaben, Bohren, Sägen, Ritzen (Gravieren) und im weiteren Sinn auch Drechseln entstandene Plastiken, Reliefs und kunsthandwerkliche Arbeiten aus Elfenbein. Elfenbeinschnitzereien wurden vom Altertum bis zum Mittelalter gefärbt, bemalt, auch mit Blattgold belegt und mit Edelsteinen verziert.
In der vorgeschichtlichen Kunst kommen Kleinkunstwerke aus Mammutelfenbein vor (Tierfiguren, weibliche Statuetten, gravierte Schmuckgegenstände, Gravierungen auf Stoßzahnlamellen). Aus dem frühen Jungpaläolithikum stammen künstlerischen Höchstleistungen der Menschen- und Tiergestaltung (z. B. aus der Vogelherdhöhle), es folgen zum Teil stark stilisierte stabförmige (Dolní Věstonice) und geometrisch ornamentierte Elfenbeinschnitzereien (Eurasien, Sibirien). In Zentraleuropa bedeutet das Ende der letzten Eiszeit (Aussterben des Mammuts) das Ende der Elfenbeinschnitzerei für Jahrtausende.
Im Alten Orient und Ägypten lassen sich Elfenbeinschnitzereien seit dem frühen 3. Jahrtausend v. Chr. nachweisen. Außer Nadeln, Kämmen und Dosen wurden schon in früher Zeit Schmuck (Perlen, Armreifen) und Figürchen aus Elfenbein geschnitzt. Seit Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. fand Elfenbein häufig bei der Verzierung von Zaumzeug, Möbeln und Wandverkleidungen Verwendung, ebenso gab es eine Fülle von Schmuckstücken, Amuletten, Toilettengegenständen, Menschen- und Tierfiguren. Die altorientalische Elfenbeinschnitzerei mit mythologischen, Hof-, Jagd- und Kriegsszenen zeigt zum Teil starken ägyptischen Einfluss (Geburt des Horus, Papyrusbinder, Sphinx u. Ä.). Von besonderer Schönheit sind Tierdarstellungen. Reiche Funde wurden in Ugarit, Dur-Scharrukin, Megiddo, Arslan-Tasch, Samaria, Kalach, Hama u. a. Stätten gemacht.
In der minoischen Kunst wurde Elfenbein in der Vorpalastzeit für Siegel (einige in Tiergestalt) verarbeitet. Von der Miniaturplastik der Älteren Palastzeit unterscheiden sich etwas größere, aus mehreren Stücken gearbeitete Kleinplastiken, z. B. der Stierspringer (um 1600 v. Chr.; Heraklion, Archäologisches Museum). Elfenbeinreliefs der kretisch-mykenischen Kultur sind aus Kreta und v. a. vom mykenischen Festland erhalten, besonders Dosen (Pyxiden), Schwert- und Spiegelgriffe.
Bei den Griechen trat die Elfenbeinschnitzerei in der geometrischen Epoche Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr. wieder auf, angeregt von Importstücken aus dem Alten Orient. Im 7. Jahrhundert entstanden Beschläge für Möbel und Gerätschaften sowie Kleinplastik (v. a. in Ephesos, Samos und Sparta). Im 6. und 5. Jahrhundert erhielten die riesigen Götterstatuen aus Holz Verblendungen mit Gold- und Elfenbeinplatten (chryselephantine Bildwerke). In hellenistischer und römischer Zeit wurde die Technik auf Herrscherbildnisse angewandt. In Etrurien verarbeitete man Elfenbein v. a. zu reliefverzierten Kästchen und Büchsen, auch Statuetten, Kämme, Spiegelgriffe, Blashörner, sogar Klappstühle wurden aus Elfenbein hergestellt (v. a. 7. und 6. Jahrhundert v. Chr.). In Rom verfertigte man mit Elfenbein furnierte Möbel und inkrustierte Musikinstrumente. Umfangreich war die Elfenbeinschnitzerei der spätantiken Zeit (4.-6. Jahrhundert); Dosen (Pyxiden) und die zweiteiligen Schreibtäfelchen (Diptychen), u. a. die Konsulardiptychen (aus den Jahren 406-451 komplett erhalten), wurden mit figürlichem Reliefdekor verziert.
Auch in der frühchristlichen Kunst bildeten die Pyxiden eine große Gruppe der Elfenbeinschnitzerei. Das bedeutendste Zeugnis frühchristlicher Elfenbeinschnitzerei ist die Cathedra des Bischofs Maximian von Ravenna (um 550; Museo Arcivescovile). Zentren der Elfenbeinschnitzerei waren im 5. Jahrhundert Rom, Oberitalien und Konstantinopel, das im 6. Jahrhundert eine führende Stellung einnahm. Eine neue Blüte erreichte die byzantinische Elfenbeinschnitzerei im 10.-12. Jahrhundert; erhalten sind Diptychen, Triptychen, Buchdeckel und Kästchen mit mythologischen und christlichen Motiven.
Mit der karolingischen Kunst setzt die Elfenbeinschnitzerei nördlich der Alpen ein (Klosterwerkstätten Lorsch, Metz, Saint-Denis, Reims, Sankt Gallen); es entstanden besonders Buchdeckel und Diptychen mit flachen Reliefs. Unter den Ottonen wurden v. a. in den Klöstern auf der Reichenau, von Echternach (Buchdeckel des Codex aureus; 985-991; Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum), Trier und Lüttich Arbeiten mit Elfenbeinschnitzerei angefertigt.
In der Gotik ging die Führung in der Elfenbeinschnitzerei auf Frankreich über, wo (v. a. in Paris) neben Madonnenstatuetten und Marienaltären besonders Passionsdiptychen und -triptychen angefertigt wurden.
Während in der Renaissance die Elfenbeinschnitzerei durch die Bronzekunst verdrängt wurde, gelangte sie im Barock wieder zu großer Virtuosität. Im 17. Jahrhundert entstanden v. a. Prunkgeschirre, Kannen und Humpen, deren Elfenbeingurte in Edelmetall gefasst wurden, sowie Figuren und Figurengruppen, Hochreliefs und Bildnismedaillons. Mythologische und allegorische Motive dominierten gegenüber religiösen Darstellungen; doch erfuhren Elfenbeinkruzifixe eine besondere Wertschätzung. Führend waren die Schnitzer und Drechsler an den deutschen Fürstenhöfen, so C. Angermair und S. Troger in München, G. Petel in Augsburg, M. Rauchmiller in Wien, I. Elhafen in Düsseldorf, B. Permoser in Dresden und P. Egell in Mannheim. Mit dem Ende des Rokoko verlor die Elfenbeinschnitzerei an Bedeutung. Eine Wiederbelebung ging Ende des 19. Jahrhunderts von Frankreich und Belgien aus, besonders im Bereich der chryselephantinen Kleinplastik. Sie erreichte ihren Höhepunkt mit Arbeiten im Stil der Art déco. Ein Zentrum der Elfenbeinschnitzerei im 19. Jahrhundert war Erbach im Odenwald, wo sich seit 1966 das Deutsche Elfenbeinmuseum befindet.
Künstler. Höhepunkte erreichte die Elfenbeinschnitzerei v. a. im omaijad. Spanien und im normannischen Sizilien und Unteritalien (sarazen. Werkstätten) mit reliefverzierten Pyxiden, Kästen und Jagdhörnern (Olifantenhörner, mit Jagd- und Kampfszenen im fatimidischen Stil, 11. Jahrhundert n. Chr.), auch mit bemalten, auf Holzkästen verarbeiteten Elfenbeinplatten.
Von der Elfenbeinschnitzerei der indischen Kunst ist aus klimatischen Gründen wenig erhalten, jedoch wurden in Begram in Afghanistan 1937 und 1939/40 eine Reihe Elfenbeinschnitzereien aus der Zeit des Kushanreichs ausgegraben, v. a. vollplastische Reliefs und Statuetten. Mit Elfenbeinschnitzereien verkleidete Truhen (u. a. London, Britisches Museum; um 1600), Elfenbeinkämme, Dosen, Buchdeckel u. a. (17.-19. Jahrhundert) stammen aus Südindien (Karnataka), Orissa, Bengalen und Sri Lanka.
Die frühesten Zeugnisse von Elfenbeinschnitzereien in Schwarzafrika gehen ins 16. Jahrhundert zurück. Im Königreich Benin stand das Arbeiten mit Elfenbein streng unter der Kontrolle des Oba (Königs), für den wohl alle bedeutenden Elfenbeinschnitzereien angefertigt wurden. Die Schnitzer waren in einer Zunft vereinigt; sie arbeiteten im Stammesstil, der sich vier Jahrhunderte lang auf gleicher künstlerischer Höhe hielt. Die schönsten Elfenbeinschnitzereien Benins dürften im 16. Jahrhundert entstanden sein; auch die vermutlich aus dem 19. Jahrhundert stammenden, ringsum reich beschnitzten Elfenbeinzähne für die Ahnenaltäre des Oba sowie ein Leopardenpaar zeigen künstlerische Vollendung.
Auch in neuerer Zeit sind in Schwarzafrika Elfenbeinschnitzereien gefertigt worden, v. a. von den Stämmen der Regenwaldgebiete. Verbreitet sind Trompeten (Querhörner), meist für kulturelle Zwecke, aus einem Stoßzahn gefertigt und bei einigen Stämmen mit Figuren, Köpfen, Emblemen u. a. versehen.
Bei den Eskimo Alaskas ist die Elfenbeinschnitzerei aus den Stoßzähnen von Walrossen schon seit mehr als 2 000 Jahren eine hoch entwickelte Handwerkskunst (Höhepunkt in der prähistorischen Ipiutakkultur); kleine Figuren, Pfeifen, gravierte Anhänger, Harpunenspitzen u. a. wurden hergestellt. Auch die nördlichen Nordwestküstenindianer, v. a. die Tlingit, schnitzten dekorative kleine Amulette aus Walrosszähnen.
In China stammen die frühesten Funde von geschnitztem Elfenbeingerät aus der Shangzeit (16. bis 11. Jahrhundert v. Chr.). Der Dekor von Elfenbeinschnitzereien lehnt sich an den der Sakralbronzen an (Tao-tie-Maske). Dass es in dieser Zeit in Nordchina Elefanten gab, wird auch durch Sakralbronzen in Form von Elefanten bezeugt. Elfenbeinschnitzereien der Tangzeit (kleine buddhistische Statuetten, Maßstäbe, Würfel, Kämme, Armstützen), die vor die Mitte des 8. Jahrhunderts datiert werden können, sind v. a. im Shōsōin erhalten geblieben. Durch einen verstärkten Handelsaustausch mit Indien und auch Afrika erlebte die Elfenbeinschnitzerei in der Ming- und Qingperiode eine Blüte. Die Elfenbeinskulptur mit Figuren des buddhistischen und taoistischen Pantheons ist der Kleinplastik in Porzellan verwandt.
In Japan wurden außerdem Netsuke und kleine Figuren zum Aufstellen (okimono) aus Elfenbein geschnitzt.
A. Goldschmidt: Die Elfenbeinskulpturen, 6 Bde. (1914-34, Nachdr. 7 Bde. 1969-79);
A. Goldschmidt u. K. Weitzmann: Die byzantin. Elfenbeinskulpturen des 10. bis 13. Jh., 2 Bde. (1930-34, Nachdr. 1979);
W. F. Volbach: Elfenbeinarbeiten der Spätantike u. des frühen MA. (31976);
D. Gaborit-Chopin: Elfenbeinkunst im MA. (a. d. Frz., 1978);
M. E. L. Mallowan: The Nimrud ivories (London 1978);
Elfenbein, bearb. v. E. v. Philippovich (21981);
P. Williamson: E. aus dem MA. (a. d. Engl., Bern 1982);
R. H. Randall u. a.: Masterpieces of ivory. From the Walters Art Gallery (München 1986);
C. Theuerkauff: Die Bildwerke in Elfenbein des 16. bis 19. Jh. (1986);
H.-W. Hegemann: Das Elfenbein in der Kunst u. Kultur Europas. Ein Überblick von der Antike bis zur Gegenwart (1988);
S. Eisenhofer: Höf. E. im Reich Benin. Kontinuität oder Kontinuitätspostulat (1993).
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Ẹl|fen|bein|schnit|ze|rei, die: 1. vgl. ↑Elfenbeinarbeit. 2. <o. Pl.> die Kunst, Gegenstände aus Elfenbein zu schnitzen, zu schneiden, zu drechseln.
Universal-Lexikon. 2012.