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portugiesische Kunst
portugiesische Kunst,
 
die Kunst Portugals; in der wissenschaftlichen Literatur lange als spanische Nebenentwicklung aufgefasst. Seit den Kunstäußerungen der römischen Provinz Lusitania sind jedoch eigenständige Züge v. a. in der Baukunst (Baudekoration) festzustellen. Diese traten v. a. in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts zur Zeit der Entdeckungen und in der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts, als Gold und Diamanten in Brasilien gefunden wurden, hervor.
 
 Antike, frühes Mittelalter und Romanik
 
Wichtigster Fundort der Römerzeit ist das 468 zerstörte Conimbriga bei Coimbra (Reste von Villen, Thermen, Mosaiken). Aus vorromanisch-westgotischer Zeit sind kleinere Oratorien (Santo Amaro in Beja, um 600; São Pedro bei Peso da Régua, 7. Jahrhundert; São Frutuoso bei Braga, zwischen 650 und 660) erhalten. Mit der 1. Dynastie aus dem Hause Burgund in der Zeit der Reconquista beginnt die Geschichte der mittelalterlichen portugiesischen Baukunst. Französischer Einfluss (Burgund, Poitou) wird deutlich (São Martinho de Cedofeita in Porto, 12. Jahrhundert; Benediktinerklosterkirche São Salvador in Travanca, 12. Jahrhundert). Bei den zwischen 1140 und 1170 errichteten Kathedralen in Braga, Coimbra, Lissabon und Porto mit Kapellenkranz und Chorumgang dienten die Pilgerkirchen von Santiago de Compostela oder Saint-Sernin in Toulouse als Vorbild. Viele Kirchen dieser Zeit haben den Charakter von Wehrkirchen. Eine Sonderstellung nimmt der romanisch-frühgotische Zentralbau der Templerkirche (12. Jahrhundert) des Klosters in Tomar ein. Von der gleichzeitigen Profanarchitektur sind die Burgen von Guimarães (10.-12. Jahrhundert) und Bragança (12./13. Jahrhundert) sowie weitere Burgen des 12. und 13. Jahrhundert (u. a. Leiria, Almourol) zu erwähnen. Die Skulptur ist stark von spanischen und französischen Vorbildern abhängig. Von der Malerei dieser Zeit ist wenig erhalten.
 
 Gotik
 
Wie in anderen europäischen Ländern wurde auch in Portugal die Ausbreitung des gotischen Stils durch die Zisterzienser vorangetrieben (Zisterzienserklosterkirche in Alcobaça, 1178 ff.). Seine Entwicklung förderten die Könige des Hauses Avis. Der Sieg über die Kastilier bei Aljubarrota (1385) veranlasste Johann I. zur Gründung des Klosters Santa Maria da Vitória in Batalha (1388 ff.). An diesem Bauwerk lässt sich die Entwicklung von der Hochgotik bis zum voll ausgebildeten Emanuelstil verfolgen. Weitere Höhepunkte des Emanuelstils sind das Hieronymitenkloster (um 1502-72) und der Wachturm in Belém (1515-21).
 
Plastik:
 
Eine rege Bildhauertätigkeit entwickelte sich im 14. Jahrhundert in Lissabon und ab 1520 in Coimbra. Hauptauftragsgebiet war die Grabmalkunst: Grabmal des Erzbischofs Gonçalves Pereira (✝ 1336) in der Kathedrale in Braga, Grabmäler von König Peter I. (✝ 1367) und Inês de Castro (✝ 1355) in Alcobaça. Zur Zeit des Emanuelstils gewann die Bauplastik besondere Bedeutung (u. a. Fenster des Kapitelsaals des Christusritterklosters in Tomar).
 
Malerei:
 
Von der gotischen Wandmalerei ist kaum etwas erhalten. Die Tafelmalerei des 15. Jahrhunderts zeigt deutlich eine Abhängigkeit von der niederländischen Malerei. Einer der wichtigsten Maler ist N. Gonçalves (»Vinzenzaltar«, zwischen 1465 und 1467; Lissabon, Museu Nacional de Arte Antiga). Unter Emanuel I. bildeten sich Künstlergemeinschaften (»oficinas«) mit Zentren in Lissabon, Évora und Coimbra; namentlich bekannt sind u. a. V. Fernandes sowie J. Afonso und C. de Figueiredo, Hofmaler Emanuels I., und der vermutlich aus den Niederlanden stammende Miniaturmaler António de Holanda (* um 1490, ✝ nach 1553).
 
 Renaissance und Barock
 
Wichtige Bauten der Renaissance sind die Kathedrale in Leiria (um 1550-71), der Chor der Hieronymitenklosterkirche in Belém (1571), der »Claustro dos Filipes« (1557 bis um 1580) von D. de Torralva und F. Terzi, der auch San Vincente de Fora in Lissabon (1590 ff.) erbaute. 1622 wurde der Bau der 1498 begonnenen Wasserleitung von Amoreira bei Elvas vollendet, einer der größten erhaltenen Aquädukte. Die typisch portugiesische Barockbaukunst beginnt mit den Königen des Hauses Bragança. Neben eindrucksvollen Kirchenbauten wie der Neuen Kathedrale in Coimbra (1598 ff.) von B. Álvares, Santa Engrácia in Lissabon (Pantheon, um 1680 ff.), São Pedro dos Clérigos von Nicoló Nazoni (* 1691, ✝ 1773) in Porto (1732-50), Nossa Senhora dos Remédios in Lamego (1750-61), der Memoria-Kirche in Belém (1760, nach Plänen von G. Bibiena) und der Wallfahrtskirche Bom Jesús do Monte bei Braga (1784-1811) mit Kalvarienberg gewinnt die Profanarchitektur europäischen Rang. Deutschen Klosteranlagen vergleichbar sind Palast, Kloster und Kirche von Mafra, die unter der Leitung des Deutschen Johann Friedrich Ludwig (genannt João Frederico Ludovice, * 1670, ✝ 1752) 1717-30 errichtet wurden. Die Universitätsbibliothek von Coimbra (1717-23) ahmt die Wiener Hofbibliothek nach. Nach französischem Vorbild entstand Schloss Queluz. Die wichtigste städtebauliche Leistung stellt der planmäßige Wiederaufbau Lissabons nach dem Erdbeben von 1755 unter der Leitung von S. J. Pombal (»pombalinischer Stil«) dar. Charakteristisch für die portugiesische Baukunst in der Zeit vom 16. bis 18. Jahrhundert ist die Ausgestaltung ganzer Kirchenräume mit vergoldetem Schnitzwerk (Talha Dourada), so in Porto Santa Clara (1593) und São Bento da Vitória (1597-1646), in Lissabon São Miguel (frühes 18. Jahrhundert), in Lagos São António (1769). Als eines der prachtvollsten Zeugnisse des durch die brasilianischen Besitzungen gewonnenen Reichtums gilt die Kirche São Roque in Lissabon (1566 bis 1596). Oft sind die unteren Zonen, aber auch Innen- und Außenmauern der Kirchen mit Azulejos überzogen (Santo Ildefonso in Porto, um 1730).
 
Plastik:
 
Zur Zeit Emanuels I. setzte sich die Tradition der gotischen Grabdenkmäler fort. In dieser Zeit entstanden auch großartige Altäre (Altar der Kapelle des Palácio de Pena bei Sintra von N. Chantereine, 1532). Die Entwicklung zu einem Manierismus französisch-italienischer Prägung lässt sich u. a. an der plastischen Ausgestaltung des Hieronymitenklosters und am Chorgestühl (1560) der Klosterkirche in Belém erkennen. Zentren der großen Holzaltäre der Barockzeit sind Coimbra (Altäre der Neuen Kathedrale), Lissabon (Hochaltar in Santa Catarina) und Évora (Universitätskirche Nossa Senhora da Conceiçoã). Ihre Schöpfer orientierten sich an spanischen Vorbildern. Einen Höhepunkt bildet die skulpturale Ausstattung der Klosterkirche von Mafra durch Alessandro Giusti (* 1715, ✝ 1799) und Joaquim Machado de Castro (* um 1730, ✝ 1822), der auch das Reiterdenkmal König Josephs I. (1775) auf der Praça do Comércio in Lissabon schuf.
 
Malerei:
 
Von der Auseinandersetzung mit der italienischen Renaissance und dem Manierismus zeugen der Altar der Kirche in Feirreirim bei Lamego (1533-36) von C. de Figueiredo und seinen Mitarbeitern sowie die Werke von V. Fernandes, Frei Carlos und Francisco de Holanda (* um 1516, ✝ 1572), der auch als Kunsttheoretiker arbeitete. Die Generation des Barock schuf, spanische Anregungen aufgreifend, neben religiösen Darstellungen v. a. Porträts (José de Avelar Rebelo, tätig 1639-56; Domingos Francisco Vieira, * um 1600, ✝ 1678; Josefa de Óbidos, * 1634, ✝ 1684). Im 18. Jahrhundert verstärkte sich wieder der französische Einfluss (Pierre Antoine Quillard, * 1701, ✝ 1733; Francisco Vieira de Matos, genannt Vieira Lusitano, * 1699, ✝ 1783).
 
 19. und 20. Jahrhundert
 
Die Architektur des 19. Jahrhunderts steht auch in Portugal im Zeichen des Historismus. Charakteristische Beispiele sind u. a. der im mittelalterlichen Burgstil errichtete Palácio da Pena in Sintra (1840-50), die Börse in Porto (1842) sowie der Kuppelbau des Rathauses in Lissabon (1865-75) von Domingos Parente da Silva (* 1836, ✝ 1901). Unter den technischen Bauten ragt v. a. die doppelstöckige Brücke »Dom Luís I.« (1881-85) über den Douro in Porto heraus. Die moderne Architektur des 20. Jahrhunderts wird maßgebend vertreten durch die »Schule von Lissabon« und v. a. die »Schule von Porto« unter der Führung von A. Siza Vieira.
 
Plastik:
 
Hier dominieren im 19. Jahrhundert Víctor Bastos (* 1832, ✝ 1894) und António Soares dos Reis (* 1847, ✝ 1889). In der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts traten v. a. die Bildhauer António Teixeira Lopes (* 1866, ✝ 1942), Francisco Franco (* 1885, ✝ 1955), Diogo de Macedo (* 1889, ✝ 1959) und Leopoldo de Almeida (* 1898, ✝ 1975) hervor. Namhafte Bildhauer der Nachkriegszeit sind Virgilio Domingos (* 1932), José Rodrigues (* 1936), Alberto Carneiro (* 1937) und Zulmiro de Carvalho (* 1932).
 
Malerei:
 
Im 19. Jahrhundert erreichte D. A. de Sequeira mit religiösen Darstellungen europäischen Rang. Tomás José da Anunciaçoã (* 1818, ✝ 1879) trat mit Landschaftsbildern hervor, Francisco Metrass (* 1825, ✝ 1861) mit Historienbildern, Luiz de Miranda Pereira Visconde de Menezes (* 1817, ✝ 1878) und Miguel Angelo Lupi (* 1826, ✝ 1883) widmeten sich der Porträtmalerei. Die Malerei der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zeugt von französischem Einfluss, wobei sich v. a. realistische Tendenzen durchsetzten (Joã Marquez de Oliveira, * 1853, ✝ 1927; José Malhõa, * 1855, ✝ 1933; Columbano Bordalo Pinheiro, genannt Columbano, * 1857, ✝ 1929; Henrique Pousão, * 1859, ✝ 1884; Carlos Reis, * 1863, ✝ 1940). Bedeutendster Vertreter des Symbolismus ist António Carneiro (* 1872, ✝ 1930). Amadeo de Souza-Cardoso (* 1887, ✝ 1918) und Eduardo Viana (* 1885, ✝ 1967) führten die erste Generation der modernen Malerei in Portugal an. Ihnen folgen José de Almada-Negreiros (* 1893, ✝ 1970), António Soares (* 1894, ✝ 1979), Carlos Botelho (* 1899, ✝ 1982), Mario Eloy (* 1900, ✝ 1951) und Maria Elena Vieira da Silva, die sich 1947 in Paris niederließ. Auch nach 1945 fand Portugal Anschluss an aktuelle Kunstströmungen mit Künstlern wie Nadir Afonso (* 1920), Rolando Sá-Nogueiras (* 1921), Fernando Lanhas (* 1923), Carlos Calvet (* 1928), Joã Vieira (* 1934) und Ángelo de Sousa (* 1938).
 
Literatur:
 
G. Kubler u. M. S. Soria: Art and architecture in Spain and Portugal and their American dominions, 1500 to 1800 (Harmondsworth 1959, Nachdr. ebd. 1969);
 Robert C. Smith: The art of Portugal 1500-1800 (London 1968);
 
Dicionário de arte barroca em Portugal, hg. v. J. F. Pereira (Lissabon 1989);
 
80 artistas em Portugal, bearb. v. M. Botelho (ebd. 1991);
 
Roman. Portugal, bearb. v. G. N. Graf u. a. (1991);
 
Pintura portuguesa, bearb. v. J. L. Porfírio, Ausst.-Kat. Museu Nacional de Arte Antiga, Lissabon (Lissabon 1991);
 
Arte Portuguesa 1992, bearb. v. R.-M. Gonçalves, Ausst.-Kat. Kulturgeschichtl. Museum Osnabrück, u. a. (1992, dt. u. port.);
 
Alvaro Siza, bearb. v. P. Testa (Basel 1996, dt. u. engl.).

Universal-Lexikon. 2012.