Kunststoffe,
Plạste, Polymerwerkstoffe, englisch Plastics ['plæstɪks], Werkstoffe, deren Hauptbestandteile synthetische oder durch Umwandlung von Naturstoffen hergestellte, meist organische Polymere sind. Synthetische Polymere lassen sich durch Polymerisation, Polykondensation oder Polyaddition aus einfachen Molekülen (Monomeren wie Äthylen, Propylen, Styrol, Vinylchlorid, Caprolactam, Isocyanaten usw.; Petrochemie) aufbauen. Die molaren Massen liegen im Allgemeinen zwischen 10 000 und 1 Mio. g/mol. Je nachdem, ob die bei der Polyreaktion entstehenden Makromoleküle aus gleichartigen oder unterschiedlichen Struktureinheiten aufgebaut sind, spricht man von Homopolymeren oder Copolymeren (Polymere). Von den natürlichen Polymeren, die durch Modifizierung in Kunststoffe umgewandelt werden, hat Cellulose die größte Bedeutung (Celluloseester). Bei ausreichend hoher Temperatur sind die Molekülketten von Polymeren beweglich und streben eine Knäuelform an. Der Kunststoff ist dann kautschukelastisch bis plastisch. Beim Abkühlen vermindert sich die Kettenbeweglichkeit und damit die Verformbarkeit des Polymeren. Unterhalb der Glastemperatur (Einfriertemperatur) geht der Kunststoff in einen glasig-harten Zustand über. Die Molekülketten bleiben dabei ungeordnet (etwa wie die Fäden in einem Wattebausch), d. h., der Kunststoff ist amorph. Durch sperrige Seitengruppen oder polare Bindungen (z. B. C—Cl) und die daraus resultierenden Anziehungskräfte wird die Kettenbeweglichkeit herabgesetzt und die Glastemperatur erhöht. Starre ringförmige Kettenglieder behindern die Kettenbeweglichkeit besonders stark und ergeben hochtemperaturbeständige Kunststoffe mit sehr hohen Glastemperaturen (z. B. Polysulfone, Polyimide). Bei regelmäßiger Anordnung der Strukturelemente in der Molekülkette können Polymere kristallisieren (z. B. isotaktische Polypropylen). Die regelmäßige Anordnung der Molekülketten wird allerdings durch ihre geringe Beweglichkeit behindert, sodass meist amorphe Teilbereiche in Form von Schleifen und Windungen zwischen den geordneten Bereichen bestehen bleiben. Der Kunststoff ist dann teilkristallin. Flüssigkristalline Kunststoffe bestehen aus starren Molekülketten, die in der Schmelze oder in Lösung parallel zueinander angeordnet sind. Wenn bei der Verarbeitung (z. B. beim Verspinnen zu Fasern) die parallele Ausrichtung der Molekülketten erhalten bleibt, entstehen Kunststoffe mit extrem hoher Formbeständigkeit und Festigkeit.
Die Klassifizierung von Kunststoffen erfolgt meist aufgrund ihres Verhaltens in der Wärme. Thermoplaste sind amorphe oder teilkristalline Kunststoffe, deren Moleküle nicht miteinander vernetzt sind. Dadurch können oberhalb der Glastemperatur ganze Moleküle ihren Platz wechseln, d. h., Thermoplaste sind in der Wärme plastisch verformbar, schmelzbar und schweißbar. Sie sind außerdem in geeigneten Lösungsmitteln quellbar und mehr oder weniger gut löslich. Zu den Thermoplasten gehören die Standardkunststoffe Polyäthylen, Polypropylen, Polystyrol und Polyvinylchlorid, aber auch wichtige technische Kunststoffe (z. B. Polyamide, Polycarbonate). Elastomere (Elaste) sind vorwiegend amorphe Polymere mit Glastemperaturen unterhalb der Raumtemperatur, deren Moleküle weitmaschig vernetzt sind. Durch die Vernetzung wird zwar der Platzwechsel von Molekülen und damit die plastische Verformung verhindert, die Beweglichkeit von Kettensegmenten bleibt aber erhalten, sodass elastische Formänderungen möglich sind. Elastomere sind bei Gebrauchstemperatur gummielastisch (Kautschuk), sie schmelzen nicht und sind unlöslich, aber quellbar. Thermoplastische Elastomere sind gummielastisch, können aber bei hohen Temperaturen wie Thermoplaste verarbeitet werden. Ihre Molekülketten bestehen aus Segmenten mit niedriger Glastemperatur (z. B. Polybutadien) und Segmenten, die kristallisieren oder die eine hohe Glastemperatur haben (z. B. Polystyrol). Diese »harten Blöcke« wirken bei Gebrauchstemperatur vernetzend, brechen aber bei hoher Temperatur auf. Duroplaste (besser Thermodure) oder Duromere bestehen aus engmaschig vernetzten Molekülen, sodass nur geringfügige Abstandsänderungen innerhalb der dreidimensionalen Struktur möglich sind. Duroplaste sind nicht plastisch verformbar, unschmelzbar, nicht schweißbar und unlöslich. Zu ihnen gehören Phenolharze, Aminoplaste, Epoxidharze und Polyurethane. Polymerlegierungen (Polymerblends) sind mehrphasige Polymermischungen. Besondere Bedeutung haben schlagzähe Polymerlegierungen, bei denen in einer kompakten Polystyrol- oder Polyamid-Hartphase ein weiches Elastomer (z. B. Polybutadien) fein verteilt ist (ABS-Polymerisate).
Die ungeformten Kunststofferzeugnisse (Formmassen) enthalten häufig Füllstoffe zur Verbilligung und zur Erzielung bestimmter Eigenschaften, Stabilisatoren zur Erhöhung der Beständigkeit gegenüber Wärme und Licht u. a. Zusätze. Durch Einbetten von Verstärkungsfasern (Glas-, Aramid- oder Kohlenstofffasern) kann ein Verbundwerkstoff mit höherer Festigkeit hergestellt werden. Mithilfe von Weichmachern wird die Glastemperatur erniedrigt, d. h., harte Thermoplaste (besonders Polyvinylchlorid) werden in einen leder- oder weichgummiartigen Zustand überführt. Die Schaumstoffe sind Kunststoffe mit zelliger Struktur.
Thermoplastische Kunststoffe können u. a. durch Extrudieren, Kalandrieren (Walzen), Spritzgießen, Blasformen oder Folienblasen (Folien) verarbeitet werden. Durch Extrudieren (Extrusion) wird als Pulver oder Granulat eingesetzte Formmasse zu Halbzeug (Rohre, Schläuche, Platten, Folien) geformt. Das Spritzgießen ist das wichtigste Verfahren zur Herstellung von Formteilen. Beim Blasformen, das zur Herstellung von Flaschen und Kanistern dient, wird ein extrudierter, heißer Thermoplastschlauch von einer Form umschlossen und mithilfe von Druckluft an die Innenflächen der Form gedrückt. Durch Kalandrieren lassen sich Folien und Bahnen z. B. aus Polyvinylchlorid herstellen. Phenoplast- und Aminoplast-Formmassen werden beim Press- oder Spritzpressverfahren in vorgewärmte Formen gebracht und unter Druck geformt und gleichzeitig zu Duroplasten vernetzt (ausgehärtet). Reaktionsharze lassen sich drucklos durch Gießen oder Laminieren verarbeiten.
Große Bedeutung haben Kunststoffe im Bauwesen (z. B. für Fensterprofile, Dachbeschichtungen, Abwasserrohre), auf dem Verpackungssektor (z. B. Folien, Flaschen, Kanister) in der Elektroindustrie (z. B. Kabelisolierungen, Leiterplatten), Fahrzeugindustrie (z. B. Stoßfänger, Armaturenbretter, Batteriekästen) und chemische Industrie (z. B. Rohrleitungen) sowie bei Konsumwaren (Möbel, Büroartikel, Geräte der Unterhaltungselektronik), medizinischen Artikeln (z. B. Injektionsspritzen) usw. Kunststoffe zeigen in vielen Bereichen bessere Eigenschaften als konkurrierende Produkte (sie sind z. B. nassfester als Papier, unzerbrechlicher im Vergleich zu Glas, nicht rostend im Vergleich zu Stahl) und können mit geringerem Energieaufwand hergestellt werden. Derzeit finden »maßgeschneiderte« Hochleistungskunststoffe zunehmend Eingang in die Technik. Beispiele sind hochfeste flüssigkristalline Kunststoffe für mechanisch hoch belastete Bauteile, hitze- und schlagfeste Kunststoffe im Motor- und Außenbereich von Kraftfahrzeugen, kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe im Flugzeugbau, polymere Lichtleiter für Verkabelungen im Nahbereich und elektrisch leitende Kunststoffe (»Kunststoffbatterie«). Hauptvorteile von Kunststoffen im technischen Bereich sind das geringe Gewicht der Bauteile (dadurch ergeben sich z. B. Kraftstoffeinsparungen bei Kraftfahrzeugen), Korrosionsbeständigkeit, große Freiheit bei der konstruktiven Gestaltung und Einsparung metallischer Rohstoffe (z. B. Aluminium, Kupfer).
Kunststoffrecycling:
Die weitere Entwicklung der Kunststofftechnik wird u. a. davon abhängen, ob das Recycling von Kunststoffabfällen befriedigend gelöst werden kann. Sortenreine und wenig verunreinigte Abfälle thermoplastischer Kunststoffe, wie sie in Industrie, Gewerbe und Handel anfallen, lassen sich häufig ohne Probleme wieder verwenden (z. B. Wiedereinschmelzen von Flaschenkästen aus Polyäthylen). Im Hausmüll sind Kunststoffabfälle mit einem Masseanteil von 6-8 % enthalten, wovon etwa 67 % auf Polyäthylen und Polypropylen, 16 % auf Polystyrol und 12 % auf Polyvinylchlorid (PVC) entfallen. Derzeit werden davon nur knapp 1 % wieder verwertet. Kunststoffe sind nicht wasserlöslich und verrotten auf einer Mülldeponie praktisch nicht.
In den letzten Jahren hat es viele technische Neuentwicklungen und Verbesserungen von Verfahren zum Verwerten von Altkunststoffen gegeben. Derzeit werden drei Möglichkeiten der Wiederverarbeitung von Kunststoffen unterschieden: die werkstoffliche (direkte Verarbeitung von möglichst sortenreinen Altkunststoffen), die rohstoffliche (Rückgewinnung der Ausgangsstoffe durch thermische u. a. Spaltverfahren) und die energetische Verwertung (Verbrennung). Voraussetzung für eine rohstoffliche oder eine werkstoffliche Verwertung ist eine möglichst sortenreine Sortierung. Bei einer werkstofflichen Verwertung werden die Kunststoffe zunächst grob in die Stoffgruppen Thermoplaste, Duroplaste und Elastomere getrennt und dann zu dickwandigen Produkten (z. B. Parkbänke oder Begrenzungspfähle), für die jedoch nur ein begrenzter Absatzmarkt besteht, verarbeitet. Derart wieder verwertete Kunststoffe entsprechen nur geringen Qualitätsanforderungen, man spricht auch von »downrecyclen«. Je sortenreiner jedoch die Kunststoffe getrennt werden, desto mehr nähert sich das Recyclingprodukt den Qualitätsmerkmalen der Neuware an. - Bei der rohstofflichen Verwertung wird zwischen der Kunststoffpyrolyse, bei der die Kunststoffe in ihre petrochemischen Bestandteile Pyrolysegas und -öl zerlegt werden, sowie der Hydrierung unterschieden, bei der die Kunststoffe gecrackt, Bestandteile wie Chlor und Schwefel abgetrennt und kurzkettige Kohlenwasserstoffe wiedergewonnen werden. Großtechnisch ist die Hydrierung bislang nicht erprobt, eine Großanlage im Raum Halle-Merseburg-Bitterfeld ist jedoch geplant. Da das Pyrolysegas verbrannt und Hydrier- und Pyrolyseöl zu Treibstoffen verarbeitet werden, wird die rohstoffliche Verwertung auch als »mittelbare energetische Verwertung« bezeichnet. - Die Kunststoff- und Verpackungsindustrie befürwortet im Allgemeinen die unmittelbare energetische Verwertung, d. h. die Verbrennung der Altkunststoffe, und argumentiert mit deren hohem Brennwert. Aus Sicht der Abfallwirtschaft hingegen bedeuten die meist großtechnischen Verfahren der rohstofflichen und energetischen Verwertung die Kapitulation der Kreislaufwirtschaft vor der oft unnötigen Sortenvielfalt im Kunststoffbereich.
Die Zeit seit dem Ende der Erdölkrise von 1979/80 ist durch ein stetiges Wachstum der Kunststoffproduktion gekennzeichnet. 2000 wurden in der Welt 180 Mio. t Kunststoffe erzeugt, davon in Westeuropa insgesamt 26,5 %, in den USA 25,5 %, in Südostasien (außer Japan) 24,0 %, in Japan 8,0 %, in Osteuropa 4,5 %, in Afrika/mittlerer Osten 4,0 %, in den übrigen Ländern der Welt 7,5 %. Die Hauptmenge der Weltproduktion entfiel auf Polyäthylen (34 %), gefolgt von Polypropylen (19 %), Polyvinylchlorid (17 %), Polystyrol (9 %) und Polyurethan (6 %). An der Produktion von 47,2 Mio. t in Westeuropa waren Deutschland mit 8,5 %, die Beneluxländer mit 5,5 %, Frankreich mit 3,5 %, Italien mit 2,5 %, Großbritannien mit 2,5 %, Spanien mit 2,0 % und die restlichen westeuropäischen Länder mit 2,0 % beteiligt.
Der Pro-Kopf-Verbrauch von Kunststoffen betrug 2000 in Westeuropa durchschnittlich 92 kg, im Vergleich dazu in Nordamerika 105 kg, in Japan 86,5 kg, in Lateinamerika 19 kg, in Südostasien 12,5 kg, in Osteuropa 10,5 kg und in Afrika /mittlerer Osten 7,5 kg. In Deutschland wurden 2000 15,5 Mio. t Kunststoffe produziert. Einsatzgebiete waren das Bauwesen und die Verpackungsindustrie mit jeweil 27 %, die Fahrzeug- und die Möbelindustrie mit jeweils 8 %, die Elektroindustrie mit 7 %, Haushaltwaren mit 4,5 %, die Landwirtschaft mit 2 % und sonstige Gebiete mit 16,5 %. Aus Deutschland wurden 9,4 Mio. t Kunststoffe in die europäischen Länder exportiert; 6,3 Mio. t aus Europa nach Deutschland importiert.
Ein hornähnlicher Kunststoff wurde bereits im Spätmittelalter aus Ziegenkäse (Milcheiweiß) hergestellt und für Lampen und Intarsien verwendet. Die ersten Kunststoffe waren modifizierte Naturstoffe wie vulkanisierter Kautschuk (1839), Vulkanfiber (1859) und Celluloid (1869). Nach ersten Versuchen von A. von Baeyer (1872), einem ersten Patent von C. H. Meyer (1902) und Weiterentwicklungen von L. H. Baekeland kam 1910 mit dem Phenol-Formaldehyd-Harz Bakelit der erste vollsynthetische Kunststoff auf den Markt. In den 20er-Jahren führte H. Staudinger seine grundlegenden Arbeiten über den Aufbau von Polymeren durch. Polymerisationskunststoffe werden seit etwa 1930 im technischen Maßstab hergestellt (Polymethacrylate 1928, Polystyrol 1930). Voraussetzung für die große Verbreitung der Kunststoffe waren billig verfügbares Erdöl und die starke Entwicklung der Petrochemie in den 50er- und 60er-Jahren.
B. Gnauck: Einf. in die K.-Chemie (31991);
H. Domininghaus: Die K. u. ihre Eigenschaften (41992);
Die Wiederverwertung von K., hg. v. J. Brandrup u. a. (1995);
K.-Kunde. Aufbau, Eigenschaften, Verarbeitung, Anwendungen der Thermoplaste, Duroplaste u. Elastomere, hg. v. O. Schwarz (61999);
Werkstoffkunde K., hg. v. G. Menges u. a. (52001);
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Kunststoffrecycling: Werkstoffliche Wiederverwertung von Kunststoffen
Kunststoffrecycling: Rohstoffliche Wiederverwertung von Kunststoffen
Kunststoffe: Die Arten, ihre Verarbeitung
Biokunststoffe: Neue Werkstoffe
Kunststoffe: Eine Welt aus Plastik
Werkstoffe: Polymere
Universal-Lexikon. 2012.