Akademik

Solowjow
Solowjọw,
 
Solov'ev [-'vjɔf],
 
 1) Sergej Michajlowitsch, russischer Historiker, * Moskau 17. 5. 1820, ✝ ebenda 16. 10. 1879; seit 1847 Professor in Moskau, seit 1872 Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg. In seinem Hauptwerk, einer bis 1774 reichenden Geschichte Russlands (»Istorija Rossii s drevnejšich vremen«, 28 Teile, 1851-79), betonte er auf der Grundlage neuer Quellen die Gesetzmäßigkeit der historischen Entwicklung Russlands (ein 29. Teil erschien postum). Sein besonderes Interesse galt den Reformen Peters I., des Grossen (»Publičnye čtenija o Petre Velikom«, 1872).
 
 2) Wladimir Aleksandrowitsch, russischer Lyriker und Dramatiker, * Sumy 8. 4. 1907, ✝ Moskau 30. 1. 1978; begann mit Lyrik, satirischen Gedichten und Versfeuilletons, ging dann zu Dramen über, in denen er v. a. historische Stoffe patriotisch behandelt (»1812 god«, 1939; »Velikij gosudar'«, 1945; »Car Jurij«, 1966); auch Kriegsstücke und Stücke über aktuelle Themen.
 
Ausgabe: Izbrannoe, 2 Bände (1982).
 
 3) Wladimir Sergejewitsch, russischer Religionsphilosoph und Schriftsteller, * Moskau 16. 1. 1853, ✝ Uskoje (bei Moskau) 31. 7. 1900; lehrte ab 1875 in Moskau, ab 1880 in Sankt Petersburg bis zum Lehrverbot 1881, das erfolgte, weil er für die Begnadigung der Zarenmörder eingetreten war; danach freier Schriftsteller und Publizist. Unter dem Einfluss v. a. Platons, des Neuplatonismus, des Pantheismus B. de Spinozas, der christlichen Mystik (J. Böhme), F. W. J. Schellings, auch G. W. F. Hegels entwickelte Solowjow, der als einer der bedeutendsten Systematiker der russischen Philosophie des 19. Jahrhunderts gilt, eine weitgehend originäre christlich-neuplatonische Religionsphilosophie. Zentrum ist hierbei die Idee der »All-Einheit«, der »größten Einheit des Ganzen in der größten Selbstständigkeit und Freiheit der einzelnen Elemente« und ihre von der göttlichen All-Weisheit (»sophía«) prädisponierte Wiederherstellung durch die Versöhnung von Gott und Welt und damit die Verwirklichung von Frieden und Harmonie. Im Rahmen dieses zugleich geschichtsphilosophischen, auf »freie Theokratie« ausgerichteten Konzepts intendiert Solowjows System eine »Synthese von Religion, Philosophie und Wissenschaft im Sinne eines ganzheitlichen Lebens«. Der Mensch, der das sinnlich-materielle, das sittlich-soziale und das geistige Prinzip in sich vereinige, gilt als berufener und an Christus und seinem Vorbild orientierter Mittler zwischen Gott und Welt in freier, bewusster Teilnahme am göttlichen Heilsplan. Die höchste schöpferische Form ist die Liebe, die in Überwindung des Egoismus nicht nur zur höheren Einheit der Individualitäten von Mann und Frau, sondern darüber hinaus (unter der Voraussetzung eines entsprechenden Geschichtsprozesses) zur »wahren Einheit« der Menschheit führt. Auch in der Ethik kommt der Liebe zentrale Bedeutung zu; das Gute ist bestimmt als »unteilbare Organisierung« der Liebe. »Natürliche Wurzeln des Sittlichen« sind Scham, Mitleid, Ehrfurcht (Gottesfurcht), aus denen Solowjow die »allgemeinen und notwendigen Prinzipien und Regeln des sittlichen Lebens« ableitet. Praktische Konsequenz seines auf die All-Einheit zielenden Systems ist sein Eintreten für eine Versöhnung der orthodoxen mit der katholischen Kirche als erster Schritt zur Verwirklichung einer universalen christlichen Kirche wie auch sein Bemühen um Ausgleich zwischen der Glaubensüberlieferung des christlichen Ostens und der Wissenschaft des Westens. - Bedeutend und weit reichend ist Solowjows Wirkung auf die russische Philosophie und (besonders durch seine Lyrik und Ästhetik) auf die russische Literatur, v. a. auf den Symbolismus von A. Belyj und A. A. Blok.
 
Ausgabe: Deutsche Gesamtausgabe der Werke, herausgegeben von W. Szylkarski, 8 Bände und Ergänzungsband (1953-80).
 
Literatur:
 
W. Szylkarski: Solowjews Philosophie der All-Einheit. Eine Einf. in seine Weltanschauung u. Dichtung (Kaunas 1932);
 L. Wenzler: Die Freiheit u. das Böse nach Vladimir Solov'ev (1978);
 A. F. Losev: Vladimir Solov'ev (Moskau 1983);
 W. Goerdt: W. S., in: W. Goerdt: Russ. Philosophie (1984);
 E. Gourvitch: W. S. Der Mensch (a. d. Russ., Neuausg. Muttenz 1986);
 A. Ignatow: S. u. Berdjajew als Geschichtsphilosophen (1997);
 L. u. T. Sytenko: W. S. in der Kontinuität philosoph. Wirkens (Schaffhausen 1997).

Universal-Lexikon. 2012.