Lehns|we|sen 〈n.; -s; unz.; früher〉 Gesamtheit dessen, was mit Lehen zusammenhängt; Sy Feudalismus (1)
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Lehns|we|sen, das <o. Pl.> (Geschichte):
Gesamtheit der Dinge, die mit den Lehen u. deren Vergabe zusammenhängen.
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I Lehnswesen
Das Mittelalter kannte keinen Staat im modernen, abstrakten Sinne. Der mittelalterliche »Staat« war ein »Personenverband«, er beruhte auf dem persönlichen Verhältnis zwischen dem Herrscher und dem von ihm in unterschiedlicher Weise und vielfachen Abstufungen abhängigen Volk. Mächtig war, wer Grund und Boden besaß. Im Fränkischen Reich war der mächtigste Grundherr der König. Neben ihm gab es eine dünne Führungsschicht von Grundherren, meist schwerttragende Angehörige des Hochadels; auch die stark aristokratisch geprägte Kirche besaß viele Ländereien.
Der Großgrundbesitz von König, Adel und Kirche war grundherrschaftlich organisiert. Kennzeichnend für die Grundherrschaft waren die Fronhofsverbände (Villikationen). Sie bestanden aus einem vom Grundherrn betriebenen zentralen Fronhof (manchmal auch mit Nebenhöfen) und den von Unfreien verschiedenster Abstufung selbstständig bewirtschafteten Bauerngütern. Diese Unfreien, die man zusammenfassend Hintersassen oder Grundholde nennt, waren dem Grundherrn zu Abgaben und Arbeitsleistungen (Fronen) verpflichtet und unterstanden seiner Gerichtsbarkeit.
Der König als größter Grundherr verpflichtete sich Gefolgsleute aus dem hohen Adel des Landes, indem er ihnen Landbesitz aus Königsgut zur Leihe übertrug, später auch Ämter und Rechte. So entstand das Lehnswesen aus der Verschmelzung von Landleihe und persönlicher Treue und Gefolgschaft, der Vasallität. Der Lehnsvertrag wurde auf Gegenseitigkeit abgeschlossen, meist symbolisch dadurch, dass der Lehnsmann, der Belehnte, seine gefalteten Hände in die des Lehnsherrn legte. Der Lehnsmann verpflichtete sich zu Dienst und Treue, der Lehnsherr übergab das Lehen und versprach Schutz und Treue. Der Lehnsvertrag endete erst mit dem Tod eines der Partner, doch auch Untreue des einen entband den anderen seiner Treuepflicht.
Die Großen des Reiches standen damit als königliche Vasallen in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Herrscher, aber sie waren auch einerseits als Amtsträger, als Grafen, Markgrafen, Pfalzgrafen und Königsboten, andererseits als Besitzer eigener Grundherrschaften (Allodialgüter) mit großer Machtfülle ausgestattet. Sie selbst konnten sich durch Vergabe von Land, Rechten und Ämtern Untervasallen schaffen und damit einen eigenen Machtapparat aufbauen. So setzte sich trotz der Bindung des Lehens an die persönlichen Elemente Treue und Vasallität seit dem 9. Jahrhundert die faktische Erblichkeit der Lehen durch. Wegen der zentralen Rolle von Grundherrschaft und Lehnswesen hat man der Gesellschaftsform des Mittelalters den Namen »Feudalismus« gegeben (Lehen heißt lateinisch feudum).
II
Lehnswesen,
die auf dem Lehnsverhältnis (Lehen) beruhende Rechts- und Gesellschaftsordnung, das Grundelement des westeuropäischen Feudalismus.
Die Entwicklung des Lehnswesens
Das Lehnswesen des deutschen Mittelalters ging hervor aus der seit dem 7./8. Jahrhundert im Frankenreich vollzogenen Verschmelzung der personenrechtlichen Vasallität und des sachenrechtlichen Benefizialwesens. Die Vasallität, eine Verbindung der ursprünglich gallorömischen Kommendation und der altgermanischen Gefolgschaft, war das Treudienstverhältnis, das den Mann (Vassus) verpflichtete, dem Herrn (Dominus, Senior) gegen Schutz und Unterhalt Dienst und Gehorsam zu leisten. Die Treuepflicht war gegenseitig. Das Benefizium (seit dem 10. Jahrhundert in Frankreich und seit dem 11. Jahrhundert in Deutschland auch Feodum genannt) bildete das dingliche Element des Lehnswesens und entwickelte sich aus der merowingischen Benefizialleihe, einer Landvergabe gegen geringen oder keinen Zins (daher lateinisch beneficium »Wohltat«). Auch den Vasallen wurde für ihren Unterhalt zunehmend Land zu Nutzungsrecht und ohne Zinspflicht verliehen. Die Karolinger zogen die großen Grundbesitzer (Senioren) mit ihren Gefolgsleuten für den Dienst im Reiterheer heran. Die im Schutz der Könige stehende Kirche musste als Gegenleistung Kirchengut als Benefizium für die Ausstattung von Vasallen abgeben. So trat neben das germanische Volksheer allmählich ein berittenes Berufskriegerheer, das schließlich den allgemeinen Heerbann völlig verdrängte. Neben der Heeresverfassung erfasste das Lehnswesen auch die Amtsorganisation sowie den Staatsaufbau und gab dem Mittelalter das Gepräge; es formte auch seine Kultur und Dichtung. Seine Blütezeit erreichte das Lehnswesen im 12. Jahrhundert, als Kaiser Friedrich I. Barbarossa die durch das Wormser Konkordat von 1122 eingeleitete Feudalisierung der Reichskirche auf jede Vergabe von Reichsrechten (z. B. Zölle, Ämter, ganze Gebietsherrschaften) auszudehnen suchte und eine Feudalisierung des Reiches anstrebte. Damit bildete sich das staatliche System einer Lehnshierarchie heraus (Heerschildordnung), die auch eine ständische Rangordnung bewirkte (Heerschild); jede Lehnsnahme von einem Heerschildgenossen minderte den Heerschildrang. Während aber in Frankreich das Königtum aus dem persönlichen Element des Lehnswesens seine Herrschaft über die Kronvasallen entwickelte, trat in Deutschland das dingliche Element in den Vordergrund: Man empfing das Lehen nicht mehr wegen des Dienstes, sondern man diente wegen des frühzeitig erblich werdenden Lehens. Der König, obschon nach der Heerschildordnung oberster Lehnsherr, wurde außerhalb der Krondomäne von der Herrschaft über Land und Leute weitgehend abgesperrt; er konnte sich nur noch an seine unmittelbaren (Kron-)Vasallen halten, deren Aftervasallen ihm - anders als in England und Frankreich - keine Treue schuldeten. Aufgrund der Doppelvasallität konnten sich diese bei einem Konflikt ihrer Lehnsherren neutral verhalten und ihrer Dienstpflicht entziehen.
Das deutsche Lehnsrecht versuchten im 13. Jahrhundert die als Privatsammlungen entstandenen Rechtsspiegel zusammenzufassen (Sachsenspiegel, Schwabenspiegel), die jeweils dem Lehnsrecht noch einen landrechtlichen Teil vorschalteten. Diese Allgemeingeltung erlangenden Kodifikationen sollten im 16. Jahrhundert durch die im 11./12. Jahrhundert entstandenen langobardischen »libri feudorum« abgelöst werden, gegenüber denen sich aber das einheimische partikuläre Lehnsrecht behauptete.
Das Lehnsverhältnis wurde begründet durch förmliche Belehnung (Investitur), meist verbunden mit der Überreichung von Herrschaftssymbolen (Schwert, Zepter, Fahne, Ring, Kreuz, Handschuh) vor dem Lehnshof, der Gesamtheit der Vasallen. Der Vasall leistete das aus der Kommendation stammende Homagium, indem er die gefalteten Hände in die des Herrn legte, sowie den Lehnseid, das unter Eid gegebene Treueversprechen. Vor dem Lehnsgericht erwiesener Treubruch verwirkte das Lehen, führte aber in Deutschland nur selten noch zu persönlicher Bestrafung. Der Lehnsdienst bestand v. a. aus Heerfahrt und Hoffahrt. Die wichtigste Form der Heerfahrt, d. h. des Kriegsdienstes für den Lehnsherrn, war die (in Geld ablösbare) Romfahrt, der Krönungszug nach Rom. Hoffahrt bedeutete Anwesenheit am Hof des Lehnsherrn zu Rat und Hilfe; hieraus entwickelten sich zum Teil die späteren Landtage, und auch der Reichstag wurde zu einer Versammlung von Lehnsträgern, wie überhaupt seit dem 12. Jahrhundert die amtsrechtliche Stellung des Reichsfürstenstands durch eine lehnsrechtliche ersetzt wurde.
Der Lehnsmann hatte Besitz und Nutzung am Lehnsgut; später sprach man vom Untereigentum des Mannes und Obereigentum des Herrn. Beim Tod des Mannes (Mannfall) oder des Herrn (Herrenfall) musste die Lehnserneuerung nachgesucht werden (Mutung); mit dem Erblichwerden der Lehen entstand ein Anspruch auf Belehnung. Folgerecht hatten zunächst nur lehnsfähige männliche Abkömmlinge (Agnaten), später auch Seitenverwandte. Die Lehnsfähigkeit setzte anfangs Ritterbürtigkeit, Waffenfähigkeit und den Vollbesitz der Ehre voraus. Städtische Bürger und Gemeinden bedurften zunächst eines Lehnsträgers; später wurden sie weithin voll lehnsfähig, ebenso die Frauen. Unmündige erhielten einen Lehnsvormund. Eine Lehnsanwartschaft (Lehnsexspektanz) gewährte einen Anspruch auf ein demnächst frei werdendes Lehen. Gesamtbelehnung lag vor, wenn mehrere Lehnsleute als Gesamthänder beliehen wurden. Lehnschulden nannte man die auf dem Lehen selbst lastenden und mit diesem auf den Nachfolger übergehenden Schulden. Unvererbliche Dienstlehen erhielten auch die unfreien Ministerialen; mit ihrem Aufstieg zum freien Ritterstand im 14. Jahrhundert wurden auch jene erblich. Im Ganzen bildete das Lehnsrecht eine in sich geschlossene Ordnung, in der die Rechtstechnik des Mittelalters ihren Gipfelpunkt erreichte (H. Mitteis).
Mit dem Aufkommen der Söldner- statt der Ritterheere, dem Eindringen Bürgerlicher in die Verwaltung und besonders dem Vordringen der territorialen Herrschaftsbildung im Spätmittelalter ging die Bedeutung des Lehnswesens zurück. Allerdings bot es durch das Einbehaltungsrecht heimfallender Lehen, durch die Verpflichtung der Vasallen auf ein Territorium oder über die Einnahme der Belehnungsgebühren auch weiterhin noch Möglichkeiten für den Lehnsherrn, und formell blieb das Heilige Römische Reich bis 1806 ein Lehnsstaat. Die Lehen wurden im 19. Jahrhundert durch Allodifizierung und Beseitigung des Obereigentums der Lehnsherren aufgehoben, zum Teil erst nach 1918 durch Gesetze der Länder und des Reichs, 1947 durch Kontrollratsgesetz.
P. Roth: Feudalität u. Untertanenverband (1863, Nachdr. 1966);
H. Mitteis: Lehnrecht u. Staatsgewalt (1933, Nachdr. 1974);
H. Mitteis: Der Staat des hohen MA. (111986);
W. Goez: Der Leihezwang (1962);
K.-F. Krieger: Die Lehnshoheit der dt. Könige im Spät-MA. (1979);
F. L. Ganshof: Was ist das L.? (a. d. Frz., 71989).
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Lehns|we|sen, das <o. Pl.> (hist.): Gesamtheit der Dinge, die mit den Lehen u. deren Vergabe zusammenhängen.
Universal-Lexikon. 2012.