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Sachsenspiegel
Sạch|sen|spie|gel 〈[ -ks-] m. 5; unz.〉 berühmtes Rechtsbuch des MA, um 1220 von dem sächs. Ritter Eike von Repkow verfasst

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I
Sạchsenspiegel,
 
das bedeutendste, gemeinsam mit dem Mühlhäuser Reichsrechtsbuch älteste Rechtsbuch des deutschen Mittelalters und zugleich erstes bedeutendes Werk der mittelalterlichen, deutschsprachigen Prosaliteratur, um 1224/25 von dem sächsischen Ritter Eike von Repgow nach einer lateinischen Urfassung in mittelniederdeutscher Sprache verfasst. Der Sachsenspiegel ist eine private Rechtsaufzeichnung, die das bestehende, ungeschriebene, v. a. durch Gerichtsgebrauch überlieferte Gewohnheitsrecht des Sachsenlandes (besonders der elb-ostfälischen Heimat des Verfassers) im Sinne erzieherisch-vorbildhafter Lebensregeln wiedergibt (daher »Spiegel«). Inhaltlich gliedert er sich in das Landrecht als das Recht der freien Leute (Grundstücks- und Erbrecht, Ehegüter-, Nachbar-, Straf-, Gerichtsverfahrensrecht) und das Lehnsrecht (Heerschildordnung, Lehnspyramide, Lehnsgericht). Der Sachsenspiegel erlangte bald gesetzesgleiches Ansehen und bildete die Vorlage der beiden oberdeutschen Rechtsbücher (Deutschenspiegel, Schwabenspiegel) und des Meißener Rechtsbuches (auch »Rechtsbuch nach Distinctionen« oder »vermehrter Sachsenspiegel« genannt). Auf dem Sachsenspiegel beruhen das Magdeburger Recht und das gemeine Sachsenrecht. Sein Einflussbereich erstreckte sich über das deutsche Reichs- und Sprachgebiet hinaus auf weite Teile Polens, Russlands und Ungarns; in bestimmten Teilen Deutschlands (Thüringen, Anhalt) blieb er bis 1900 in Kraft (noch 1932 vom Reichsgericht zitiert). Anfang des 14. Jahrhunderts verfasste der brandenburgische Hofdichter Johann von Buch in niederdeutscher Sprache eine Glosse zum Landrecht. Der Sachsenspiegel ist in 341 Handschriften des Landrechts und 94 Lehnsrechtstexten überliefert, die zum Teil durch kolorierte Handzeichnungen illustriert sind, so die von Dresden (heute weitgehend zerstört), Heidelberg, Oldenburg und Wolfenbüttel.
 
Ausgaben: Sachsenspiegel, herausgegeben von K. A. Eckhardt, 2 Bände (31973); Das Lehnrecht des Sachsenspiegels, herausgegeben von demselben (31975).
 
Literatur:
 
W. Koschorreck: Der S. in Bildern (51989);
 F. Ebel: S., in: Hwb. zur Dt. Rechtsgesch., hg. v. A. Erler u. a., Bd. 4 (1990).
 
II
Sachsenspiegel
 
In der Germanenzeit war der überlieferte Rechtsbrauch Norm für das Zusammenleben der Menschen. Die Mündlichkeit des germanischen Rechtslebens blieb zunächst auch im Mittelalter bestimmend. Um zu wissen, wie »zu Recht«, also richtig und rechtgemäß, zu verfahren sei, erfragte man bei Rechtskundigen, wie früher und bislang verfahren worden war. Obwohl das »gute alte Recht« als unveränderlich galt, machte es doch Wandlungen durch, denn es war an das Gedächtnis und die Erinnerung der Menschen gebunden und damit Teil ihrer Erfahrung. Jeder Personenverband bildete einen eigenen Rechtskreis, bewahrte sein eigenes Recht, das sich gemäß lokaler Besonderheiten der Lebensbedingungen vom Recht der anderen Verbände unterschied.
 
Als die weitgehend einheitlich-agrarische Welt der frühmittelalterlichen Grundherrschaften mit der Aufbruchperiode des 11. Jahrhunderts vielfältiger zu werden begann, wurde auch das Recht vielfältiger: In den Städten entwickelten sich Stadtrechte; Rodungsbauern und Kolonisten wurden durch Zusage besseren Rechts angeworben. Die Kirchenreformer (siehe auch Kirchenreform und neue Religiosität) beriefen sich bei ihrem Kampf gegen Eigenkirchenwesen und königliche Kirchenherrschaft (siehe auch Reichskirche) auf das Recht der Alten Kirche und setzten damit den Ausbau des kanonischen Rechts in Gang. Von den Juristenschulen in Italien ging eine verstärkte Beschäftigung mit dem spätrömischen Kaiserrecht aus und förderte bei den Herrschern das Verständnis für planmäßige Gesetzgebung und Schriftlichkeit im Rechtsleben. In dieser Situation setzten überall in Westeuropa Bemühungen ein, auch das bisher mündliche Gewohnheitsrecht aufzuschreiben. Wie die anderen Werke dieser Art, war auch das Rechtsbuch, das der aus Ostsachsen stammende Ritter Eike von Repgow in den Jahren 1220-30 schrieb, eine Privatarbeit. Er nannte es selbst »Spiegel der Sachsen«, weil es wie ein »Spiegel von Frauen« das Gewohnheitsrecht seines Erfahrungsbereiches wiedergeben, es abbilden - »spiegeln« - sollte. Nach den beiden grundlegenden Rechtsbeziehungen, in denen die Menschen damals standen, ist es in »Landrecht« und »Lehnrecht« unterteilt. Der Sachsenspiegel ist nicht in der Sprache der Gebildeten, Latein, sondern in deutscher Sprache abgefasst. Dies verstärkt den Eindruck, als handele es sich um unverfälschtes, altüberliefertes Volksrecht. Man wird Eike von Repgow glauben, dass er wirklich nur das alte Recht widerspiegeln wollte. Man kann aber erkennen, dass die Verschriftlichung allein den Charakter des Rechts veränderte, weil Eike die Vielzahl der Einzelrechte durch die Zuordnung zu allgemeinen Rechtsgrundsätzen systematisierte. So stellt der Sachsenspiegel eine wirklich rechtsschöpferische Leistung dar, die Vorbild für andere deutsche Rechtsbücher war (Deutschenspiegel, Schwabenspiegel).
 

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Sạch|sen|spie|gel, der; -s [↑Spiegel (10)]: Rechtssammlung des deutschen Mittelalters.

Universal-Lexikon. 2012.