Akademik

Homer
I
Homer,
 
althebräisches Volumenmaß; 1 Homer = 10 Epha = 360 Liter.
 
II
Homer,
 
griechisch Họmeros, griechischer Dichter, nach der Überlieferung ältester Dichter des Abendlandes; lebte im 8. Jahrhundert v. Chr. im ionischen Kleinasien. Im 19. Jahrhundert als fiktive Gestalt angesehen, gilt er heute wieder als historische Person. Als seine Geburtsstadt gilt (nicht unbegründet) u. a. Smyrna; auch bestanden wohl enge Verbindungen zu Chios. In der Legende erscheint er als blinder Rhapsode; von dieser Vorstellung sind auch seine - idealisierten - Porträtbüsten geprägt.
 
Die im Altertum unter Homers Namen überlieferten Epen Ilias und Odyssee wurden wahrscheinlich in der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr. dichterisch gestaltet, wobei die Odyssee nach heute überwiegender Ansicht jünger ist.
 
Die Ilias (etwa 16 000 Hexameter) wird durch eine Episode aus dem letzten Jahr der zehnjährigen Belagerung Trojas (Trojanischer Krieg), den Groll des Achill (51 Tage, von denen nur wenige ausführlich dargestellt sind), motivisch zusammengehalten. Dabei wird der gesamte Kriegsverlauf sichtbar, auf die Vorgeschichte (das Urteil des Paris) und den späteren Tod des Achill sowie den Fall Trojas wird nur verwiesen. Die Haupthandlung ist durch Episoden unterbrochen (so die Darstellungen der großen Einzelkämpfe, Aristien, und die Beschreibung von Achills Schild im 18. Buch), jedoch verketten interne Vor- und Rückverweise das Geschehen über weite Textstrecken hinweg. Endpunkt der Handlung ist Hektors Tod durch Achill und die Bestattung. Bei der Auslösung des Leichnams durch König Priamos zeigt sich Achill mit dem Gegner in allgemeinem menschlichen Leid verbunden. Die Frauengestalten (Helena, Andromache, Hekabe) werden dichterisch als unterschiedliche Kontrastfiguren zur Welt der Männer gestaltet. Parallel zum menschlichen Geschehen verläuft eine Götterhandlung, in der die Götter versuchen, die Ereignisse nach ihrem Willen zu lenken. Ihre allzu menschlichen Handlungsweisen riefen später bei den griechischen Philosophen Widerspruch hervor.
 
Die Odyssee erzählt in etwa 12 000 Hexametern die zehnjährigen Irrfahrten und die Heimkehr des Odysseus nach der Eroberung Trojas durch die Griechen. Der Dichter (der Odysseus zu großen Teilen in der ersten Person berichten lässt) schildert in kunstvoller Verschränkung der Handlungselemente die vielfältigen Abenteuer der Seefahrt, konfliktreiche Situationen sowie zum Teil märchenhafte Erlebnisse an fremden Küsten bis zum blutigen Kampf des Heimkehrenden auf Ithaka, wobei Odysseus alle Abenteuer und Schwierigkeiten in kluger Standhaftigkeit besteht. Anders als in der »Ilias« handeln in der Odyssee auch Vertreter sozial niederer Schichten (Hirten, Diener, Bettler). Die Götterhandlung ist dagegen weniger ausgeprägt; die Zauberinnen Kalypso und Kirke tragen in ihrem Verhältnis zu Odysseus menschliche Züge. Auch die beiden anderen großen Frauengestalten, Penelope und Nausikaa, geben dem Epos ein unverwechselbares Gepräge.
 
Der Hexameter hat in den beiden Epen bereits seine klassische Gestalt gefunden. Die Sprache ist eine typische Kunstsprache, wie sie in dieser Form nie gesprochen wurde: Der Hauptbestand ist ionisch, doch finden sich zahlreiche äolische Elemente, die zum älteren Bestand des epischen Formenschatzes gehören; diese traditionsbedingte Dialektmischung bildet eine untrennbare Einheit. Die Dichtung archaisiert bewusst (u. a. bronzene statt eiserne Waffen und Geräte). Die epische Technik ist charakterisiert durch stehende Beiwörter (Epitheta), Verswiederholungen (Iteraten), Formelverse und typische Szenen (Wappnungen, Zweikämpfe, Zubereitungen des Mahles u. a.). In ihr vollendet sich eine Tradition, die die Summe einer jahrhundertealten, bis in die mykenische Zeit reichende Entwicklung zieht.
 
Den Griechen galt Homer als »der Dichter« schlechthin; er war der Gestalter ihres Götter- und Menschenbildes und die Grundlage der griechischen Literatur. Neben den beiden großen Epen »Ilias« und »Odyssee« wurden Homer anfänglich die homerischen Hymnen, Teile des epischen Zyklus (zyklische Dichter), das parodistische Gedicht Margites und die Batrachomyomachie zugeschrieben. Schon Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. galten jedoch nur die beiden großen Epen als homerisch, einige Gelehrte (die Chorizontes) sprachen Homer allerdings die »Odyssee« ab. Der heutige Text und seine Gliederung basieren auf den Ausgaben der alexandrinischen Philologen Zenodot, Aristophanes und Aristarchos von Samothrake. Während des gesamten Altertums nahm das Werk Homers den ersten Platz in der griechischen Schullektüre ein. - Die römische Literatur setzte mit der Odyssee-Übersetzung des Livius Andronicus (3. Jahrhundert v. Chr.) ein, die »Aeneis« Vergils, die im Mittelalter Homer verdrängte, küpft inhaltlich und formal an ihn an. In der Renaissance wurde der griechische Homertext zunächst in lateinische Prosa übersetzt. 1537 übertrug dann S. Schaidenreisser die »Odyssee« in deutsche Prosa. Bahnbrechend für die Homer-Renaissance wurden englische Autoren: G. Chapman (1598-1616) und A. Pope (1725-26) schufen Homer-Übersetzungen, R. Wood verfasste den »Essay on the original genius of Homer« (1769). In Deutschland entstanden die Übersetzungen von J. H. Voss (»Odyssee« 1781, »Ilias« 1793) sowie von C. und F. L. Grafen zu Stolberg (1823). J. J. Winckelmann und Goethe wurden in ihrem Verständnis der Antike von Homer angeregt.
 
Die »homerische Frage«, ob der Verfasser der Epen eine Dichterpersönlichkeit war oder ob sie aus Einzeldichtungen allmählich zusammengewachsen sind (Liedertheorie), wird heute im Allgemeinen zugunsten des Dichters beantwortet. Wohl ging eine jahrhundertelange Tradition mündlicher Heldendichtung den homerischen Epen voraus, aber die kunstvolle Komposition von »Ilias« und »Odyssee« ist ohne die schriftlich fixierte Literatur nicht denkbar.
 
Ausgaben: Scholia Graeca in Homeri Iliadem, herausgegeben von H. Erbse, 7 Bände (1969-88); The Iliad, a commentary, herausgegeben von G. S. Kirk, Band 1 (1985, enthält Buch 1-4); Homeri opera, herausgegeben von D. B. Monro und T. W. Allen, 5 Bände (Neuausgabe 1988-92); Homeri Odyssea, herausgegeben von H. van Thiel (1991); Homeri Ilias, herausgegeben von demselben (1996).
 
Werke, übersetzt von D. Ebener, 2 Bände (41992); Ilias, übersetzt von H. Rupé (101994); Odyssee, übersetzt von A. Weiher (101994); Die Odyssee, übersetzt von W. Schadewaldt (165.-167. Tausend 1995); Ilias, übersetzt von demselben (Neuausgabe 101996); Ilias. Odyssee, übersetzt von J. H. Voss (Neuausgabe 31996).
 
Literatur:
 
K. Reinhardt: Die Ilias u. ihr Dichter (1961);
 W. Schadewaldt: Von H.s Welt u. Werk (41965);
 W. Schadewaldt: Der Aufbau der Ilias (1975);
 K. Schefold: Griech. Dichterbildnisse (Zürich 1965);
 A. Lesky: Homeros (1967);
 T. Beicher: H. in der dt. Lit. 1450-1740 (1972);
 E. Risch: Wortbildung der homer. Sprache (21974);
 G. S. Kirk: H. and the oral tradition (Cambridge 1976);
 H. Strasburger: Zum antiken Gesellschaftsideal (1976);
 
Studien zum antiken Epos, hg. v. H. Görgemanns u. a. (1976);
 W. Kullmann: Zur Methode der Neoanalyse in der H.-Forschung, in: Wiener Studien, N. F., Jg. 15 (Wien 1981);
 W. Kullmann: Einige Bemerkungen zum H.-Bild des MA., in: Litterae medii aevi, hg. v. M. Borgolte u. a. (1988);
 B. Andreae: Odysseus. Archäologie des europ. Menschenbildes (21984);
 H. Erbse: Unters. zur Funktion der Götter im homer. Epos (1986);
 J. Latacz: H. Der erste Dichter des Abendlandes (21989);
 
H. Die Dichtung u. ihre Deutung, hg. v. J. Latacz: (1991);
 U. Hölscher: Die Odyssee. Epos zw. Märchen u. Roman (31990);
 N. Yamagata: Homeric morality (Leiden 1994).
 
III
Homer
 
['həʊmə], Winslow, amerikanischer Maler, * Boston (Massachusetts) 24. 2. 1836, ✝ Prouts Neck (Me.) 29. 9. 1910; war nach einer Ausbildung als Lithograph ab 1852 in New York vorwiegend als Illustrator für Zeitschriften tätig. Ab 1861 nahm er als Zeichner am Bürgerkrieg teil und begann während dieser Zeit zu malen (»Gefangene von der Front«, 1866; New York, Metropolitan Museum). 1866 reiste er erstmals nach Europa, wo ihn in Paris v. a. der französische Realismus beeindruckte. 1873 begann er, Aquarelle zu malen. Nach einem längeren Aufenthalt in einem Fischerdorf an der Nordostküste Englands ließ er sich 1883 in Prouts Neck nieder. Homers bevorzugte Motive waren Landschaften, v. a. Küsten, sowie Schiffe und Menschen auf See, er malte auch Genrebilder (besonders Szenen aus dem Leben der Schwarzen).
 
 
G. Hendricks: The life and work of W. H. (New York 1979);
 H. A. Cooper: W. H. Watercolors (Washington, D. C., 1986).

Universal-Lexikon. 2012.