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Heine
Heine,
 
1) Albert, Schauspieler, Regisseur, Theaterleiter, * Braunschweig 16. 11. 1867, ✝ Westerland 13. 4. 1949; war Charakterdarsteller (Shylock, Mephisto) v. a. in Berlin und Wien, ab 1910 ständig am Wiener Burgtheater, 1918-21 dessen Direktor.
 
 2) Eduard, Mathematiker, * Berlin 18. 3. 1821, ✝ Halle (Saale) 21. 10. 1881; Professor in Bonn und Halle (Saale). Heine war einer der wichtigsten Vertreter der »weierstraßschen Schule«; er lieferte Beiträge zur Grundlegung der Analysis (Heine-Borel-Überdeckungssatz) und verteidigte die von G. Frege heftig kritisierte Auffassung, Zahlen seien nichts als Symbole.
 
 3) Heinrich, bis zur christlichen Taufe 1825 Harry Heine, Dichter und Publizist, * Düsseldorf 13. 12. 1797 (nach eigenen Angaben 1799), ✝ Paris 17. 2. 1856, Sohn eines jüdischen Tuchhändlers; studierte nach dem Scheitern seiner kaufmännischen Laufbahn Jura in Bonn (Burschenschafter), Göttingen (wegen Duellvergehens relegiert) und bis 1823 in Berlin, wo er v. a. in Rahel Varnhagen von Enses Salon verkehrte und Verbindung zu dem »Verein für Kultur und Wissenschaft der Juden« aufnahm. 1822 reiste er nach Polen, 1824 besuchte er, nach Fußreise durch den Harz, Goethe in Weimar; 1825 trat er zum Protestantismus über und schloss sein Studium in Göttingen (Dr. jur.) ab. 1826 reiste er nach England, 1828 nach Italien. 1827/28 war er Mitarbeiter von J. F. Cottas »Neuen allgemeinen politischen Annalen«. Im April 1831 ging Heine als Korrespondent der »Allgemeinen Zeitung« (Augsburg) nach Paris, wo er, abgesehen von zwei Reisen nach Deutschland (1843 und 1844), bis zu seinem Tod lebte. In Paris schloss er sich den Saint-Simonisten an. 1835 wurden seine Schriften in Deutschland verboten (Beschluss des Bundestags des Deutschen Bundes gegen das Junge Deutschland). Seit 1841 war Heine Ȋ mit Crescence Eugénie Mirat, genannt Mathilde (* 1815, ✝ 1883); seine letzte Liebe galt Elise Krinitz, genannt Mouche (* 1830, ✝ 1897). Ab 1848 lag Heine in seiner »Matratzengruft«, langsam an einem Rückenmarkleiden dahinsiechend.
 
Aus der Studentenzeit stammen »Gedichte« (1822) und zwei tragisch-dramatische Versuche (»Tragödien, nebst einem lyrischen Intermezzo«, 1823), aber erst die »Reisebilder« (2 Bände, 1826/27 mit »Harzreise« und »Nordsee«; zwei weitere Bände 1830/31 mit »Reise von München nach Genua« und »Die Bäder von Lucca«) hatten mit ihrem neuartigen Wechsel von witzig-beschreibender Prosa und lyrischen Einlagen, ihrem leichtfüßigen und elegant plaudernden Stil so starken Erfolg, dass er fortan als freier Schriftsteller leben konnte. Die in den »Reisebildern« verstreuten Verse sammelte er, um viele neue vermehrt, im »Buch der Lieder« (1827), der erfolgreichsten deutschen Gedichtsammlung (auch im Ausland). Viele der scheinbar improvisierend leichten Lieder und Balladen Heines sind - zumal in der Vertonung durch F. Schubert, F. Mendelssohn Bartholdy und R. Schumann - überaus populär geworden. Die Lyrik Heines erreicht ihre Einzigartigkeit durch die ironische Brechung der Gefühle und Erlebnisse, die poetische Illusion wird durch die verschiedenen Spielarten geistreicher Pointen im Zusammenspiel mit Reflexion des Dichters zerstört. In ihrer Variierung der Distanzmöglichkeiten, im Reiz der Dissonanz, der überraschenden Zusammenschau disparater Elemente beeinflusste sie entscheidend das moderne Gedicht.
 
Parallel zum lyrischen Werk entwickelte Heine eine moderne, feuilletonistische Prosa, die durch pointierten, unterhaltsamen, zugleich polemischen Stil gekennzeichnet ist. Die in »Der Salon« erschienenen Erzählungen »Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski« (1834), »Florentinische Nächte« (1837, 1. Fassung 1836, in: »Morgenblatt für gebildete Stände«) und »Elementargeister« (1837) spielen effektvoll mit den Möglichkeiten komödiantischen Erzählens. »Der Rabbi von Bacharach«, ein Sittengemälde über die mittelalterliche Judenverfolgung, vereint Sage, Geschichtsschreibung und fiktive Biographie.
 
Heine strebte danach, zwischen Deutschland und Frankreich zu vermitteln, indem er französische Kultur und Liberalität in Deutschland, deutsche Literatur und Philosophie in Frankreich bekannt machte: »Zur Geschichte der neueren schönen Litteratur in Deutschland« (1833, 2 Bände; erweitert 1836 als »Die Romantische Schule«), »Französische Zustände« (1833), »Der Salon« (1834-49, 4 Bände, Sammlung). Seine scharfen Angriffe waren von den Zeitgenossen gefürchtet (Polemik gegen A. von Platen in den »Bädern von Lucca«; »Über den Denunzianten«, 1837, gegen W. Menzel; »Über Ludwig Börne«, 1840). In die strenge Form des Versepos brachte er seine bitterste Kritik an den deutschen Zuständen in Gesellschaft, Politik und Kultur: »Deutschland. Ein Wintermärchen« (1844), ähnlich in allegorischer Verfremdung in »Atta Troll. Ein Sommernachtstraum« (1847; zum Teil 1843 in Zeitschriften).
 
In den »Neuen Gedichten« (1844) traten die lyrischen Töne hinter politische Tendenzen, dem Ausdruck des Leidens an politischen und sozialen Zuständen, zurück; zugleich verkündete Heine den an Saint-Simon anknüpfenden schönheitstrunkenen Sinnenkult, den er als »Hellenismus« dem »Nazarenertum« entgegenstellt. Die echtesten persönlichen Töne seiner späteren Zeit birgt die nach seiner Erkrankung entstandene lyrische Sammlung »Romanzero« (1851, mit den Büchern »Historien«, »Lamentationen«, »Hebräische Melodien«) und deren Fortsetzung im dritten Band der »Vermischten Schriften« (1854). Die 1855 erschienene französische Übersetzung der darin unter dem Titel »Lutezia« zusammengefassten Korrespondenzen wurde ein Sensationserfolg.
 
Von Hegel und Saint-Simon gleich stark beeindruckt, stand Heine in seiner aggressiven, zum Teil revolutionären Haltung gegenüber Staat und Kirche dem Linkshegelianismus nahe (Bekanntschaft mit K. Marx in Paris, Briefwechsel mit diesem). Als einziger deutscher Schriftsteller seiner Epoche hatte Heine weltliterarische Wirkung. Die Rezeption ist durch den Widerstreit der Meinungen, sein Nachleben in Deutschland durch Phasen von Ablehnung und Verehrung bestimmt; den Vorwürfen politischer, moralischer, religiöser und weltanschaulicher Art steht die große Beliebtheit der Lyrik entgegen, die in alle Kultursprachen übersetzt wurde. Besondere Popularität erreichte sein Werk im osteuropäischen Raum. Bei den Deutschnationalen und v. a. unter der nationalsozialistischen Herrschaft war der Dichter verfemt, bei den Emigranten dagegen Identifikationsfigur (Heinrich-Heine-Klub der deutschsprachigen Emigranten in Mexiko, gegründet 1941, bestand bis 1946, u. a. mit Anna Seghers, E. E. Kisch, W. Janka). Nach 1945 wurde Heine zunächst v. a. in der DDR einseitig als Gesellschaftskritiker, meist im Zusammenhang mit seiner Verbindung zu K. Marx, rezipiert. In der Bundesrepublik Deutschland setzte eine umfassende, vorurteilsfreie Würdigung seines Werkes erst nach 1968 ein.
 
Nach Heine sind der Heinrich-Heine-Preis und der Heine-Preis der Landeshauptstadt Düsseldorf benannt.
 
Weitere Werke: Almansor (1823); Shakespeares Maedchen und Frauen (1839); Der Doctor Faust. Ein Tanzpoem (1851); Vermischte Schriften, 3 Bände (1854, darin u. a. »Die Göttin Diana«, »Lutezia«).
 
Ausgaben: Sämmtliche Werke. Rechtmäßige Originalausgabe, herausgegeben von A. Strodtmann, 21 Bände und 2 Supplementbände. (1861-84); Sämtliche Werke, herausgegeben von E. Elster, 7 Bände (1887-90, Band 1-4 21925); Sämtliche Werke, herausgegeben von O. Walzel, 10 Bände und Registerband (1910-20); Briefe, herausgegeben von F. Hirth, 6 Bände (1948-57); Gespräche mit Heine, herausgegeben von H. H. Houben (21948); Säkularausgabe Werke - Briefwechsel - Lebenszeugnisse, herausgegeben von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar u. a., auf 50 Bände berechnet (1970 folgende); Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, herausgegeben von M. Windfuhr, auf 16 Bände berechnet (1973 folgende); Werke, herausgegeben von S. Atkins, 2 Bände (1973-77); Sämtliche Schriften, herausgegeben von K. Briegleb, 6 Bände (in 7 Teilen 1-21976-85); Werke und Briefe in 10 Bänden, herausgegeben von H. Kaufmann (31980); Sämtliche Gedichte in zeitlicher Folge, herausgegeben von K. Briegelb (31995).
 
Literatur:
 
A. Strodtmann: H. H., 2 Bde. (31884);
 G. Wilhelm u. E. Galley: H.-Bibliogr., 2 Bde. (Weimar 1960);
 
H.-Jb. (1962 ff.);
 
H.-Bibliogr. 1954-1964, bearb. v. S. Seifert (Berlin-Ost 1968);
 A. Betz: Ästhetik u. Politik. H. H.s Prosa (1971);
 E. Galley: H. H. (41976);
 
H. in Dtl. Dokumente seiner Rezeption, 1834-1956, hg. v. K. T. Kleinknecht (1976);
 
H. H. Epoche, Werk, Wirkung, hg. v. J. Brummack (1980);
 F. Mende: H. H. (21981);
 L. Kopelew: Ein Dichter kam vom Rhein (21981);
 J. L. Sammons: H. H. A selected critical bibliography of secondary literature, 1956-80 (New York und London 1982);
 H. Kaufmann: H. H. (Berlin-Ost 41983);
 W. Hädecke: H. H. (1985);
 S. Seifert u. A. A. Volgina: H.-Bibliogr. 1965-82 (1986, Nachdr. 1988);
 L. Marcuse: H. H. (140.-144. Tsd. 1990);
 J. Hermand: Mehr als ein Liberaler. Über H. H. (1993);
 E. Ziegler: H. H. Leben - Werk - Wirkung (1993).
 
 4) Johann Georg, Hersteller chirurgischer Instrumente und Bandagist, * Lauterbach (bei Schramberg) 3. 4. 1771, ✝ Den Haag 7. 9. 1838; gilt als Begründer der deutschen mechanischen Orthopädie. Er erfand in Zusammenarbeit mit Chirurgen neue Instrumente und mechanische Behandlungsmethoden (Schienen und Stützapparate).
 
 5) Thomas Theodor, Grafiker und Maler, * Leipzig 28. 2. 1867, ✝ Stockholm 26. 1. 1948; ausgebildet als Maler an der Düsseldorfer Akademie (impressionistische Landschaftsbilder). Ab 1889 war er in München als Zeichner u. a. für die »Fliegenden Blätter«, die »Jugend« und den »Pan« tätig. 1896 gehörte er zu den Begründern des »Simplicissimus«, zu deren maßgebenden Mitarbeitern er in der Folgezeit zählte (wegen seiner Beiträge in der »Palästina-Nummer« wurde Heine 1898 zu sechs Monaten Festungshaft verurteilt). Mit seinen hart konturierten satirischen Zeichnungen kämpfte Heine für Freiheit, Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit. Seine Illustrationen, Buchumschläge und -ausstattungen sowie seine Plakate stellen bedeutende Beiträge zur Grafik des Jugendstils dar. 1933 floh er nach Prag, 1938 nach Oslo (fertigte dort etliche Anti-Hitler-Zeichnungen), 1942 nach Schweden (erhielt 1947 die schwedische Staatsbürgerschaft). 1945 erschien in Stockholm sein autobiographischer Roman »Ich warte auf Wunder«.
 
Literatur:
 
E. Stüwe: Der »Simplicissimus«-Karikaturist T. T. H. als Maler (1978);
 
T. T. H., hg. v. L. Lang (Berlin-Ost 21985).

Universal-Lexikon. 2012.