keramische Werkstoffe
Keramiken sind, allgemein formuliert, anorganische nichtmetallische Werkstoffe, die zu mindestens 30 Prozent in kristalliner Form vorliegen. Klassische keramische Werkstoffe haben einen hohen Tonanteil — »kéramos« ist der griechische Ausdruck für Töpferton. Bei Ton handelt es sich um sehr feine, oft plättchenförmige Bodenpartikel mit einer Größe von weniger als zwei Mikrometern. In der Bodenkunde bezeichnet man mit Ton die kleinste Korngrößenklasse. Ein häufiges Tonmineral ist Kaolinit, das Aluminium, Silicium, Sauerstoff und Wasserstoff enthält und in Porzellanerde (Kaolin) vorkommt. Außer Ton enthalten klassische Keramiken wie Porzellan oder Steingut unter anderem Quarz, Feldspat und Glimmer sowie Titan- und Eisenverbindungen. Letztere bestimmen die Farbe einer Keramik mit. Neben den Tonkeramiken gibt es Sonderkeramiken, zu denen auch neu entwickelte keramische Werkstoffe zählen. Die klassischen Keramiken und viele der neuen Werkstoffe werden in einem feucht-plastischen Zustand geformt und dann durch Brennen in den festen, gebrauchsfähigen Zustand überführt. Beim Abkühlen geht ein Teil des Materials in einen amorphen Glaszustand über, die kristalline Phase besteht aus mehr oder weniger feinen Körnchen. Außer amorpher und kristalliner Materie enthält Keramik noch Poren genannte Hohlräume, die Luft oder Wasser aufnehmen können. Liegt die Brenntemperatur über 1000 Grad Celsius, so beginnt das Material zu sintern und wird hart und wasserdicht (Porzellan und Ton- beziehungsweise Steinzeug), darunter bleibt es relativ weich und porös; man spricht von Ton- beziehungsweise Steingut oder Fayence (glasiertes Tongut).
Keramik dient seit mehreren Tausend Jahren als Material für Bauteile und Gebrauchsgegenstände, bei denen es auf starke Wärmebelastbarkeit und hohe Standfestigkeit ankommt. Ebenso lange währen die Probleme mit verschiedenen Unzulänglichkeiten wie verunreinigten natürlichen Rohstoffen, technischen Schwierigkeiten — Keramik wird bei sehr hohen Temperaturen gebrannt —, eingeschränkten Formgebungsmöglichkeiten sowie der hohen Bruchempfindlichkeit. Fast alle der auch heute noch verwendeten Keramiken haben mit diesen traditionellen Problemen zu kämpfen. Gerade für den industriellen Einsatz ist es jedoch wichtig, neue Wege zu suchen, um diese Beschränkungen zu umgehen. Derart verbesserte Keramik wird als Hochleistungs- oder Ingenieurkeramik bezeichnet.
Keramischer Stahl
Ein Beispiel dafür, wie gut sich die Eigenschaften des scheinbar so spröden und unflexiblen Materials Keramik auf verschiedenste industrielle Anwendungen maßschneidern lassen, ist der vielfältige Einsatz von Zirconiumdioxid (ZrO2). Mitte der 1970er-Jahre wurde entdeckt, dass gebranntes ZrO2, dem zuvor geringe Mengen Yttriumoxid beigemischt wurden, einerseits die innere Struktur einer Keramik hat, andererseits aber gleichzeitig eine plastische Verformbarkeit aufweist, die der von Metallen nahe kommt. Der neue Werkstoff wurde daher als keramischer Stahl bezeichnet. In den darauf folgenden Jahren entwickelte sich ein wahrer Zircon-Boom, umso mehr, als sich herausstellte, dass auch die Bruchzähigkeit auf ähnliche Werte gesteigert werden konnte wie bei Stahl.
Wie ein herkömmliches keramisches Material reagiert, das mechanisch zu stark belastet wird, hat jeder bereits erlebt, dem einmal ein Porzellanteller zu Boden gefallen ist. Ein Riss, der dabei entsteht, kann sich in der Keramik praktisch ungehindert ausbreiten — man bezeichnet dieses Verhalten als überkritisch — und sie fast augenblicklich zerstören. Dies rührt daher, dass an der Rissspitze extrem hohe Zugspannungen auftreten, welche die atomaren Bindungen zwischen den Werkstoffatomen aufspalten. Anders verhält es sich bei keramischem Stahl: Kommt ein Riss in die Nähe eines ZrO2-Teilchens, so wandelt dieses sich extrem rasch in eine andere Kristallstruktur um, die mehr Volumen beansprucht. Dadurch werden die Zugspannungen des Risses durch eine Druckspannung kompensiert, was die Rissausbreitung stoppt. Obwohl die Mechanismen, die bei Stahl zur Verhinderung von Rissen führen, völlig anderer Natur sind, ist das Ergebnis durchaus vergleichbar: weitgehende Unzerbrechlichkeit. Praktisch genutzt werden diese Eigenschaften, indem beispielsweise ZrO2-Teilchen in Tonerdekeramiken integriert werden (Tonerde oder Aluminiumoxid, Al2O3, gehört mit einer Schmelztemperatur von über 2000 Grad Celsius zu den Feuerfestkeramiken). Dadurch erreichen auch klassische Strukturkeramiken außergewöhnliche mechanische Eigenschaften.
Ingenieurkeramiken für hohe Temperaturen
Hohe Temperaturen sind zwar eine der Grundvoraussetzungen zur Herstellung von Keramiken, aber bei konventionellen Keramiken führen sie oft zu Problemen. Dies liegt daran, dass sich in den Kornzwischenräumen bevorzugt Verunreinigungen anlagern, die oft zu chemischen Reaktionen und zu Auflösungserscheinungen des keramischen Produkts führen. Nachteilig ist auch, dass sich die Additive (Sinterhilfsmittel) meist sehr schlecht verteilen und dadurch ungleichmäßige chemische Konzentrationen hervorrufen, die wiederum punktuelles Versagen des Werkstücks bei hohen Temperaturen nach sich ziehen können.
Abhilfe können hier keramische Materialien schaffen, die nicht aus Sauerstoffverbindungen aufgebaut sind. Bei der Sinterung dieser Werkstoffe wird ein Großteil der Verunreinigungen durch Segregation (Entmischung) entweder ausgeschieden oder lagert sich an Stellen ab, die für die Hochtemperatureigenschaften nicht kritisch sind. Um Verunreinigungen durch pulverförmige Ausgangsmaterialien ganz zu vermeiden, nutzt man in jüngster Zeit spezielle Kunststoffe, die sich beim Brennen thermisch zersetzen. Dadurch sind solche nichtoxidischen Keramiken wie Siliciumcarbid (SiC) oder vor allem Siliciumnitrid (Si3N4) bis zu Temperaturen von mehr als 2500 Grad Celsius einsatzfähig und verfügen dabei über hohe Verschleißfestigkeit. Eines der prominentesten Beispiele für solche Hochtemperaturkeramiken sind die Hitzeschutzkacheln des Spaceshuttles, die ihn vor den beim Wiedereintritt in die Atmosphäre auftretenden hohen Temperaturen schützen.
Auch bei der Formgebung von Keramiken stößt man auf Schwierigkeiten. Man möchte einfache Verfahren anwenden, muss dann aber in der Regel eine ungleichmäßige Verteilung der Additive hinnehmen, außerdem sintern komplex geformte Grünkörper sehr unregelmäßig und verziehen sich meist. Abhilfe schafft hier eine Beschichtung von SiC-Pulver mit nur nanometergroßen Bor- und Kohlenstoffpartikeln. Diese sind so gleichmäßig verteilt, dass einfache Formgebungsverfahren wie Gießen möglich werden und auch bei höchsten Temperaturen lange Werkstücklebensdauern garantiert sind. Durch gezielt eingebrachte Mikroporen macht auch rasches Abschrecken um mehr als 1500 Grad Celsius dieser Keramik nichts mehr aus.
Schneidwerkzeuge aus Cermets
Wegen ihrer großen Festigkeit werden keramische Materialien auch als Schneidwerkzeuge eingesetzt, mit denen die gewünschte Bauteilform oder Oberflächengüte eines weichen Werkstoffs hergestellt werden kann. Keramik ist hart genug, um beispielsweise ein Metall aufspalten und zerkleinern zu können. Zwei besondere Anforderungen muss eine Keramik jedoch für diesen Zweck erfüllen. Zum einen muss sich die starke Wärme, die sich an der Schnittstelle entwickelt, schnell abführen lassen, zum anderen muss das Werkzeug hinreichend zäh sein, damit es nicht beim Schneiden bricht. Bei herkömmlichen Keramiken verringern jedoch mögliche Kriechprozesse innerhalb des keramischen Materials den Zusammenhalt des Werkzeugs, besonders an den Korngrenzen. Als die gebräuchlichsten Schneidwerkzeuge haben sich daher Cermets (aus englisch Ceramic und Metal) durchgesetzt, Verbunde aus Keramik und Metall. Bei ihnen ist eine harte Keramik, etwa SiC, in Form feiner Körner in ein Metall wie Stahl oder Cobalt eingebracht. Das Metall sorgt dabei sowohl für eine beschleunigte Wärmeabfuhr als auch für eine verbesserte Zähigkeit des Schneidwerkzeugs.
Für die Herstellung von Cermets existieren eine Reihe konkurrierender Verfahren. So kann man beispielsweise ein kristallines Keramikpulver, dessen Korngrößen von wenigen Nanometern bis zu einigen Millimetern reichen, zum geschmolzenen Metall hinzugeben. Da hierbei aber je nach der Verteilung von Pulver und Metall sowohl weiche als auch harte Zentren im Cermet auftreten, nutzt man meist ein anderes Verfahren: Der vorgesinterte poröse Keramikformkörper, der bereits über die gewünschte Geometrie des Bauteils verfügt, wird mit flüssigem Metall gefüllt. In der Praxis taucht man hierfür beispielsweise einen »Keramikschwamm« in eine Metallschmelze, wobei das Metall durch die Kapillarkräfte der Poren in die Keramik gesaugt wird. Noch bessere Ergebnisse liefert dieses Verfahren, wenn man beide Substanzen unter extrem hohem Druck (rund 4000 Bar) und bei einer Temperatur von etwa 1500 Grad Celsius in einer geeigneten Druckkapsel zusammenführt.
Keramische Funktionswerkstoffe und Schichten
In jedem katalysatorbestückten Auto steckt ein weiteres keramisches Bauteil, das zeigt, dass keramische Materialien mehr als nur hervorragende mechanische Eigenschaften zu bieten haben: die Lambdasonde. Sie misst den Sauerstoffgehalt des Abgases und ermöglicht so eine optimale Ausnutzung des Abgasreinigungsvermögens eines Katalysators. Möglich wird diese bei extrem hohen Temperaturen ablaufende Messung durch die speziellen elektrischen Eigenschaften dieser Keramik.
Viele Keramiken weisen noch weitere ungewöhnliche Merkmale auf, etwa halbleitende, magnetische, sensorische, optische, chemische oder physikochemische Eigenschaften, die den fertigen Bauteilen eine spezielle Funktionalität verleihen. Diese daher als Funktionskeramiken bezeichneten Werkstoffe unterscheiden sich auch in ihrer Herstellung erheblich von den Strukturkeramiken. Werden Letztere noch weitgehend aus natürlichen Rohstoffen hergestellt, so werden die Funktionskeramiken fast immer aus synthetischen Rohstoffen gewonnen; schon bei der Aufbereitung dieser Rohstoffe muss auf deren besondere Reinheit geachtet werden. Schließlich sollen Werkstoffe mit beispielsweise besonderen elektronischen Eigenschaften nicht durch Materialien verunreinigt sein, die den gewünschten Effekt zunichte machen.
Die meisten herkömmlichen keramischen Materialien leiten elektrischen Strom so schlecht, dass sie, wie beispielsweise die Keramiken aus Aluminiumoxid oder dessen Mischungen mit Siliciumoxid, als Isolatoren für Zündkerzen oder Hochspannungsleitungen verwendet werden. Inzwischen wurde jedoch eine Reihe keramischer Werkstoffe entwickelt, die Elektrokeramiken, die oberhalb einer meist recht hohen Temperatur zu echten Stromleitern werden. Die oben angesprochene Lambdasonde des Automobilkatalysators ist ein Beispiel für eine solche Elektrokeramik.
Das Material, das diesen Effekt ermöglicht, ist das bereits vom keramischen Stahl her bekannte Zirconiumdioxid (ZrO2). Zur Verbesserung seiner mechanischen Eigenschaften wird es mit einem Anteil von Seltenerdmetalloxiden wie Yttriumoxid (Y2O3) versehen. Sobald dessen Gehalt etwa acht Prozent überschreitet, stellt sich als Nebeneffekt eine vorzügliche Ionenleitfähigkeit ein. Die elektrischen Ladungsträger sind also wie bei den leitfähigen Gläsern Sauerstoffionen (O2-) und keine Elektronen.
Damit sie sich durch das relativ starre Gitter des Zirconiums bewegen können, müssen zwei Dinge eintreten: Zum einen benötigt ein Sauerstoffion zur Wanderung eine Lücke, die es besetzen kann. Am Bereitstellen von Lücken ist das Y2O3 beteiligt: Im Gegensatz zu Zirconium kann Yttrium im Mittel nur 1,5 Sauerstoffionen an sich binden, sodass für zwei ersetzte Zirconiumionen eine freie Leerstelle für ein Sauerstoffion entsteht. Zum anderen benötigt das Sauerstoffion eine gewisse Aktivierungsenergie, um diesen Platz verlassen zu können; sie wird meist in Form von Wärme zugeführt. Durch die Wärmezufuhr gerät das Sauerstoffion nämlich ab etwa 800 Grad Celsius in so heftige Schwingungen, dass es bei Anlegen einer elektrischen Spannung in die nächste Lücke überspringt und dann in die übernächste und so weiter — damit fließt ein Strom.
Erwähnt werden sollen noch die piezoelektrischen Keramiken, eine Untergruppe der Elektrokeramiken. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie mechanische Arbeit in elektrische Spannung und umgekehrt elektrische Spannung in mechanische Arbeit umsetzen können. Jeder kennt den wichtigsten kristallinen Vertreter der Materialien mit Piezoeffekt, den Quarzkristall. Er sorgt in Digitaluhren und Computern für einen immer gleich bleibenden Takt. Keramische piezoelektrische Werkstoffe sind etwa Bariumtitanat (BaTiO3) oder Bleizirconiumtitanat (PbZrTiO3), das unter der Abkürzung PZT bekannt ist. Diese Keramiken werden für exakte Steuerungen und Positionierungen bis in den Bereich von atomaren Abständen eingesetzt, so zum Beispiel beim Rastertunnelmikroskop.
Hochtemperatur-Brennstoffzellen
Eine besonders zukunftsträchtige Anwendung von ionenleitenden Keramiken sind Brennstoffzellen, die dazu dienen, chemische Energie direkt in elektrische Energie umzuwandeln. Eine Brennstoffzelle besteht im Prinzip aus zwei Elektroden und einem Elektrolyten, also einem Medium, in dem sich Ionen frei bewegen können. Bei den Hochtemperatur-Brennstoffzellen (500 bis 1100 Grad Celsius) wird der Elektrolyt durch Zirconiumdioxid (ZrO2) gebildet, einem keramischen Feststoff. Voraussetzung für das Funktionieren von Hochtemperatur-Brennstoffzellen sind die folgenden drei Prozesse: Wasserstoffgas (H2) kann an einer Anode Elektronen abgeben und Wasserstoffionen (H+) bilden; Sauerstoffgas (O2) kann unter Elektronenaufnahme an einer Kathode zu Sauerstoffionen (O2-) reagieren; O2--Ionen sind im keramischen Material (ZrO2) vorhanden und können bei genügend hoher Temperatur darin wandern.
Entscheidend sind die Elektronenübertragungen an den beiden Elektroden. Damit es dazu kommen kann, müssen sich die Elektroden und die sie umgebende Keramik großflächig berühren. Praktisch bedeutet dies, dass Hochtemperatur-Brennstoffzellen aus vielen Schichten aufgebaut sind, wobei Elektroden- und Keramikschichten einander abwechseln. Im Betrieb wird von außen Wasserstoff an die Anode und Sauerstoff an die Kathode jeder Schicht herangeführt. Die beiden Elektroden sind über ein Kabel miteinander verbunden, an das der »Verbraucher» (zum Beispiel ein Elektromotor) angeschlossen sein kann. Die Wasserstoffmoleküle verbinden sich an der Anode mit O2--Ionen aus der umgebenden Keramik zu Wasser, und die dabei frei werdenden Elektronen fließen über das an der Anode angeschlossene Kabel durch den Verbraucher zur Kathode. Gleichzeitig bilden sich an der Kathode aus den Sauerstoffmolekülen durch Aufnahme von Elektronen Sauerstoffionen (O2-). Weil an der Anode ständig O2--Ionen entfernt werden, ist ihre Konzentration hier verringert. Dagegen ist sie an der Kathode erhöht. Wegen dieses Konzentrationsgefälles, und solange die hohe Temperatur erhalten bleibt, wandern die O2--Ionen durch die ZrO2-Keramik bis zur Anode — der Kreislauf ist geschlossen.
Dr. Gunnar Radons und Dr. Martin Stadtwald-Klenke
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
Supraleiter: Aufbau, Herstellung, Probleme
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
Glas: Der transparente Werkstoff
Brevier Technische Keramik, herausgegeben vom Informationszentrum Technische Keramik (IZTK). Lauf 21998.
Förderschwerpunkt Supraleitung. Bilanz und Perspektiven, herausgegeben vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Bonn 1998.
Hülsenberg, Dagmar: Neue Glas- und Keramikwerkstoffe. Werkstoffe der Zukunft. Berlin-Ost 1989.
Universal-Lexikon. 2012.