Tag des jüngsten Gerichts; Offenbarung; Ende der Welt; Apokalypse; Ragnarök; Götterdämmerung; Weltuntergang
* * *
Wẹlt|en|de, das (bes. Rel., Theol.):
* * *
Welt|ende,
Sammelbegriff für in der Geschichte des menschlichen Denkens entstandende Vorstellungen über die zeitliche Begrenzung der Welt, ihren (endgültigen) Untergang (Weltuntergang) beziehungsweise Übergang in eine neue (vollendete) Welt sowie über das zyklische Vergehen und Neuentstehen von Welten. Vorstellungen von einem Ende der Welt finden sich v. a. in der Religionsgeschichte, bilden darüber hinaus (besonders in Krisenzeiten) ein allgemeines kulturgeschichtliches Phänomen und knüpfen zum Teil an hypothetischen Aussagen der Naturwissenschaften an (Wärmetod des Weltalls). Sie wurzeln besonders in Erfahrungen nachhaltiger Gefährdung des gegenwärtigen Bestandes der Welt (z. B. der fortschreitenden Zerstörung ihrer natürlichen Grundlagen) und/oder in der Hoffnung, dass die als unerträglich erlebte Gegenwart (z. B. wegen ihres sittlichen Verfalls) ein Ende haben müsse. In zahlreichen Religionen verbindet sich mit der Aussicht auf die Zerstörung der alten die Erwartung einer neuen Welt (Apokalyptik). Religiöse Vorstellungen vom Ende der Welt lassen sich dabei als Schöpfungsmythen in Gegenrichtung lesen: Der Himmel stürzt ein, das Licht der Sonne bleibt aus, die Erde versinkt im Meer. Analog dem Werden und Vergehen in der Natur werden entweder entsprechend einem zyklischen Geschichtsverständnis mehrere aufeinander folgende Welten angenommen, die jeweils verschiedene Perioden bis zu ihrem Untergang durchlaufen, oder, entsprechend einem linearen Zeitverständnis, der Untergang der alten, infolge der Sünde des Menschen verdorbenen Welt und das Nachfolgen einer neuen, von Gott vollendeten Welt, die frei ist von Leiden und geprägt durch die nun herrschende ewige Gerechtigkeit Gottes.
Die Kosmologie des Hinduismus rechnet mit einer Abfolge von vier Weltzeitaltern (Yugas), in denen sich die Zustände allmählich verschlechtern. Die Sitten verfallen, die Natur wird gestört. Am Ende des vierten Zeitalters, des Kali-Yuga, erscheint eine Erlösergestalt. Sie vernichtet die Bösen und führt ein neues goldenes Zeitalter herauf. Wesentlich ist jedoch der relative Charakter dieser Ereignisse, weil sich dieser Ablauf zyklisch stets wiederholt. Der Parsismus kennt hingegen die Erwartung einer endzeitlichen Neuschöpfung, auf die die jetzige Welt linear zuläuft. Die Geschichte wird als ein Kampf zwischen Gut und Böse beschrieben, der mit dem Sieg über das Böse in einen Heilszustand einmündet. Der höchste Gott und seine übernatürlichen Helfer, die Amescha spentas, werden die Kräfte des Chaos und ihre menschlichen Verbündeten in einem Endkampf ein für allemal vernichten; das Weltgericht wird mit dem Erscheinen eines endzeitlichen Retters, des Saoschyant, eingeleitet werden. Die Vorstellung vom Erscheinen eines solchen Retters am Ende der Zeit fand auch Eingang in den Islam (Mahdi) und in anderer Weise in den Buddhismus (Maitreya). Von großer Bedeutung für die innerhalb des Judentums entwickelten Auffassungen über das Weltende waren apokalyptische Schriften, besonders das biblische Buch Daniel, aber auch andere, nicht in die hebräische Bibel aufgenommener Bücher wie das äthiopische Henochbuch (Henoch) und die syrische Baruchapokalypse (Baruch). In ihnen werden das Weltende und die darauf folgende Welterneuerung in Visionen und Auditionen geschildert, wobei ihre Verfasser vom Bewusstsein getragen sind, am Beginn der Endzeit zu stehen. Dabei gibt paradoxerweise gerade die erfahrene Not der Gegenwart Anlass für die Hoffnung auf den endgültigen Umschlag ins Positive durch Gottes Eingreifen. Die apokalyptischen Vorstellungen des Judentums prägten auch die apokalyptischen Texte des Neuen Testaments (z. B. Markus 13). So begreift Jesus seine Zeit als die letzte Periode der Welt (Markus 1, 15). In seiner Person tritt der endzeitliche Erlöser auf den Plan; an der Stellung zu ihm entscheidet sich Heil und Unheil. Durch die Betonung der Beziehung zu ihm relativiert sich allerdings bald die Frage nach dem Wann des Endes der Welt. Schilderungen des Weltuntergangs finden sich im Neuen Testament v. a. in der Apokalypse des Johannes. Diese wurden später und werden auch heute innerhalb des Christentums teils als reale Voraussage der Weltgeschichte, überwiegend aber spirituell als Ermutigung und Tröstung in Leidenszeiten gelesen. In ersten Teil der Johannesapokalypse wird geschildert, wie das Gericht Gottes in Form furchtbarer Naturkatastrophen über die Erde hereinbricht. Der zweite Teil malt den Kampf der bösen mit den guten Mächten aus, der mit der Vision eines neuen Himmels und einer neuen Erde endet. Die christliche Perspektive verbindet den Motivkomplex Wiederkunft Christi (Parusie), Jüngstes Gericht und Weltuntergang dabei unlöslich mit der Hoffnung, dass die Schöpfung trotz aktueller oder befürchteter Krisen nicht im Chaos enden wird, sondern dass Gott das Ende der Zeit verbürgt, seine Geschichte mit den Menschen Heilsgeschichte ist und er seine Verheißungen in der Vollendung der Welt erfüllen werde. Für die Christen ist deswegen die Aussicht auf das Ende mit einem ethisch verpflichtenden Lebensstil verbunden. Jede Gegenwart soll vom Geist der neuen, verheißenen Welt bestimmte Zeit sein.
In der abendländischen Geschichte wechseln Phasen der Erwartung des nahen Weltuntergangs (z. B. im Mittelalter) mit Phasen, in denen die Weltuntergangsstimmung kaum greifbar ist. In religiösen Weltuntergangs- und Weltgerichtserwartungen spiegeln sich dabei soziale, politische und kulturelle Krisen. Radikale christliche Seher und Enthusiasten bezogen in solchen Situationen die entsprechenden biblischen Texte auf ihre unmittelbare Gegenwart, z. B. die Täufer im 16. Jahrhundert und die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten sowie die Zeugen Jehovas im 19. Jahrhundert. Seit Ende des 19. Jahrhunderts haben religiöse apokalyptische Motive und Vorstellungen immer stärker auch säkularisierte Formen angenommen und stellen sich seither (besonders in der westlichen Welt) v. a. als Fortschrittspessimismus und/oder kulturkritischen Krisenstimmungen dar. Weltuntergang wird hier nicht als Eingriff einer jenseitigen Macht in den Weltlauf begriffen, sondern als beobachtbarer Prozess. Dieser bedarf keiner besonderen Offenbarung, sondern liegt in der Sicht der ihn Beschreibenden und Befürchtenden als Möglichkeit vor aller Augen. Zeitgeschichtliche Erfahrungen wie der Erste und der Zweite Weltkrieg, die atomare Rüstung in den 50er- und in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts sowie ökologische Katastrophen geben dabei Anlass für globale Untergangsszenarien, denen allerdings, im Gegensatz zu religiösen apokalyptischen Vorstellungen, die Hoffnung auf die neue Welt fehlt. Weltuntergang wird auch nicht mehr nur als Schicksal, sondern als dem Menschen zurechenbare Tat ins Auge gefasst. Die Thematisierung des Weltendes, die besonders auch in der Kunst zu beobachten ist, dient als Warnung vor den Folgen des Fortschritts. So wurden in der Malerei und besonders in der Literatur des 20. Jahrhunderts immer wieder Endzeitstimmungen verarbeitet (Literatur des Expressionismus; S. Beckett, F. Dürrenmatt, C. Ransmayr u. a.). Der »Tanz auf dem Vulkan« oder der Untergang der Titanic werden zur Metapher eines Zeitgefühls (z. B. im Hollywoodfilm [1997] von James Cameron, * 1954). In der Popmusik bildet die zunehmende Zerstörung des Lebensraums der Menschen durch Krieg, Hunger und Katastrophen Themen, die als Phänomene der (kommenden) Endzeit besungen werden. Weltuntergang begegnet am Ende des 20. Jahrhunderts jedoch auch als ein viele Menschen faszinierendes Thema der Unterhaltungsindustrie, die den mit ihm zugleich empfundenen »Nervenkitzel« (Thrill) in Filmen, Videospielen und Sciencefictionromanen vermarktet. So treten z. B. extraterrestrische Wesen oder Ufos als Retter oder Zerstörer der Welt in Erscheinung, was zum Teil als ein neues Auftauchen des religiös-apokalyptischen Gedankens der Erlösung durch vorangegangenen Untergang interpretiert wird. Endzeitorientiert auf religiöser Seite sind heute besonders jene aus dem Christentum hervorgegangenen Gemeinschaften, die biblischen Prophezeiungen direkt auf aktuelle weltpolitische Ereignisse beziehen, aber auch Führer anderer religiöser Gemeinschaften, die aufgrund angeblicher besonderer Offenbarungen beanspruchen, Kenntnis über das Ende der Welt zu haben sowie über die einzige Rettungsmöglichkeit, diesem zu entgehen. Als Projektionsfläche für Weltuntergangsängste diente dabei in allerjüngster Zeit v. a. die Jahrtausendwende 1999/2000.
Grundsätzlich lassen sich hinter der Wiederkehr von Weltuntergangsmotiven am Ende des Jahrtausends vier Motive ausmachen: 1) Angesichts gegenwärtiger Entwicklungen wie Hunger, Naturkatastrophen, ökologischen und wirtschaftlichen Krisen wird die Zukunft der Menschheit (zunehmend) als gefährdet erlebt. 2) Wissensexplosion, Mobilität und Technologieentwicklung sind immer massiver mit dem Zerfall traditioneller sozialer und vertrauter dinglicher Beziehungssysteme verbunden und machen die Erfahrung allgemein, dass nichts bleibt, wie es einmal war. Wo alltäglich soviel »Untergang« erlebt wird, erscheint die These, dass bald alles untergehen werde, als etwas zutiefst Plausibles. 3) Die These vom bevorstehenden Weltuntergang kann Angst erzeugen, aber auch einen klärenden Durchblick durch die unübersichtlich gewordene Welt vermitteln. »Endzeitpropheten« bringen für nicht wenige die verwirrende Vielfalt der Wirklichkeit auf einen Begriff, indem sie ihre unterschiedlichen Erfahrungen im Rahmen des gemeinsamen Denkmusters Weltende bündeln. Die so gewonnene neue »Übersichtlichkeit« wird für viele in dem Maße attraktiv, in dem sie unter der Undurchschaubarkeit gesellschaftlicher und politischer Verhältnisse sowie unter der eigenen Bedeutungslosigkeit in ihnen leiden. 4) Weltuntergangsbilder kommen aus der Erfahrung des Fremdseins in der Welt und weisen einen Weg aus dieser als bedrückend empfundenen Spannung. Neureligiöse Gemeinschaften (Sekten), zu deren Wesensmerkmalen die bewusste Abgrenzung von der sie umgebenden Kultur gehört, sind darum nicht zufällig in der Regel auf ein Weltende ausgerichtet. Es ist auffällig, dass gerade diejenigen Gruppen, die im ausgehenden 20. Jahrhundert durch kollektive Selbstmorde und Tötungsverbrechen eine schreckliche »Berühmtheit« erlangt haben, ein bevorstehendes Ende der Welt erwartet haben und weiter erwarten: die kalifornische Gruppe »Heaven's Gate« ebenso wie die Davidianer in den USA, die Aum-Sekte in Japan und Gruppen der Sonnentempler in der Schweiz und in Kanada.
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
Apokalypsen · Apokatastasis · Chiliasmus · Endzeitgemeinden · Eschatologie · Gericht Gottes · neue Religionen · Totengericht
Endzeitfieber. Apokalyptiker, Untergangspropheten, Endzeitsekten, hg. v. H. Gaspar u. F. Valentin (1997);
K. Hutten: Seher, Grübler, Enthusiasten. Das Buch der traditionellen Sekten u. religiösen Sonderbewegungen (151997);
Zeitenwende - Zeitenende, hg. v. W. Sommer (1997);
D. Thompson: Das Ende der Zeiten. Apokalyptik u. Jahrtausendwende (a. d. Engl., 1997);
* * *
Wẹlt|en|de, das (bes. Rel., Theol.): ↑Ende (1 b) der Welt: die intensive Naherwartung der Wiederkunft Christi und des -s (Ranke-Heinemann, Eunuchen 46).
Universal-Lexikon. 2012.