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Vasen
Vasen
 
[v- ; französisch, von lateinisch vas »Gefäß«], Gefäße aus unterschiedlichem Material (Keramik, Metall, Glas, Stein), im Altertum zu kultischem oder alltäglichem Gebrauch, in der Neuzeit v. a. als Ziergefäße verwendet.
 
 Altertum
 
Die frühesten bekannten Vasen vor Erfindung der Töpferscheibe waren einfache Steingefäße (9. Jahrtausend v. Chr.) und handgeformte Keramikerzeugnisse (8. Jahrtausend v. Chr.; Keramik). Bei den ersten gedrehten Töpferwaren handelte es sich um roh gebrannte und schmucklose Gefäße (Funde aus Hassuna, 6. Jahrtausend v. Chr.), doch folgte bald die Dekoration des Tonscherbens durch Einkerbungen, Ritzmuster (z. B. Fischgräten) oder Bemalung. Die Muster waren zunächst ungegenständlich (mehrfarbige geometrische Ornamente bei Vasen der Tell-Halaf-Kultur, 5./4. Jahrtausend), dann wurden Tierdarstellungen eingefügt; erste menschenähnliche Motive zeigt die Samarrakeramik. Szenische Darstellungen erschienen Ende des 4. Jahrtausends v. Chr. auf Vasen der Negadekulturen. Neben die Töpferware traten seit dem 4. Jahrtausend v. Chr. Steinvasen (Alabaster, Steatit u. a.) mit geschnittenen Reliefs, im 3. Jahrtausend v. Chr. auch Metallgefäße (Gold, Silber, Bronze). Glasgefäße (Glas) galten v. a. in Ägypten als besonders kostbar; Vasen in Schlangenfadentechnik sind u. a. aus dem Neuen Reich erhalten, wo die Anbringung von Königsnamen für den Gebrauch im höfischen Bereich spricht. Verbesserungen in Material und Technik führten zu hoch entwickelten Vasenformen (Schnabeltassen, Schnabelkannen, Figurengefäße, besonders das Rhyton in Tiergestalt).
 
 Antike
 
Form und Technik: Bei den antiken Vasen unterscheidet man zahlreiche Typen, die ihrer Nutzung entsprechend in Kultgefäße (panathenäische Amphora, Lebes gamikos, Kelebe, Phiale, Lutrophoros), Vorratsgefäße (Amphora, Pelike, Pithos, Stamnos), Mischgefäße (verschiedene Kraterformen, Lebes, Psykter), Schöpf- und Gießgefäße (Hydria, Kalpis, Kyathos, Lagynos, Oinochoe, Olpe), Trinkgefäße (Kantharos, Kylix, Mastos, Rhyton, Skyphos), Büchsen und Salbgefäße (Alabastron, Aryballos, Askos, Lekanis, Lekythos, Plemochoe, Pyxis) eingeteilt werden. Man unterscheidet Fuß, Bauch, Schulter und Hals des Gefäßes. Die größte Formenvielfalt erreichte die antike Töpferkunst im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. Technische Voraussetzungen waren das Reinigen und Schlämmen des Tons, die rotierende Töpferscheibe und die Verwendung eines wasser-, säure- und feuerfesten Überzugs, der nicht nur dem Abdichten, sondern auch der farblichen Gestaltung diente (verschiedener dichter Auftrag ergab Mehrfarbigkeit). Der in lederhartem Zustand bemalte Ton bestimmte die Grundfarbe; attischer Ton war leuchtend rot, korinthischer gelblich. Als Malmittel wurde v. a. verdünnter, verschiedener Metalle enthaltender Ton verwendet. Der glänzende schwarze Überzug entstand in dreistufigem Brennvorgang aus eisenhaltigem Tonschlicker (auch Glanzton oder fälschlich Firnis genannt).
 
Bestimmend für die Entwicklung der griechischen Vasenkunst war das Verhältnis von Gefäßform und Vasenmalerei. Erhaltene Signaturen unterscheiden Töpfer und Vasenmaler als eigenständige Meister, doch nahmen Form und Bemalung in der Regel aufeinander Bezug. Bereits in kretisch-mykenischer Zeit (2. und 1. Jahrtausend v. Chr.; minoische Kultur, mykenische Kultur) standen Töpferei und Malerei in enger Verbindung. Das Geschwungen-Pflanzenhafte in Form und Bemalung (Kamaresvasen) wurde in der protogeometrischen und geometrischen Kunst des 10.-8. Jahrhunderts v. Chr. streng stilisiert: Der tektonischen Straffung der Form entsprach eine Malerei, die den Aufbau des Gefäßes durch geometrische Muster, zunächst Linie, Kreis, Schachbrett, dann Mäander u. a. Friese, betonte. Mitte des 9. Jahrhunderts wurden einzelne figürliche Elemente (Tiere, menschliche Gestalten) eingebunden und allmählich zu Friesen mit erzählenden Motiven (Totenklage, Wagenrennen) erweitert. Rundere, schwellendere Formen sowie aus dem Orient übernommene Pflanzenornamente und Fabelwesen kennzeichnen die Entwicklung des späten 8. und des 7. Jahrhunderts v. Chr. (orientalisierende Phase, früharchaisch). Die regional zunehmend getrennt verlaufende Stilentwicklung führte zur Bildung lokaler Zentren. Führend war zunächst Korinth mit protokorinthischen Vasen (etwa 730-620), eine Gattung mit sandfarbenem Grund. In der zweiten Phase (690-640) stehen neben Tierfriesen figurenreiche mythologische Bildstreifen, ausgeführt in einem schwarzfigurigen Miniaturstil mit Umrissritzung. Daneben kommt polychrome Bemalung vor. Auch in der dritten Phase mit einer Fülle von Ornamentformen entstanden Meisterwerke. Bei den nachfolgenden korinthischen Vasen (etwa 620-550) verband sich mit der gesteigerten Produktion zum Teil eine gewisse Schematisierung. Daneben traten besonders im 6. Jahrhundert Werkstätten auf den Ägäischen Inseln und in Attika (Athen; Nessosmaler). Figuren und Ornamentsilhouetten wurden durch Binnenritzung und Deckfarben (meist Rot und Weiß) strukturiert. Die Überwindung des Tierfriesstils und die Einführung großformatiger szenischer Darstellungen (Motive aus Mythos und Alltag) machten Athen im 6. Jahrhundert marktbeherrschend. Die in Signaturen überlieferten Meister Klitias (Françoisvase), Exekias und der Amasismaler markieren den Höhepunkt der attisch-schwarzfigurigen Vasenmalerei. Um 530 v. Chr. wurde in Athen die rotfigurige Vasenmalerei entwickelt, bei der Figuren und Muster nicht mehr mit Schlicker aufgetragen, sondern aus dem Malgrund ausgespart blieben; lineare Binnenzeichnung ermöglichte nun eine detaillierte Wiedergabe der Bildinhalte (plastische Darstellung von Körper und Bewegung, reiche Faltendrapierung). Die ersten bekannten Vasen dieses Stils sind Werke des Andokidesmalers; Meister der spätarchaischen Phase waren der Kleophradesmaler und der Berliner Maler, der Brygosmaler, Duris und Makron. Es folgten Hermonax (Frühklassik) und die Meister der Klassik Polygnotos (Zeitgenossen des Monumentalmalers Polygnot von Thasos) sowie der Achilleusmaler, von dem neben rotfigurigen Vasen zahlreiche Beispiele der weißgrundigen Lekythen (Lekythos) erhalten sind. Diese Technik der Vasenmalerei, bei der Konturen und Farbflächen in Pastelltönen auf einen weißen Kreidegrund aufgetragen werden, war wesentlich malerischer als der lineare rotfigurige Stil und vermittelt einen Eindruck von der nicht erhaltenen Monumentalmalerei des 5. Jahrhunderts. In der Vasenmalerei der zweiten Jahrhunderthälfte erscheint die szenische Darstellung in verschiedenen Ebenen auf dem Bildgrund verteilt, sodass Personen und Gegenstände in räumliche Beziehung zueinander treten und der Eindruck perspektiv. Tiefe entsteht. Bedeutende Meister waren der Eretriamaler und der Meidiasmaler, deren bewegte, kleinteilige Linienführung (Gewandfältelung) charakteristisch für den Reichen Stil ist. Einen Eindruck von der Vasenmalerei der Zeit nach 400 v. Chr. vermittelt die rotfigurige attische Exportware, die nach ihrem Fundort Kertsch benannt wurde (Kertscher Vasen); zu den letzten Höhepunkten dieser spätklassischer Phase zählt der um die Mitte des 4. Jahrhunderts tätige Marsyasmaler, mit dem die Vasenmalerei in Athen ihrem Ende zuging. Die Produktionszentren hatten sich nach Etrurien und Unteritalien verlagert, wo Falerii (faliskische Vasen), Paestum (lukanische Vasen), Tarent (apulische Vasen) sowie die etruskischen Werkstätten in Volterra, Chiusi und Vulci die Vasenkunst des 4. Jahrhunderts v. Chr. prägten. Seit dem 3. Jahrhundert bestimmten Reliefs die Gefäßgestaltung (Reliefkeramik, Megarischer Becher, Terra sigillata).
 
 Europa seit dem Mittelalter
 
In der Spätantike und v. a. im Mittelalter entstanden so genannte vasa sacra, liturgische Gefäße von höchster kunsthandwerklicher Qualität. Aufwendige Techniken (Treibarbeit, Email, Niello, gefasste Steine) verbanden sich in der Gotik mit erzählenden Bildkompositionen (Emailkunst). Aus dem profanen Bereich haben sich bemalte Majolikavasen, Glasgefäße (Stangenglas, Achatglas, Milchglas), in Bronzegusstechnik hergestellte Eichmaßgefäße, so genannte Ahme, und gravierte Zinnkannen (Schleifkanne) erhalten.
 
Seit der Renaissance erfuhr die Vasenkunst der griechischen und römischen Antike eine Wiederbelebung hinsichtlich der Formen und Themen. Die um 1575 entstandene »Jason-Vase« (München, Schatzkammer der Residenz) verbindet die Form einer Amphora mit Motiven aus der griechischen Mythologie. Material und Technik antiker Vasen wurden dagegen nicht adaptiert; beliebt waren getriebenes, emailliertes Metall und gefärbtes, bemaltes Glas. Anfang des 16. Jahrhunderts begannen europäische Werkstätten, chinesische Porzellanvasen nachzuahmen (Porzellan). Spätrenaissance und Barock setzten monumentale steinerne Vasen als skulpturalen Schmuck von Fassaden, Innenräumen und Treppenhäusern sowie in der Gartenkunst und bei Brunnenanlagen ein. Die klassizistischen Strömungen Ende des 18. Jahrhunderts nahmen nochmals Formen und Motive antiker Vasen zum Vorbild (Wedgwood).
 
Eine völlig neue Vasenkunst schuf der Jugendstil mit asymmetrischen oder floralen Vasenformen, wobei die dekorative Gestaltung, v. a. bei Glas, oft allein in der Wirkung des Materials lag. Herausragende Glasvasen stammen von L. C. Tiffany und É. Gallé. Die in der Töpferwerkstatt des Bauhauses entstandenen Keramikvasen zeichnen einfache Formen und farbige, meist monochrome Glasuren aus. Seit den 1950er-Jahren entstehen Ziervasen in zahlreichen Formentypen (Kastenvasen, Spindelvasen, Kalebassenvasen, Walzenvasen, Eivasen, Scheibenvasen u. a.). Die »Vasenplastik« der 60er-Jahre fasst einzelne Vasen zu komplexeren Vasengruppen zusammen. In der Gegenwart erscheinen Vasen auch als rein ästhetische Objekte.
 
Literatur:
 
Corpus vasorum antiquorum, auf zahlr. Bde. ber. (Paris 1922 ff.);
 K. Schefold: Unters. zu den Kertscher V. (1934);
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 E. Buschor: Griech. V. (Neuausg. 21975);
 J. Boardman: Schwarzfigurige V. aus Athen (a. d. Engl., 1977);
 J. Boardman: Rotfigurige V. aus Athen. Ein Hb. Die archaische Zeit (a. d. Engl., 1981);
 J. Boardman: Rotfigurige V. aus Athen. Ein Hb. Die klass. Zeit (a. d. Engl., 1991);
 F. Lorber: Inschriften auf korinth. V. (1979);
 E. Simon u. a.: Die griech. V. (21981);
 K. Hitz: Die Entstehung u. Entwicklung des Volutenkraters. .. (1982);
 I. Scheibler: Griech. Töpferkunst (1983);
 W. Schiering: Die griech. Tongefäße (21983);
 I. Wehgartner: Attisch weißgrundige Keramik (1983);
 J. D. Beazley: Attic red-figure vase painters, 3 Bde. (New York 21984);
 T. Seki: Unters. zum Verhältnis von Gefäßform u. Malerei att. Schalen (1985);
 S. Frank: Att. Kelchkratere (1990);
 A. D. Trendall: Rotfigurige V. aus Unteritalien u. Sizilien (a. d. Engl., 1991);
 M. Robertson: The art of vase-painting in classical Athens (Cambridge 1992, Nachdr. ebd. 1996);
 A. B. Spieß: Der Kriegerabschied auf att. V. der archaischen Zeit (1992);
 R. Vollkommer: Unteritalische V. (1995);
 Hans Peter Müller: Etrusk. V. (1997);
 E. Paul: Att. rotfigurige V. (1997).
 

Universal-Lexikon. 2012.