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Rolland
Rolland
 
[rɔ'lã], Romain, französischer Schriftsteller, * Clamecy (Département Nièvre) 29. 1. 1866, ✝ Vézelay 30. 12. 1944; lebte 1886-89 in Rom und lernte dort durch A. Malvida von Meysenbug die deutsche Kultur kennen. 1903-12 war er Professor für Musikwissenschaft in Paris. 1914-37 lebte er in der Schweiz, während des Ersten Weltkriegs arbeitete er dort für das Rote Kreuz. Später unternahm er zahlreiche Reisen, so 1935 in die Sowjetunion, wo er mit M. Gorkij zusammentraf.
 
Rollands Interesse galt zunächst dem Theater: Mit den (wenig erfolgreichen) Dramenzyklen »Les tragédies de la foi« (3 Teile, 1897-99) und »Théâtre de la révolution« suchte er die geistige und gesellschaftliche Erneuerung Frankreichs im Sinne einer Abwendung von Materialismus und Décadence anzustoßen, in der Schrift »Le théâtre du peuple« (1903; deutsch »Das Theater des Volkes«) konzipierte er - im Anschluss an die Kunstauffassung L. N. Tolstojs - ein auf historischen und moralischen Grundlagen aufbauendes, volksnahes Theater. In den Biographien der Folgezeit befasste er sich mit überragenden, von moralischem Heroismus geprägten Gestalten (u. a. »Vie de Beethoven«, 1903, deutsch »Beethoven«; erweitert »Beethoven, les grandes époques créatives«, 7 Bände, 1928-53; »Michel-Ange«, 1905, deutsch »Das Leben Michelangelos«). Der erste große Roman, »Jean Christophe« (10 Bände, 1904-12; deutsch »Johann Christof«, 3 Bände), die fiktive Biographie eines deutschen Musikers, ist vom Gedanken der europäischen Verständigung und v. a. von der Synthese deutscher und französischer Geistigkeit getragen. Schon während der Dreyfusaffäre hatte sich Rolland gegen den anwachsenden Nationalismus und Chauvinismus gewandt. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs (der ihn in der Schweiz überraschte) war er einer der ersten europäischen Intellektuellen, die gegen die allgemeine Kriegsbegeisterung ihre Stimme erhoben (»Au-dessus de la mêlée«, 1915; »Les précurseurs«, 1919, beide deutsch unter dem Titel »Der freie Geist«). Früh schon suchte Rolland dem Europagedanken Gestalt zu geben: Mit der Zeitschrift »Europe« (erschienen seit 1923) wollte er ein Forum für unabhängige Intellektuelle schaffen (»Déclaration d'indépendence de l'esprit«, 1919). Literarischer Ausdruck seines Pazifismus ist v. a. der Roman »Clérambault« (1920; deutsch). Einen ganz anderen Charakter hat der schon 1913/14 entstandene Roman »Colas Breugnon« (1918; deutsch »Meister Breugnon«), ein einfühlsames, lebensfrohes Zeitbild aus dem 17. Jahrhundert. Anfang der 1920er-Jahre begann Rollands Auseinandersetzung mit der indischen Geisteswelt (Begegnung mit R. Tagore u. a.); das von Gandhi vertretene Prinzip der Gewaltlosigkeit im Rahmen politischer Auseinandersetzungen reflektierte er mit Sympathie (»Mahatma Gandhi«, 1923; deutsch). Wie viele Intellektuelle dieser Zeit verfolgte er mit Interesse und Hoffnung die Entwicklung in der Sowjetunion, die eine Alternative zum europäischen Imperialismus zu bieten schien. Diese Hinwendung zu kommunistischen Positionen spiegelt sich auch in dem umfangreichen Romanwerk »L'âme enchantée«, 6 Teile, 1922-33; deutsch »Die verzauberte Seele«), wo er den Lebensweg und die geistige Entwicklung einer Frau nachzeichnet. In den 30er-Jahren bezog er entschieden Position gegen Faschismus und Nationalsozialismus, auch bemühte er sich um internationale Aktivitäten der Intellektuellen. Gegen Ende seines Lebens bewegte ihn die Suche nach der Erfüllung individueller menschlicher Freiheit innerhalb einer Gemeinschaft (»Le voyage intérieur«, 1942; deutsch »Die Reise nach innen«). Über sein literarisches Werk hinaus, das bereits 1915 mit dem Nobelpreis gewürdigt wurde, wirkte Rolland als Symbolfigur des engagierten Pazifismus und als Vorkämpfer einer übernationalen Völkergemeinschaft.
 
Weitere Werke: Biographien: La vie de Ramakrishna (1929; deutsch Leben des Ramakrishna); Robespierre (1939; deutsch); Péguy, 2 Bände (1944; deutsch Charles Péguy).
 
Tagebuchaufzeichnungen: Journal des années de guerre (3 Bände, herausgegeben 1952; deutsch Das Gewissen Europas).
 
Ausgaben: Gesammelte Werke in Einzelbänden, 5 Bände (1-41953-83); R. Rolland und Stefan Zweig: Briefwechsel 1910-1940, bearbeitet von W. Schwarze, 2 Bände (1987); Richard Strauss - R. Rolland. Briefwechsel und Tagebuchnotizen, bearbeitet von M. Hülle-Keeding (1994).
 
Literatur:
 
E. R. Curtius: Die literar. Wegbereiter des neuen Frankreich (31923);
 
Cahiers R. R., hg. v. der Association des Amis de R. R., auf zahlr. Bde. ber. (Paris 1948 ff.);
 R. Cheval: R. R., l'Allemagne et la guerre (ebd. 1963);
 
R. R. Weltbürger zw. Frankreich u. Dtl., bearb. v. K. Dahme u. a., Ausst.-Kat. (1967);
 W. T. Starr: R. R. One against all. A biography (Den Haag 1971);
 H. M. Kastinger Riley: R. R. (1979);
 T. Motyljowa: R. R. Eine Biogr. (a. d. Russ. u. Frz., Berlin-Ost 21984);
 M. Hülle-Keeding: R. R.s visionäres Beethovenbild im Jean-Christophe (1997).

Universal-Lexikon. 2012.