Mu|sik|wis|sen|schaft 〈f. 20; unz.〉 Wissenschaft von der Musik, ihrer Entstehung u. Entwicklung, ihrem Aufbau u. ihren Formen
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Mu|sik|wis|sen|schaft, die <o. Pl.>:
Wissenschaft von der Musik, ihrem Wesen, ihrer Geschichte u. ihren verschiedenen Erscheinungsformen.
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Musikwissenschaft,
wissenschaftliche Disziplin, die alle Formen der theoretischen und historischen Beschäftigung mit der Musik umfasst.
Die philosophisch-spekulative Musiktheorie wurde im griechischen Altertum durch die eigentümliche Verknüpfung von Musik und Zahl, die v. a. Pythagoras und die Pythagoreer (Sphärenharmonie) beschäftigte, begründet. Platon sah in der Musik eines der wichtigsten Erziehungsmittel. Der griechische Mathematiker Euklid befasste sich mit der Teilung des Monochords. Wichtigster Fachtheoretiker war Aristoxenos, der v. a. die Harmonik als Wissenschaft ausbaute.
In christlicher Zeit wurde die Musik im Anschluss an die Antike in die sieben Artes liberales einbezogen. Besonders durch Boethius wurde das musiktheoretische Gut der Griechen dem Mittelalter überliefert. Nach den Lehren vom einstimmigen liturgischen Gesang (gregorianischer Gesang) wird der Beginn der abendländischen Mehrstimmigkeit in karolingischer Zeit erstmals durch das anonyme Musiktraktat Musica enchiriadis (spätes 9. Jahrhundert) theoretisch greifbar. Die Musiktheoretiker bis etwa 1100 (u. a. Guido von Arezzo) vertreten die bis dahin nur als Stegreifausführung geübte Mehrstimmigkeit. Später, als es üblich wurde, mehrstimmige Musik schriftlich zu fixieren, entwickelte sich die Kompositionslehre (Diskant, Kontrapunkt). Um 1280 gab Johannes de Grocheo einen Überblick über die verschiedenen musikalischen Gattungen seiner Zeit. Bei Walter Odington (um 1300) wird die Terz erstmals theoretisch als Konsonanz begründet. G. Zarlino (1558) entwickelte eine harmonisch ausgerichtete Kontrapunktlehre. Das »Syntagma musicum« (1620) des M. Praetorius ist die erste umfassende Quelle zur musikalischen Praxis und Instrumentenkunde der Zeit. Die Kontrapunktlehren wurden im 17. und 18. Jahrhundert von den Generalbasslehren abgelöst, die praktische Handwerkslehren darstellten. Ein Markstein in der Theorie der Harmonie sind J. P. Rameaus Arbeiten. In der Aufklärung entstanden neben Schriften französischer Enzyklopädisten (J. Le Rond d'Alembert, D. Diderot u. a.) auch in Deutschland enzyklopädische Werke und Musiklehren (J. Mattheson, F. Marpurg). Hinzu kamen Musiklexika (S. de Brossard, J. G. Walther, J.-J. Rousseau, E. L. Gerber, Heinrich Christoph Koch, * 1749, ✝ 1816). Mit dem »Gradus ad Parnassum. ..« von J. J. Fux (1725), der sich an den Palestrina-Satz anlehnte, trat die Musiklehre als neuer Typ der Musiktheorie hervor.
Die spekulative Musiktheorie, als deren letzter großer Vertreter J. Kepler gilt, wurde in der Neuzeit durch die Musikästhetik abgelöst (A. Schopenhauer, F. Nietzsche). Allmählich wurde die Musikwissenschaft auch Universitäts-Fach (mit dem Schwerpunkt Musikgeschichte). Erste Vertreter waren u. a. 1875 P. Spitta in Berlin, 1898 G. Adler in Wien, 1900 Adolf Sandberger (* 1864, ✝ 1943) in München, 1905 H. Riemann in Leipzig und 1910 Friedrich Ludwig (* 1872, ✝ 1930) in Straßburg (zuvor A. B. Marx 1830 in Berlin und A. W. Ambros 1869 in Prag als Professor der Musik).
Als Hauptzweige der Musikwissenschaft unterscheidet man traditionell historische und systematische Musikwissenschaft sowie die Musikethnologie. Im Zentrum der historischen Musikwissenschaft steht die Geschichte der europäischen Kunstmusik vom Mittelalter bis heute. Volks-, Pop- und Rockmusik sowie der Jazz werden inzwischen ebenfalls einbezogen, wie auch die wissenschaftliche Behandlung funktionaler Musik (Arbeit-, Salon-, Werbemusik u. a.). Ihre Hauptmethoden sind von der Philologie geprägt (Erschließung und Edition von Notentexten) und werden durch geschichtswissenschaftliche Methoden ergänzt (archivalische und biographische Quellen, Untersuchungen von Selbstzeugnissen, Briefen, theoretische Äußerungen von Musikern, ikonographische Studien). Forschungsschwerpunkte sind Form-, Stil- und Inhaltsanalysen sowie Fragen der Gattungs-, Sozial-, Rezeptions- und Wirkungsgeschichte, wobei die traditionellen Verfahren (Kontrapunkt-, Harmonie-, Formenlehre) durch mathematisch-statistische, soziologische, semiotische und terminologische Theorien ergänzt werden.
Die systematische Musikwissenschaft gliedert sich in musikalische Akustik, Physiologie der Gehörswahrnehmung (Hören), Musikpsychologie, Musikästhetik und Musiksoziologie.
V. Karbusicky: Systemat. M. Eine Einf. in Grundbegriffe, Methoden u. Arbeitstechniken (1979);
H. Federhofer: M. u. Musikpraxis (Wien 1985);
Lb. der M., hg. v. E. Kreft (1985);
J. A. Kimmey: A critique of musicology (Lewistown, N. Y., 1988);
Die Musik in Geschichte u. Gegenwart. Allg. Enzyklopädie der Musik, hg. v. L. Finscher, 21 Bde. in 2 Tle.n (2., neubearb. Aufl. 1994ff.;
M. u. Berufspraxis, hg. v. S. Ehrmann-Herfort (1996);
Systemat. M., hg. v. C. Dahlhaus u. Helga de la Motte-Haber (Sonderausg. 1997);
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Mu|sik|wis|sen|schaft, die <o. Pl.>: Wissenschaft von der Musik, ihrem Wesen, ihrer Geschichte u. ihren verschiedenen Erscheinungsformen.
Universal-Lexikon. 2012.