Gifte
[althochdeutsch gift, eigentlich »das Geben«, »Gabe«],
1) Tọxika, in der Natur vorkommende oder synthetisch hergestellte organische und anorganische Stoffe, die im menschlichen oder tierischen Organismus zu einer spezifischen Schädigung mit vorübergehender Funktionsstörung, bleibendem Gesundheitsschaden oder Todesfolge führen; auch für Pflanzen schädliche Stoffe (Herbizide) werden oft als Gifte bezeichnet. Gifte sind in der Natur weit verbreitet: Zahlreiche Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen bilden Gifte, die als Toxine bezeichnet werden. Giftig sind auch viele organische und anorganische Substanzen. Nach Herkunft und Verwendung kann man Gifte einteilen in pflanzliche Gifte (z. B. Atropin, Amanitin), tierische Gifte (z. B. Bufotenin, Melittin, Tetrodotoxin), Bakteriengifte (z. B. Botulinustoxin), Umweltgifte (z. B. Quecksilber, Pestizide), gewerbliche Gifte (z. B. Benzol, Blei, Cadmium), Genussgifte (z. B. Alkohol) u. a. - Die Wirkung von Gift ist eine Folge ihrer biologischen Wechselwirkungen mit körpereigenen Strukturen. Sie ist nicht nur an die chemische Struktur gebunden, sondern auch abhängig von der Dosis beziehungsweise Konzentration, der Art der Einwirkung (z. B. Aufnahmeweg) sowie Häufigkeit und Gesamtzeit der Einwirkung. - Nach dem Ort ihrer Hauptwirkung unterscheidet man u. a.: 1) lokal schädigende Reiz- und Ätzgifte, die bei Kontakt die Haut und/oder die Schleimhäute der Augen, der Atemwege oder des Magen-Darm-Kanals reizen oder verätzen und dabei Entzündungen auslösen können. Hierzu gehören Säuren, Laugen, nitrose Gase u. a.; 2) Blutgefäßgifte, die besonders die Blutkapillaren schädigen (z. B. Arsenik); 3) Blutgifte, die die Bildung von Blutzellen im Knochenmark beeinträchtigen (z. B. Benzol) oder Blutzellen, besonders rote Blutkörperchen, schädigen (z. B. Anilin, Nitrobenzol, Kohlenoxid u. a.); 4) Lebergifte, die Leberentzündung, Leberverfettung und Leberschrumpfung (Zirrhose) bewirken (z. B. Tetrachlorkohlenstoff, Alkohol, Amanitin aus Knollenblätterpilzen u. a.); 5) Nierengifte, die zu Nierenentzündung und Aufhören der Harnproduktion führen (z. B. Quecksilber); 6) Herzgifte, die zu Herzmuskelschädigung führen (z. B. chlorierte Kohlenwasserstoffe, Digitalisglykoside); 7) Nervengifte, die entweder Übererregung des Zentralnervensystems mit Krämpfen auslösen können (z. B. Strychnin) oder Atem- und Kreislauflähmung mit Bewusstlosigkeit herbeiführen (z. B. Benzin, Alkohol, technische Lösungsmittel) oder periphere Nerven schädigen (z. B. Alkohol, Trikresylphosphat, Acrylamid).
Von besonderer Bedeutung sind Gifte, die bösartige Tumoren verursachen (Karzinogene, wie Arsen, Nitrosamine), Mutationen auslösen (Mutagene, z. B. Zytostatika) und Embryonen und Feten schädigen (Teratogene, z. B. Thalidomid).
In vielen Fällen ist die Giftwirkung bei Mensch und Wirbeltieren vergleichbar. Dadurch ist es häufig möglich, mithilfe von Tierversuchen Gifte zu erkennen und ihre Wirkung zu analysieren.
Die Verwendung von Giften und der Umgang mit Giften ist durch Gesetze und Verordnungen geregelt. Hierzu gehören in Deutschland u. a. die Giftverordnungen der Länder, die Gefahrstoffverordnung (Gefahrstoffe) und das Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz). Bestimmungen über die Handhabung und den Schutz vor Giften enthalten auch das Pflanzenschutzgesetz sowie die VO über Anwendungsverbote für Pflanzenschutzmittel (regelt auch Anwendungsbeschränkungen). - Zu Giften im Strafrecht Vergiftung.
Die Wirkung vieler Giftpflanzen und ihre Anwendung als Heilmittel war wohl seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. im Alten Orient und in den Mittelmeerkulturen bekannt. Die Skythen gebrauchten nach Herodot Pfeilgifte für Jagd und Krieg. Die Griechen benutzten Gifte (z. B. den Gefleckten Schierling) auch zur Hinrichtung; Versuche mit Giften an zum Tode Verurteilten zur Erprobung von Gegengiften sind von Mithridates VI. bekannt. Griechische Ärzte vermuteten als Ursache vieler Krankheiten Gifte, die sie mit so genannten Gegengiften (Antidote, Theriak) zu behandeln suchten. Den Griechen war bewusst, dass die Grenze zwischen Gift und Arzneimittel fließend ist (das griechische Wort phármakon bedeutet beides). Erst Paracelsus stellte fest, dass der Unterschied zwischen beiden in der Dosis liegt. Die arzneiliche Verwendung der Gifte blieb aber auch zu seiner Zeit noch selten, da die Technik des Tierversuchs mangelhaft und die Reindarstellung der giftigen Pflanzeninhaltsstoffe noch nicht möglich war. Der österreichische Arzt Anton Stoerck (* 1731, ✝ 1803) versuchte zwar schon ab 1760, Gifte in die Therapie einzuführen; mit Erfolg war dies aber erst im 19. Jahrhundert möglich, als die Erprobung an Tieren vervollkommnet worden war (F. Magendie, C. Bernard, J. E. Purkinje) und man die Giftstoffe (Alkaloide) zu isolieren verstand (F. W. Sertürner, P. J. Pelletier, J. B. Caventou).
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
Antidote · Bienengift · Blutgifte · Entgiftung · Giftpflanzen · Gifttiere · Keimgifte · Pfeilgifte · Pilze · Rauschgifte · Schlangengifte · Spinnengifte · Toxikologie · Toxine · Vergiftung
L. Lewin: Die G. in der Weltgesch. (1920, Nachdr. 1984);
H. Hörath: Giftige Stoffe. Gefahrstoffverordnung,.. . (31991);
Allg. u. spezielle Pharmakologie u. Toxikologie...,, hg. v. W. Forth u. a. (71996);
E. Mutschler: Arzneimittelwirkungen, Lb. der Pharmakologie u. Toxikologie (71996).
2) Bezeichnung für Stoffe, die ein bestimmtes Material zerstören oder einen physikalischen oder chemischen Vorgang hemmen oder zum Stillstand bringen (z. B. Katalysatorgifte, Reaktorgifte).
Universal-Lexikon. 2012.