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Tu|gend ['tu:gn̩t], die; -, -en:a) <ohne Plural> moralische Untadeligkeit, vorbildliche Haltung eines Menschen:
er, sie ist ein Mensch von unangefochtener Tugend.
Syn.: ↑ Anstand.
b) bestimmte moralisch wertvolle Eigenschaft:
demokratische Tugenden; die Tugend der Geduld ist nicht gerade ihre Stärke.
Syn.: ↑ Qualität.
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Tu|gend 〈f. 20〉
1. 〈i. e. S.〉 sittlich hervorragende Eigenschaft
2. 〈i. w. S.〉 sittlich einwandfreie, vorbildl. Haltung
3. 〈veraltet〉 Jungfräulichkeit
● den Pfad der \Tugend wandeln 〈fig.; meist iron.〉 sittsam sein; ein Ausbund an \Tugend 〈iron.〉; ein Mann mit vielen \Tugenden [<mhd. tugend(e) <ahd. tugund „Tüchtigkeit, Kraft, Brauchbarkeit“ <germ. *dugunþu; → taugen, tüchtig]
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1. <o. Pl.> Tugendhaftigkeit:
T. üben;
niemand zweifelt an seiner T.;
sie ist ein Ausbund an/von T.
2. sittlich wertvolle Eigenschaft (eines Menschen):
die T. der Gerechtigkeit, Aufrichtigkeit, Bescheidenheit;
die christlichen, sozialistischen -en;
weibliche, männliche, preußische, militärische -en;
jeder Mensch hat seine -en und seine Fehler.
3. <o. Pl.> (veraltet)
a) Keuschheit;
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I Tugend
[althochdeutsch tugund, eigentlich »Tauglichkeit«, »Kraft«], Bezeichnung für die Lebenshaltung, die das sittlich Gute erstrebt und die der Mensch in Freiheit durch permanente Übung erwirbt; ursprünglich Tauglichkeit oder Tüchtigkeit einer Sache (Arete). Tugend bezeichnete zunächst allgemein jede vollkommen entwickelte menschliche Fähigkeit auf geistigem und seelischem Gebiet, das Vermögen, Leistungen zu vollbringen, die man als wertvoll anerkennt. Die Frage nach Wesen und Möglichkeit von Tugend wurde bereits von den antiken Philosophen als Thema der Ethik erörtert. Während noch die Sophisten Tugend als Technik des bestmöglichen Sichbehauptens in einer feindlichen Umwelt bestimmten, begann mit Sokrates ein Prozess der Vergeistigung des Begriffs: Tugend wurde im Zusammenhang des sozialen und sittlichen Handelns definiert als Gesinnung des inneren Menschen, die auf Verwirklichung moralischer Werte ausgerichtet ist. Platon konzentrierte den Katalog verschiedener Einzeltugenden auf die vier Grund- oder Haupttugenden (Kardinaltugenden) Weisheit, Tapferkeit, Besonnenheit und Gerechtigkeit. Aristoteles hob die dianoetische (Verstandes-)Tugend von den ethischen Tugenden ab, die im Finden und Einhalten der jeweils richtigen Mitte zwischen Extremen bestehen. Die Stoiker und die Epikureer bestimmten die Tugenden von ihren philosophischen Denkgebäuden her, die einen als vernunft- und naturgemäßes (asketisches) Leben, die anderen als Suche nach wahrer und dauerhafter (d. h. nicht zügelloser) Lust. Eine systematische Tugendlehre wurde im Anschluss an Platon und Aristoteles von der christlich-mittelalterlichen Philosophie entwickelt; sie ergänzte das überlieferte Tugendsystem (der Kardinaltugenden und der mitmenschlichen Tugend wie Nächstenliebe, Hingabe, Wahrhaftigkeit, Treue u. a.) durch die drei »göttlichen« oder »theologischen« Tugenden Glaube, Hoffnung, Liebe (1. Korintherbrief 13, 13). - Wie sehr der Begriff auf die jeweilige geschichtliche Situation bezogen ist, zeigt sich z. B. daran, dass in der Neuzeit das Bürgertum standesbezogene Wertvorstellungen (Ordnung, Fleiß, Sparsamkeit u. a.) zu »bürgerlichen Tugenden« erhob. Gegenwärtig werden als sittliche Haltungen v. a. Solidarität und Toleranz gefordert. Da es nicht möglich ist, ein geschlossenes System von Einzeltugenden, die für alle Zeit Gültigkeit hätten, zu bestimmen, spricht man heute eher vom Wert einer sittlichen Handlung als von der Tugend des Handelnden.
In der Dichtung wie auch in der bildenden Kunst begegnet die Personifikation von Tugenden und Lastern schon in der griechischen, häufiger noch in der römischen Antike. Der Kampf zwischen Tugenden und Lastern wurde literarisch erstmals von Prudentius in dem Lehrgedicht »Psychomachia« dargestellt und v. a. im Mittelalter oft aufgegriffen (z. B. in den Moralitäten). Die christliche Kunst knüpfte an antike Vorbilder an, z. B. bei der Darstellung des Kampfes zwischen Tugend und Laster oder der über das Laster triumphierenden Tugend (u. a. Westportalskulpturen des Straßburger Münsters); Kampf- oder Triumphmotiv können aber auch fehlen (Fresken Giottos in der Arenakapelle in Padua). Seit karolingischer Zeit werden die drei theologischen und die vier Kardinaltugenden auch einzeln und (v. a. seit dem 13. Jahrhundert) mit Attributen dargestellt: Glaube mit Taufbecken, Kreuz, Kelch; Hoffnung mit Olivenzweig, Anker; Liebe mit Speise und Trank, Kindern, flammendem Herzen; Weisheit mit Buch, Schlange, Spiegel; Tapferkeit mit Waffen; Besonnenheit mit Fackel und Krug oder zwei Krügen; Gerechtigkeit mit Waage, Schwert.
V. Jankelevich: Traité des vertus, 3 Bde. (Neuausg. Paris 1968-72);
J. Kube: Techne u. Arete. Sophist. u. platon. T.-Wissen (1969);
Ritterl. T.-System, hg. v. G. Eifler (1970);
R. Fischer-Wollpert: Wege ins Wirkliche. Selbstverwirklichung u. Grund-T. (1979);
O. F. Bollnow: Wesen u. Wandel der T. (99.-102. Tsd. 1981);
Ordnung, Fleiß u. Sparsamkeit. Texte u. Dokumente zur Entstehung der »bürgerl. T.«, hg. v. P. Münch (1984);
J. Rattner: Was ist T., was ist Laster? Tiefenpsychologie u. Psychotherapie als angewandte Ethik (1988);
Eth. Perspektiven: »Wandel der T.«, hg. v. H.-J. Braun (Zürich 1989);
F. Nietzsche: Unsere T., in: F. Nietzsche: Jenseits von Gut u. Böse (Neuausg. 111991);
R. Guardini: T. Meditationen über Gestalten sittl. Lebens (41992);
B. Häring: Wege zum Sinn. Eine zeitgemäße T.-Lehre (Graz 1997).
II
Tugend,
nur noch selten gebrauchter Begriff für die geistig-seelische Fähigkeit des Menschen, das Gute zu verwirklichen. Seinen Ursprung hat der Begriff der Tugend in der Antike; als wichtige Tugend, die dem Menschen helfen sollten, Maßstäbe für ihr Handeln zu finden, wurden im Mittelalter Maßhalten, Tapferkeit, Treue und Gerechtigkeit angesehen. In Bezug auf Sexualität wird der Begriff häufig benutzt, um die kirchlichen und gesellschaftlichen Vorstellungen von Sexualität zu benennen, die allerdings meist einschränkender Art sind. So galt z. B. Enthaltsamkeit lange Zeit als Tugend. Ein Verständnis von Tugend, das im Bereich der Sexualität positive Möglichkeiten eröffnet, könnte z. B. Gewicht auf Toleranz und Einfühlsamkeit legen.
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Tu|gend, die; -, -en [mhd. tugent, ahd. tugund, zu ↑taugen u. eigtl. = Tauglichkeit, Kraft]: 1. <o. Pl.> Tugendhaftigkeit: T. üben; niemand zweifelt an seiner T.; sie ist ein Ausbund an/von T.; sie führt ein Leben in T.; In Caen, wo sie die Jahre ihrer Jugend in einem Kloster verbrachte voller T. (Weiss, Marat 52). 2. sittlich wertvolle Eigenschaft (eines Menschen): die T. der Gerechtigkeit, Aufrichtigkeit, Bescheidenheit; die christlichen, sozialistischen, seemännischen -en; weibliche, männliche, preußische, soldatische, militärische -en; du solltest wissen, dass Diskretion die erste T. (wichtigste Eigenschaft) eines Hotelangestellten ist (Remarque, Triomphe 59); Die große T. der Beichtväter war ihre Vergesslichkeit (Bieler, Mädchenkrieg 517); jeder Mensch hat seine -en und seine Fehler; Er war fleißig, doch gehörten Sorgfalt, Geduld und Ausdauer zu seinen -en nicht (Reich-Ranicki, Th. Mann 116). 3. <o. Pl.> (veraltet) a) Keuschheit; b) ↑Jungfräulichkeit (1).
Universal-Lexikon. 2012.