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Eiszeitalter
Eis|zeit|al|ter, das (Geol.):
1. durch eine Abfolge mehrerer Kalt- u. Warmzeiten geprägter erdgeschichtlicher Zeitraum.
2. <o. Pl.> Pleistozän.

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Eiszeitalter,
 
durch mehrmalige Abfolge von Kalt- (Eis-) und Warmzeiten geprägter Zeitraum der Erdgeschichte. Der Begriff Eiszeitalter bezieht sich v. a. auf das quartäre Eiszeitalter, das Pleistozän (früher Diluvium).
 
 Das pleistozäne Eiszeitalter
 
Der Beginn des Eiszeitalters lässt sich nicht durch eine klare faunistische, floristische oder andere Grenze festlegen, da schon im Jungtertiär eine Abkühlung einsetzte. Allgemein lässt sich feststellen, dass das Eiszeitalter in Mitteleuropa vor etwa 1 Mio. Jahren begann und vor etwa 10 000 Jahren endete. Wachstum und Abschmelzen von Gletschern und Inlandeis ging in den einzelnen Phasen ziemlich schnell vor sich; so rückte in der letzten Phase der letzten Eiszeit das Eis in Norddeutschland um jährlich 100-230 m vor. Die Vergletscherung umfasste in der letzten Eiszeit weltweit maximal 42 Mio. km2 (77 Mio. km3), in der vorletzten Eiszeit bis über 48 Mio. km2, d. h. eine dreimal größere Fläche als heute (15,3 Mio. km2, 26,3 Mio. km3). Die südlichste Verbreitungsgrenze des pleistozänen Inlandeises ist in Mitteleuropa durch die Feuersteinlinie (Feuerstein) nachweisbar. In der letzten Eiszeit waren über 28 % der Festlandsfläche, in der vorletzten Eiszeit über 32 % vergletschert, heute dagegen sind es nur etwa 10 %. Gegenwärtig macht allein das antarktische Inlandeis 82 % der gesamten vergletscherten Fläche und 89 % der Eismasse aus.
 
Am besten bekannt sind die Vergletscherungen der letzten Eiszeit. Das Inlandeis Nordeuropas und des nördlichen Mitteleuropa ging vom skandinavischen Hochgebirge aus. Von hier strömte das Eis einerseits zur norwegischen Küste (Fjordbildung), andererseits über das Becken der heutigen Ostsee hinweg nach Russland, Polen und in das Norddeutsche Tiefland. Den Höhepunkt der Weichsel-Eiszeit (um 18 000 v. Chr.) markiert das Brandenburger Stadium; die maximale, saaleeiszeitliche Vereisung erreichte den Rand der Mittelgebirge. Im Nordseeraum vereinigte sich das Inlandeis mit dem von Irland und Schottland ausgehenden britischen Eisschild. In den Alpen - wie auch in anderen Hochgebirgen - verbanden sich die Talgletscher zu einem Eisstromnetz und schoben ihre Zungen vor den Gebirgsfuß, wo eine zusammenhängende, in Girlanden gegliederte Vorlandvergletscherung entstand. In Nordamerika vereinigten sich das von Labrador nach Südwesten vorstoßende Laurent. Inlandeis und das Kordillereneis; sie stießen maximal bis 37º 30' nördliche Breite nach Süden vor. Grönland bildete einen isolierten Eisschild. Die Vergletscherung der Antarktis setzte schon im Miozän (Tertiär) ein. Das erst jüngst näher erforschte Inlandeis des Hochlands von Tibet soll 2-2,4 Mio. km2 und eine Mächtigkeit von 700-1 200 m erreicht haben. Sibirien dagegen besaß mangels Niederschlägen nur Gebirgsvergletscherung. Viele Gebirge der Tropen (z. B. Kilimandscharo, Anden, Himalaja) und Außertropen (in Europa u. a. Pyrenäen, Schwarzwald, Vogesen, Kaukasus) trugen Eiskappen oder Einzelgletscher; größere Eisflächen waren nur in Westpatagonien und auf der Südinsel Neuseelands entwickelt.
 
V. a. die Vergletscherungen haben die Oberflächenformen des Festlandes nachhaltig geprägt (Glaziallandschaft). Der Gletscherschutt blieb als Moränen zurück. Das Schuttmaterial (Geschiebe) wurde oft weit vom Ursprungsort wegtransportiert. Glazialen Ursprungs sind ferner Kare, Trogtäler, Schliffbildungen, Rundhöcker, Drumlins, Zungenbecken, Toteislöcher und Sölle, Schmelzwasserrinnen und -seen, Urstromtäler und die Schmelzwasserablagerungen (Sander, Kames, Oser). Die während der Höhepunkte der niederschlagsärmeren Kaltzeiten mit Schutt überlasteten Flüsse haben ihre Sedimente schon gegen Ende der Kaltphasen unter Terrassenbildung wieder zerschnitten. In Seen wurden auch die feinkörnigen Bändertone abgelagert. Zu den Erscheinungen im weiteren Umkreis von Gletscher und Inlandeis (periglazial) gehören auch Dauerfrostboden, Strukturböden, Frostschutt, Blockströme und Blockmeere, Solifluktion u. a. Bodenbewegungen, Ablagerungen von Löss und Dünen.
 
Während der Kaltzeiten wurden die Trockengebiete der Subtropen und wechselfeuchten Tropen im Allgemeinen erheblich ausgedehnt (nach Süden) und der Bereich des tropischen Regenwaldes stark eingeschränkt. Nur wenige Gebiete wie das nordwestliche Afrika erhielten höhere Niederschläge als heute (Pluvial, Sahara).
 
Tiefseeablagerungen zeigen - im Gegensatz zu festländischen - oft lückenlose Abfolgen und können vielfach absolut datiert werden. Das Verhältnis der Sauerstoffisotope 16O/18O in den Kalkschalen der eingelagerten Meerestiere lässt Rückschlüsse auf die klimatischen Bildungsbedingungen zu (Emiliani-Kurve); darauf beruht auch die Paläotemperaturkurve (Übersicht). Durch Auswertung von Tiefseebohrkernen sind für das Pleistozän über 20 Kalt- und Warmzeiten ermittelt worden, die sich allerdings bisher nicht oder nur zum Teil mit den bekannten terrestrischen Ereignissen parallelisieren lassen.
 
Die Bindung von Wasser in Form von Eis während der Kaltzeiten führte zur Meeresspiegelabsenkung, in der letzten Eiszeit um 80-100 m, in der vorletzten Eiszeit um 200 m, d. h. um 65 m beziehungsweise 135 m gegenüber dem heutigen Meeresspiegel. Eisabschmelzung und tektonische Heraushebung führten v. a. im Mittelmeerraum zur Bildung von Strandterrassen.
 
Während der Eiszeiten lag das Jahresmittel der Temperatur auf dem Festland 4-12 Celsiusgrade (maximal 15), die Oberflächentemperatur des Weltmeeres um 4-7 Celsiusgrade niedriger als heute. Die Absenkung der Schneegrenze erreichte weltweit 700 bis 1 000 m, in den Alpen maximal 1 500 m. In der letzten Eiszeit betrug in Mitteleuropa das Januarmittel der Temperatur (auf die damalige Meereshöhe umgerechnet) zwischen -14º und -22 ºC, das Julimittel zwischen +10º und +5 ºC. Die Warmzeiten ähnelten in Klima und Vegetation der Gegenwart, waren aber zu Beginn des Eiszeitalters etwas wärmer und feuchter als heute. Der thermische Äquator, heute in 5-7º nördlicher Breite, lag in den Kaltzeiten auf etwa 5º südliche Breite
 
Die nördliche Waldgrenze lag in Europa südlich der Alpen. Das eisfreie Gebiet zwischen den Alpen und dem Inlandeis wurde von einer Frostschutt- und Lösstundra eingenommen; dort lebten Mammut, Höhlenbär, wollhaariges Nashorn, Wisent, Reh, Eisfuchs, Lemming u. a. kältegewohnte Tiere.
 
Mit dem Eiszeitalter ist auch die Geschichte der Menschheit und ihrer Kulturen (Altsteinzeit) aufs Engste verknüpft. Während durch die Klimaverschlechterung und die vermehrte Eisbedeckung v. a. in der Nordhemisphäre der Lebensraum des Menschen eingeschränkt wurde, boten die durch die kaltzeitliche Meeresspiegelabsenkung trockengefallenen Schelfflächen neue Nutzungsmöglichkeiten, besonders für eine auf küstennahe Meerestiere (Fische, Meeressäuger, Muscheln) ausgerichtete Lebensweise. Außerdem ermöglichte die Meeresspiegelabsenkung in der letzten Kaltzeit die Ausbreitung des Menschen (Homo sapiens sapiens), v. a. die Besiedlung der damals mit dem Festland verbundenen südostasiatischen Inselwelt sowie Australiens und Amerikas (über die landfeste Beringstraße).
 
 Ältere Vereisungsperioden
 
Die ältesten, durch Gletscherschliffe und Moränen (Tillite) belegten Vereisungsspuren rühren aus dem älteren Präkambrium, vor etwa 2,3 Mrd. Jahren, sowohl aus Nordamerika (»Huronische Eiszeit«) als auch aus dem südlichen Afrika. Größere Verbreitung haben die Reste einer jungpräkambrischen längeren Vereisungsperiode (Eokambrium, vor etwa 2 Mrd. Jahren). Eine ordovizisch-silurische Vereisung hat Spuren in der Sahara und im südlichen Afrika hinterlassen. Das größte Ausmaß hatte die permokarbonische Vereisung Gondwanas, die u. a. durch die Dwykagruppe belegt ist. Inzwischen sind auch kaltzeitliche Zeugen aus der Kreidezeit und dem Tertiär bekannt geworden.
 
 Ursachen der Eiszeitentstehung
 
Terrestrische und extraterrestrische Vorgänge sind zur Erklärung der Eiszeiten und ihrer Periodizität herangezogen worden; wahrscheinlich liegt ihnen ein komplexes Zusammenwirken vieler Faktoren zugrunde. Eine primäre Voraussetzung war wohl die Verlagerung des antarktischen Kontinents zum Südpol, wo sich dann aus winterlichen Schneedecken eine ständige Vergletscherung bilden konnte, die durch Selbstverstärkung (durch Reflexion des Sonnenlichtes, Albedo) eine Abkühlung der gesamten Erde bewirkte oder erhöhte. Ferner wurden ungeheure Vulkanausbrüche (Beeinträchtigung der Atmosphäre durch Staubmassen), ausgedehnte tektonische Hebungen sowie Schwankungen des Wasserdampf- und des Kohlendioxidgehaltes der Atmosphäre (in den Kaltzeiten war der CO2-Gehalt niedrig, in den Warmzeiten hoch) als Ursachen vermutet. Durch die Ergebnisse der Meeresforschung erfuhr die von M. Milanković entwickelte Strahlungskurve (Periodizität der Sonneneinstrahlung infolge langperiodischer Schwankungen der Erdbahnelemente) eine starke Aufwertung. Als kosmische Ursachen kämen Änderungen der Solarkonstante und das Eintauchen des Sonnensystems in eine kosmische Staubwolke infrage. - Die geologische Gegenwart kann als Interglazial angesehen werden; die weitere Entwicklung hängt heute aber auch von den umweltbeeinflussenden Maßnahmen des Menschen ab (Treibhauseffekt, Ozonloch). Als »Normalzustand« der Erde gilt aber der eisfreie Zustand.
 
 Geschichte
 
Der Begriff Eiszeit wurde 1837 von dem deutschen Botaniker K. F. Schimper geprägt und von J. L. R. Agassiz 1840 in die wissenschaftliche Literatur eingeführt; der Begriff Eiszeitalter stammt von dem britischen Geologen J. Geikie (1874), einem Bruder von Sir A. Geikie. Während die ehemalige größere Vergletscherung der Alpen schon 1840 wissenschaftlich gesichert war, wurde die für das nördliche Mitteleuropa aufgestellte Drifttheorie endgültig erst 1875 widerlegt.
 
Literatur:
 
P. Woldstedt: Das E., 3 Bde. (2-31958-65);
 P. Woldstedt: Das Quartär (1969; Hb. der stratigraph. Geologie, Bd. 2);
 P. Woldstedt: Nord-Dtl. u. angrenzende Gebiete im E., bearb. v. K. Duphorn (31974);
 C. Embleton u. C. A. King: Glacial and periglacial geomorphology, 2 Bde. (London 21975);
 R. F. Flint: Glacial and quaternary geology (New York 1977);
 R. Hantke: E., 3 Bde. (Thun 1978-83);
 
Hundert Jahre Glazialtheorie im Gebiet der skandinav. Vereisungen, hg. v. R. Lauterbach (Berlin-Ost 1978);
 J. Marcinek: Die Erde im E. (Gotha 1980);
 J. Marcinek: Droht eine nächste Kaltzeit (Leipzig 21985);
 H. Liedtke: Die nord. Vereisungen in Mitteleuropa (21981);
 T. A. Nilsson: The Pleistocene (Dordrecht 1982).
 
Zeitschriften: E. u. Gegenwart (1951 ff.);
 
Quaternary Research (New York 1971 ff.).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Klima und atmosphärische Zirkulation
 
Erdgeschichte: Das Ende des Lebens
 

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Eis|zeit|al|ter, das: Pleistozän.

Universal-Lexikon. 2012.