Literaturnobelpreis 1962: John Ernst Steinbeck
Der amerikanische Schriftsteller erhielt den Nobelpreis für seine realistischen und fantasievollen Werke, die sich durch einfühlsamen Humor und sozialen Scharfblick auszeichnen.
John Ernst Steinbeck, * Salinas (Kalifornien) 27. 2. 1902,✝ New York 20. 12. 1968; 1919-25 Studium der Literatur- und Meeresbiologie an der Stanford University (ohne Abschluss), 1925-26 New-York-Aufenthalt, 1940 Pulitzerpreis für »Früchte des Zorns« (1939), 1943-44 Kriegsberichterstatter im Zweiten Weltkrieg in Europa, 1952-59 vier ausgedehnte Europareisen, 1967 Indochinareise und Reportagen über den Vietnamkrieg.
Würdigung der preisgekrönten Leistung
Wenn John Steinbeck die kleinen Farmer und armen Wanderarbeiter in seinen Romanen Elend und tägliche Mühsal durchleben lässt, dann kommen seine lebensnahen Schilderungen nicht von ungefähr, sondern entspringen seinen eigenen Erfahrungen. Denn als er zu Beginn seiner Karriere noch nicht von der Schriftstellerei leben kann, hält er sich mit harter Arbeit über Wasser: als Hilfsarbeiter auf Farmen und Ranches, als Handlanger auf Baustellen, als Obstpflücker, Hausmeister oder Fischer. Er schläft mit den Arbeitern in schäbigen Baracken, klagt über das miserable Essen, über Rückenschmerzen vom Säckeschleppen und über völlige Erschöpfung. Doch gleichzeitig kann sich Steinbeck eine umfangreiche Materialsammlung anlegen, die es ihm später ermöglichen wird, ungewöhnlich authentisch über den Alltag des kleinen Mannes zu berichten und damit Partei für die Armen und Unterdrückten zu ergreifen.
Als Sohn eines deutschstämmigen Mühlenbesitzers und Angestellten der regionalen Finanzverwaltung wächst John Steinbeck in wohlsituierten Verhältnissen auf. Doch bereits während seines Literaturstudiums an der Stanford University kommt er mit der Welt der einfachen Arbeiter in Berührung, als er sich in den Semesterferien als Hilfsarbeiter auf Farmen, Baustellen und in Fabriken etwas dazuverdient. 1925 verlässt er die Universität ohne Abschluss, es zieht ihn in die Glamourwelt von New York, wo er hofft, als Reporter Erfolg zu haben. Doch seine journalistischen Versuche sind so wenig erfolgreich, dass er sich nur als Bauarbeiter mühsam über Wasser halten kann, und enttäuscht kehrt er 1926 nach Kalifornien zurück.
Hier beginnt er regelmäßig zu schreiben und findet 1930 einen Verleger für »Eine Handvoll Gold«, einen schwülstigen Roman über den Piraten Henry Morgan, den Steinbeck selbst als wenig gelungen empfindet. Doch solch exotische Stoffe gibt er schon bei seinen nächsten beiden Werken »Das Tal des Himmels« (1932) und »Der fremde Gott« (1933) auf und wendet sich mit dem harten Schicksal der Landbevölkerung sozialkritischeren Themen zu.
Den ersten Erfolg bei Kritikern und Publikum hat John Steinbeck 1935 mit »Tortilla Flat«, einem Schelmenroman mit humorvollen Episoden aus dem Leben mexikanisch-indianischer Siedler in Kalifornien — ein Lesestoff, der der durch die Wirtschaftskrise gebeutelten US-Bevölkerung eine willkommene Aufheiterung bietet.
Das Heer der Besitzlosen
Seit der Börsenkrach 1929 die große Depression ausgelöst hat, haben sich vor allem die Lebensbedingungen der Arbeiter und Farmer dramatisch verschlechtert. Insbesondere in der von Wirbelstürmen und Dürren heimgesuchten »Dust Bowl«, der Staubschüssel des mittleren Westens, verlassen die kleinen Farmer und Landpächter zu Tausenden ihre Höfe, um entlang der legendären Route 66 ins gelobte Land Kalifornien zu ziehen.
Doch auch hier fristen die »Okies« und »Arkies«, wie die Einwanderer spöttisch nach ihren Heimatstaaten Oklahoma und Arkansas genannt werden, kaum ein besseres Dasein. Sie leben am Existenzminimum, schlagen sich als miserabel bezahlte Wanderarbeiter auf den Obstplantagen durch, leben unter katastrophalen hygienischen Bedingungen in provisorischen Zeltlagern am Straßenrand, wo nicht wenige von ihnen an Unterernährung, Erschöpfung oder Epidemien sterben.
Mit »Stürmische Ernte« (1936), einem Roman über den Streik von Wanderarbeitern, und »Von Mäusen und Menschen« (1937), der tragischen Geschichte zweier Landarbeiter, die von einem eigenen Hof träumen, stellt sich Steinbeck dann endgültig auf die Seite der ausgebeuteten Arbeiter. Die Armut, soziale Ungerechtigkeit und Entwurzelung der Wirtschaftskrisenzeit zeigt er jedoch am eindringlichsten in seinem wichtigsten Roman »Früchte des Zorns« (1939). Exemplarisch für das Heer der Besitz- und Heimatlosen schildert Steinbeck das Schicksal der Familie Joad, die wie viele Farmpächter in Oklahoma ihren Hof aufgeben muss und sich voller Hoffnung mit ihrem schrottreifen Lastwagen auf den Weg nach Kalifornien macht. Doch die Reise wird lang und beschwerlich, die Großeltern sterben und in Kalifornien angekommen können sich die Joads nur mit Gelegenheitsarbeiten vor dem Verhungern bewahren, während sich der Familienverband langsam auflöst. Dennoch kämpfen sie weiter gegen Mutlosigkeit und Verzweiflung und setzen dem Elend ihr Mitgefühl und ihre Menschlichkeit entgegen.
»Früchte des Zorns« wird sofort ein Bestseller und im darauf folgenden Jahr mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet und von John Ford mit Henry Fonda in der Hauptrolle verfilmt. Die damit verbundene Popularität und der Medienkult sind Steinbeck allerdings unangenehm und er kann sich deshalb über die finanzielle Unabhängigkeit nicht recht freuen. Von vielen wird das Buch auch als proletarischer Protestroman gelesen, was dem Autor vonseiten konservativer Antikommunisten heftige Angriffe einbringt, er sympathisiere mit dem Sozialismus.
Die nächsten Lebensjahre Steinbecks sind von zunehmender Ruhelosigkeit geprägt. Er lässt sich von seiner ersten Frau Carol scheiden, geht eine zweite Ehe ein und übersiedelt nach New York. 1943 geht er als Kriegsreporter für die »New York Herald Tribune« nach Europa. Er wird zweimal Vater (1944 und 1946), zieht 1944 nach Kalifornien und ein Jahr später wieder zurück nach New York. Mit »Straße der Ölsardinen«, nostalgisch anmutenden Episoden aus den Fischkonservenfabriken von Monterey, knüpft er noch einmal an die humorvollen Geschichten von »Tortilla Flat« an. Es folgen Reisen nach Mexiko (1945), Nordeuropa (1946) und mit dem Fotografen Robert Capa in die Sowjetunion (1947), die nächste Scheidung und seine dritte Ehe.
1952 gelingt Steinbeck mit »Jenseits von Eden«, das er als sein »Marathonbuch« und Lebenswerk bezeichnet, noch einmal ein Bestseller. Im Mittelpunkt dieser drei Generationen umfassenden Familiensaga steht das alttestamentarische Kain-und-Abel-Thema, in das Adam Trask und seine Zwillingssöhne Aron und Caleb verstrickt sind. Kernthema des Werks ist die individuelle Entscheidungsfreiheit zwischen Gut und Böse, an der einige der Charaktere scheitern, andere aber wachsen. Auch die Verfilmung dieses Steinbeck-Romans durch Elia Kazan wird ein Erfolg und durch den Hauptdarsteller James Dean zum Kultfilm.
Späte Auszeichnung
Doch auch wenn Steinbeck beim Lese- und beim Kinopublikum lange Zeit große Popularität genießt, überrascht es doch viele, als ihm 1962 der Literaturnobelpreis verliehen wird, denn zu diesem Zeitpunkt hat er seinen schriftstellerischen Zenit schon seit einem Jahrzehnt überschritten. Und schließlich wird ihm seine eigene Befürchtung zum Schicksal: Wie vielen anderen Literaturnobelpreisträgern gelingt es auch ihm nach der Ehrung bis zu seinem Tod 1968 nicht mehr, etwas Bedeutendes zu veröffentlichen.
S. Straub
Universal-Lexikon. 2012.