Gratian,
eigentlich Flavius Gratianus, römischer Kaiser (367-383), * Sirmium (heute Sremska Mitrovica) 18. 4. 359, ✝ Lugdunum (heute Lyon) 25. 8. 383. Mit acht Jahren zum Augustus ausgerufen, übernahm er nach dem Tod seines Vaters Valentinian I. (375) die Herrschaft über das Westreich. Nach einem Sieg über die Alemannen beim heutigen Colmar eilte er seinem Onkel Valens, dem Augustus des Ostens, gegen die Goten zu Hilfe, kam aber zu spät. Zum Nachfolger des bei Adrianopel gefallenen Valens ernannte er Theodosius I. Zunächst stand Gratian, bestärkt durch seinen Lehrer Ausonius, in guten Beziehungen zum heidnischen Senatsadel. Seit 378 geriet er jedoch zunehmend unter den Einfluss des Bischofs Ambrosius von Mailand. Er legte den Titel des Pontifex maximus ab, ließ den Victoria-Altar aus der Senatskurie entfernen und entzog den heidnischen Priesterkollegien die staatlichen Mittel. Auch gegen die Anhänger der nichtnicän. Glaubensrichtungen ging er vor. Die Bevorzugung der alanischen Bogenschützen entfremdete ihm die übrigen Truppen, die ihn im Kampf gegen den Usurpator Maximus im Stich ließen. Auf der Flucht wurde er ermordet.
M. Fortina: L'imperatore Graziano (Turin 1953).
II
Gratian,
Gratianus, italienischer Theologe und Kanonist, * Ende des 11. Jahrhunderts, ✝ Bologna vor 1160; Kamaldulenser und Lehrer der Theologie im Kloster Sankt Felix und Nabor in Bologna. Zur gleichen Zeit, als in Bologna eine wissenschaftliche Schule des römischen Rechts entstand, lehrte Gratian Kirchenrecht. Als Unterrichtsmittel verfasste er um 1140 ein nach scholastischer Methode angelegtes Lehrbuch, das »Decretum Gratiani«, in dem er eine Sammlung des Kirchenrechts (etwa 3 800 Texte) durch eigene Erläuterungen verband (»dicta Gratiani«). Gratian wurde damit zum »Vater der Kanonistik«.
Studia Gratiana, hg. v. J. Forchielli u. a., auf mehrere Bde. ber. (Bologna 1953 ff.);
H. E. Feine: Kirchl. Rechtsgesch. Die kath. Kirche (51972).
Universal-Lexikon. 2012.