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öffentliches Recht
öffentliches Recht,
 
lateinisch Ius publicum, der vom Privatrecht unterschiedene Teil der Rechtsordnung. - Die Einteilung der Rechtsnormen (v. a. der Gesetze) und der darauf beruhenden Rechtsakte (v. a. Willenserklärungen, Verträge, Entscheidungen) in solche des öffentlichen Rechts und des Privatrechts entspricht kontinentaleuropäischer Tradition. In Deutschland bauen Gerichtsorganisation und -zuständigkeit auf dieser Unterscheidung auf; privatrechtliche Streitigkeiten werden von den ordentlichen Gerichten (Zivilgerichten) und Arbeitsgerichten, öffentlich-rechtliche vorwiegend von den Verfassungs- und Verwaltungsgerichten sowie den Finanz- und Sozialgerichten entschieden. In der Sache zielt das öffentliche Recht als das »Sonderrecht des Staates« darauf ab, die staatliche Tätigkeit im Allgemeininteresse zu ermöglichen, aber auch den Schutz der Bürger vor Missbrauch der Staatsgewalt zu gewährleisten. Während für das Privatrecht, das den Verkehr der Bürger untereinander und der privatrechtlichen Verbände und Gesellschaften zum Gegenstand hat, der Grundsatz der Vertragsfreiheit (Privatautonomie) und der gleichrangige Schutz der Rechte typisch sind, ist das öffentliche Recht durch die einseitige Anordnungsgewalt des Staates in den Handlungsformen des Gesetzes und des Verwaltungsakts, aber auch durch die besonderen Bindungen des Staates an die Grundrechte und an rechtsstaatliche Anforderungen gekennzeichnet.
 
Die genaue Abgrenzung beider Rechtsgebiete ist bis heute nicht völlig gelungen. Nach der »Interessenlehre« wollen die Privatrechtsnormen in erster Linie dem Interesse des Einzelnen, die öffentlich-rechtlichen Normen dem Allgemeininteresse dienen. Die »Subordinationslehre« stellt auf das mit der einseitigen Entscheidungsbefugnis staatlicher Stellen gegebene Element der Über- und Unterordnung im Gegensatz zur privatrechtlichen Gleichordnung ab. Die heute vorherrschende »Sonderrechtslehre« knüpft formal daran an, ob eine Rechtsnorm ein Rechtsverhältnis regelt, an dem notwendig der Staat beteiligt ist (deren »Zuordnungssubjekt also ausschließlich ein Träger staatlicher Gewalt ist«). Die Anwendung dieser Theorien wird auch dadurch erschwert, dass der Staat sich traditionell des Privatrechts bedienen und sogar in privatrechtlichen Organisationsformen (AG, GmbH) tätig werden darf. Soweit er dabei öffentliche Aufgaben wahrnimmt, spricht man hierbei vom Bereich des »Verwaltungsprivatrechts«; bei bloßem Einkauf oder bloß erwerbswirtschaftliche Betätigung (z. B. gemeindliche Bierbrauerei) handelt es sich um fiskalische Tätigkeit, die nach umstrittener Auffassung nicht der Grundrechtsbindung unterliegt.
 
Hauptgebiete
 
des öffentlichen Rechts sind neben dem Völkerrecht und Europarecht (Recht der Europäischen Gemeinschaften) sowie dem traditionell dazu gezählten Kirchenrecht das Staats- und Verwaltungsrecht, ferner das Strafrecht, Gerichtsverfassungs- und Prozessrecht. Einige Rechtsgebiete umfassen zugleich öffentliches und Privatrecht (Arbeitsrecht, Sozialrecht, Jugendrecht u. a.).
 
Rechtsquellen
 
des öffentlichen Rechts sind - im innerstaatlichen Bereich - Verfassung, Gesetze, Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften, Satzungen, Gewohnheitsrecht, Richterrecht sowie staatsrechtliche und verwaltungsrechtliche Verträge (z. B. völkerrechtliche Verträge zwischen zwei Staaten, Verträge zwischen Gemeinden über gemeinsame Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe). Rechtsverhältnisse des öffentlichen Rechts können unmittelbar durch Rechtssatz (z. B. Gesetz), durch Verwaltungsakt, Urteil oder Vereinbarung (besonders zwischen gleich geordneten Trägern hoheitlicher Gewalt, z. B. den Bundesländern) begründet werden. Für das öffentliche Recht gelten allgemein gleiche Auslegungsregeln wie im Privatrecht. Fehlerhafte Individualakte (Verwaltungsakte) sind aus Gründen der Rechtssicherheit gültig, können aber von dem Betroffenen vor Gericht angegriffen werden; bei schweren Verstößen sind sie ausnahmensweise nichtig. Rechtsnormen (Gesetze, Verordnungen, Satzungen) sind bei Rechtswidrigkeit in aller Regel nichtig; verbindlich können dies allerdings nur die Gerichte feststellen. Bei rechtsgeschäftlichem Handeln gelten die allgemeinen, aus dem Privatrecht bekannten Rechtsgrundsätze.
 
Geschichte:
 
Die Unterscheidung von öffentlichem Recht und Privatrecht bildete sich mit der Entstehung des modernen Territorialstaats im Absolutismus heraus und fand dann v. a. im Dualismus von Staat und Gesellschaft des liberalen Zeitalters ihre Grundlage. Im Lauf des 18. Jahrhunderts wurde unter dem Einfluss des Vernunftrechts ein allgemeines Staatsrecht als voll ausgeformtes Teilsystem dem Privatrecht gegenübergestellt. In der Folgezeit bildeten sie sich als gesonderte Rechtskategorien zu abgeschlossenen und abgegrenzten Systemen mit eigenen Regeln heraus.
 
Auch das österreichische und schweizerische Recht gehen von der Zweiteilung der Rechtsordnung in privates und öffentliches Recht aus. Die österreichische Rechtsprechung vertritt keine einheitliche Linie und bezieht sich nie ausdrücklich auf eine der genannten Abgrenzungstheorien. In der jüngeren Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes setzt sich aber zunehmend die Auffassung durch, dass primär die historisch überkommene Zugehörigkeit einer Rechtsmaterie für ihre Zuordnung zum öffentlichen oder privaten Recht maßgebend ist. Die schweizerische Rechtsprechung bestimmt die Zugehörigkeit einer Rechtsbeziehung zum öffentlichen Recht oder Privatrecht nicht nach einem einheitlichen Kriterium, sondern bedient sich mehrerer Abgrenzungskriterien (Methodenpluralismus: Subordinationstheorie, Interessentheorie, Funktionstheorie).
 
Literatur:
 
W. Burckhardt: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft (Zürich 21944, Nachdr. ebd. 1971);
 Detlef Schmidt: Die Unterscheidung von privatem u. ö. R. (1985);
 H.-W. Arndt u. W. Rudolf: Ö. R. (111996).

Universal-Lexikon. 2012.