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Sozialhilfe
Stütze (umgangssprachlich); Sozialfürsorge; soziale Grundsicherung

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So|zi|al|hil|fe [zo'ts̮i̯a:lhɪlfə] die; -, -n:
1. (früher) Gesamtheit der finanziellen u. a. Hilfen für Menschen in einer Notlage:
sie lebt von Sozialhilfe.
Syn.: Stütze (ugs.).
2. finanzielle Hilfe für Erwerbsunfähige und länger Kranke.

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So|zi|al|hil|fe 〈f. 19; unz.〉 Gesamtheit aller staatlichen Hilfen für Menschen in (materieller) Notlage

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So|zi|al|hil|fe, die:
Gesamtheit der Hilfen, die einem Menschen in einer Notlage die materielle Grundlage für eine menschenwürdige Lebensführung geben soll.

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Sozialhilfe,
 
gegenüber den Sozialversicherungen und der Versorgung (z. B. Kriegsopfer-, Soldaten-, Beamtenversorgung) nachrangige Leistung des Staates u. a. Träger, die Lücken in der sozialen Sicherung schließen oder in schwer normierbaren Gefährdungs- und Notlagen Hilfe gewähren soll. Rechtsgrundlage ist das Bundessozialhilfegesetz, Abkürzung BSHG, vom 30. 6. 1961 in der Fassung vom 23. 3. 1994 (wurde insbesondere durch das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. 6. 1996 geändert), welches das ältere Fürsorgerecht in materieller und verfahrensmäßiger Hinsicht zusammenfasst. Es behält die Grundsätze der Fürsorge bei, entwickelt sie aber an einigen Stellen gemäß den gewandelten gesellschaftspolitischen Verhältnissen und Anschauungen weiter. So wurde das System der immateriellen Hilfen ausgebaut, der Hilfeanspruch klarer gefasst (Rechtsanspruch, der bei Ausländern eingeschränkt ist) und der Grundsatz eingeführt, den Hilfsbedürftigen an der Gestaltung des Hilfeprozesses zu beteiligen. Ziel ist es, ein der Würde des Menschen entsprechendes Leben zu führen (§ 1 Absatz 2 BSHG). Charakteristisch für die deutsche Sozialhilfe ist die Zweigleisigkeit: sie umfasst Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU) und Hilfe in besonderen Lebenslagen (HBL). Das BSHG unterscheidet Ist-, Kann- und Sollleistungen. Auf Istleistungen wie z. B. die Krankenhilfe besteht ein Rechtsanspruch, sie müssen erbracht werden. Über Kannleistungen entscheidet der Träger in pflichtgemäßem Ermessen. Sollleistungen dürfen nur verweigert werden, wenn dies besondere Gründe rechtfertigen.
 
Grundsatz der Leistungsgewährung ist die Orientierung am individuellen Bedarf. Zahlreiche Leistungen im Rahmen der HLU sind durch Regelsätze für jeden Haushaltsangehörigen standardisiert. Zusätzlich können in speziellen Bedarfssituationen (z. B. Personen über 65 Jahre, Alleinerziehende, Behinderte) Mehrbedarfszuschläge zwischen 20 % und 60 % der Regelsätze bei den Sozialämtern beantragt werden. Im Bedarfsfall werden auch die laufenden Kosten für die Unterkunft (Miete und Heizkosten) sowie einmalige Beihilfen (z. B. Wintermantel) bezahlt. Sozialhilfe wird nachrangig gewährt, d. h., vor etwaigen staatlichen Geldleistungen hat der Hilfe Suchende eigenes Einkommen und Vermögen (ausgenommen geringfügige Ersparnisse, rd. 2 500 DM, und das angemessene selbst bewohnte Hausgrundstück) einzusetzen sowie Unterhaltsansprüche gegenüber Kindern, Eltern oder geschiedenen Ehegatten geltend zu machen. Im Gegensatz zum Kindergeld und zu anderen Sozialleistungen darf das Erziehungsgeld nicht auf den Sozialhilfeanspruch angerechnet werden. Ist der Hilfeempfänger arbeitsfähig, muss er dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Sozialhilfe muss in der Regel nicht zurückgezahlt werden. Der Regelsatz für den Haushaltsvorstand oder Alleinstehende (Eckregelsatz) beträgt (Stand 1. 7. 1997) durchschnittlich 538 DM monatlich (neue Länder: 519 DM), die Sätze für Familienangehörige sind geringer. Die Höhe wird jährlich angepasst. - Sozialhilfe muss bei den örtlichen Sozialämtern beantragt werden.
 
Während die HLU ausschließlich in Form von Geld geleistet werden, stehen bei den HBL die Sachleistungen (soziale Dienstleistungen) im Vordergrund. Sie sollen nach den Vorstellungen des Gesetzgebers die eigentlich neue Qualität der Sozialhilfe ausmachen, die auch in der Ablösung des Begriffes »Fürsorge« im Bundessozialhilfegesetz zum Ausdruck gebracht werden sollte. Sie sollen Hilfen v. a. in Form persönlicher Dienstleistungen in besonderen Notlagen bereitstellen: Hilfen zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage, vorbeugende Gesundheitshilfen (z. B. Kuren), Krankenhilfe (für Hilfeempfänger ohne Krankenversicherung), Hilfe zur Familienplanung, Hilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen, Eingliederungshilfe für Behinderte, Blindenhilfe, Hilfe zur Pflege bei krankheitsbedinger Hilflosigkeit (für Hilfsbedürftige ohne Pflegeversicherung z. B. Pflegegeld), Hilfe zur Weiterführung des Haushaltes, Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (z. B. für Obdachlose oder Haftentlassene), Altenhilfe (Altenberatung, Hilfen bei der Wohnungssuche). Die Vorschriften über den Einsatz eigenen Einkommens und Vermögens sind bei den HBL weniger streng. - Das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. 7. 1996 (in Kraft ab 1. 8. 1996) zielt u. a. darauf, missbräuchliche Inanspruchnahme von Sozialhilfe zu bekämpfen, einen angemessenen Abstand zwischen Einkommen aus Sozialhilfe und aus Erwerbstätigkeit zu wahren sowie mehr Anreize zur Arbeitsaufnahme von Sozialhilfeempfängern zu schaffen. Die Sozialhilfeträger können z. B. als Hilfe zur Wiedereingliederung von Sozialhilfeempfängern in den Arbeitsmarkt Zuschüsse an den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer leisten. Bei Verweigerung zumutbarer Arbeit hat das Sozialamt den Regelsatz um mindestens 25 % zu kürzen. Die Anpassung der Regelsätze wurde neu gefasst und die Voraussetzungen für eine Anhebung der Arbeitsentgelte von Behinderten, die in Werkstätten arbeiten, geschaffen. Der automatisierte Datenabgleich zwischen Sozialamt u. a. Behörden der jeweiligen Kommunalverwaltung (z. B. Kfz-Zulassungsstelle) wurde erlaubt.
 
Träger
 
der Sozialhilfe sind die kreisfreien Städte und die Landkreise sowie die von den Ländern bestimmten überörtlichen Träger (in Nordrhein-Westfalen die Landschaftsverbände), die auch die Kosten zu übernehmen haben, soweit nicht eine andere Kostenträgerschaft vorrangig ist, z. B. die Kranken- oder Arbeitslosenversicherung. Die Träger der Sozialhilfe sollen die Wohlfahrtsverbände in ihrer Arbeit unterstützen und können bestimmte Aufgaben an sie delegieren. Als Folge des Subsidiaritätsprinzips haben die staatlichen Träger den Wohlfahrtsverbänden den Vorrang zu lassen, wenn diese bestimmte Dienstleistungen bereits anbieten.
 
Sozialpolitische Bedeutung:
 
Veränderte gesellschaftliche Bedingungen wie die andauernde Massenarbeitslosigkeit, die steigende Zahl Alleinerziehender und älterer Frauen mit geringer Rente, der größer werdende Anteil hilfsbedürftiger ausländischer Mitbürger sowie die zunehmende Pflegebedürftigkeit haben einen Funktionswandel bewirkt. Die Sozialhilfe hat heute die Funktion einer allgemeinen Grundsicherung und ist zu einem wichtigen Instrument staatlicher Armutspolitik geworden. Der Wandel von der individuellen Hilfe in Notlagen zur Massensicherung drückt sich v. a. in den ständig wachsenden Empfängerzahlen für die HLU aus.
 
Kritisch wird zu den Zahlen der amtlichen Sozialhilfestatistik angemerkt, dass sie ein überhöhtes Armutspotenzial ausweise, da z. B. ein großer Teil der Empfänger (v. a. die jüngeren) nur kurzfristig Sozialhilfe beziehe. Dieser eventuellen Überzeichnung des Armutsproblems durch die Statistik steht andererseits eine beachtliche Dunkelziffer von Anspruchsberechtigten gegenüber, die aus Unwissenheit oder Scham keine Sozialhilfe beantragen. Entsprechend der zunehmenden Bedeutung der Sozialhilfe als soziales Sicherungsinstrument vollzog sich ein Ausgabenanstieg bei den Trägern, überwiegend den Gemeinden, der 1995 zu Gesamtausgaben von 52,2 Mrd. DM führte (davon HLU 18,8 Mrd. DM und HBL 33,4 Mrd. DM, größter Anteil unter den HBL die Pflegehilfen mit 16,4 Mrd. DM). 1996 sanken die Ausgaben für HBL v. a. durch die Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung und die »Deckelung« der Pflegesätze.
 
In Österreich ist das BSHG Vorbild für die Reform der Fürsorge gewesen. Da ein einheitliches Bundesgesetz fehlt, wurden länderspezifische Regelungen erlassen, z. B. das Wiener Sozialhilfegesetz von 1973 in der Fassung von 1993 oder das Oberösterreich. Sozialhilfegesetz von 1973 in der Fassung von 1995. - In der Schweiz obliegt den Gemeinden und Kantonen die Fürsorge Bedürftiger. Entsprechende Zahlungen spielen infolge der zunehmenden Langzeitarbeitslosigkeit eine immer größere Rolle. Die Alters- und Hinterlassenenversicherung sowie die Invalidenversicherung sehen für Rentenberechtigte Ergänzungsleistungen vor, die ein Mindesteinkommen garantieren sollen.
 
 Geschichte
 
Durch die Säkularisationen der Reformationszeit sahen sich zunächst die Reichsstädte (vorbildliche Lösungen in Nürnberg 1521, Straßburg 1522), später auch die Landesfürsten vor die Aufgabe gestellt, die Armen- (und Kranken-)Pflege staatlich zu organisieren (»Gemeines Almosen«, »Allgemeiner Armenkasten« u. Ä.). Mit den großen Mitteln der bisher geistlichen Stiftungen übernahm man auch deren Verpflichtungen. Daneben blieb die vielgliedrige Fürsorge der Zünfte und Genossenschaften als Selbstverwaltung bestehen. Die Unterstützung wurde durch ehrenamtliche Armenpfleger individuell ausgegeben. Neben dieser Hausarmenpflege bestand auch weiterhin die alte Form der Anstaltspflege in den Hospitälern. Nach Reformversuchen im 17. und 18. Jahrhundert brachte die Aufklärungszeit im Hamburger System 1788 die vollkommene Ausbildung dieser herkömmlichen »anstaltlichen Armenpflege« (Einteilung der Stadt in Quartiere, ehrenamtlicher Pfleger, Arbeitsbeschaffung für die arbeitsfähigen, Versorgung der nichtarbeitsfähigen Armen, Ausbau der Armenkinder-Fürsorge). Mit der Französischen Revolution wurde der Grundsatz der Staatsarmenpflege für alle europäischen Länder wegweisend. Zu gleicher Zeit entstanden auch die Organisationen der privaten Fürsorge, zunächst auf christlicher Grundlage (Erweckungsbewegung). Das Elberfelder System 1853 baute in die behördliche Organisation nochmals die freiwillige Fürsorgearbeit ein, indem es ehrenamtlichen Armenpflegern die Entscheidung über die Unterstützung übertrug. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Armenamt zur zentralen Unterstützungsbehörde, die den Hilfsbedürftigen einem ehrenamtlichen Pfleger oder einem Berufsbeamten zuwies (Straßburger System, 1904). Die Fürsorgegesetze der Weimarer Republik erweiterten Aufgabe und Zielsetzung der Sozialhilfe gemäß dem sich verbreitenden Sozialstaatsprinzip. Mit der neuen Sozialhilfegesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland ist die öffentliche Verpflichtung zur Hilfeleistung fest verankert, der Formenkatalog der Hilfeleistungen erweitert und die Mitbestimmung des Hilfsbedürftigen im Hilfeprozess verstärkt worden.
 
Literatur:
 
G. Wenzel u. S. Leibfried: Armut u. S.-Recht (1986);
 
Das Bundessozialhilfe-Ges. Ein Komm., begr. v. W. Schellhorn u. a. (131988);
 Bundessozialhilfe-Ges. Komm., bearb. v. O. Mergler u. a., Losebl. (41994 ff.);
 
Zeit der Armut, Beitrr. v. S. Leibfried u. a. (21995);
 
Bundessozialhilfe-Ges. Vorschriften-Slg.. .., begr. v. O. Mergler, bearb. v. E. Grossmann (371997).

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So|zi|al|hil|fe, die: Gesamtheit der Hilfen, die einem Menschen in einer Notlage die materielle Grundlage für eine menschenwürdige Lebensführung geben soll.

Universal-Lexikon. 2012.