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Oktoberrevolution
Ok|to|ber|re|vo|lu|ti|on 〈[ -vo-] f. 20; unz.〉 bolschewist. Revolution vom 25./26. Oktober 1917 in Russland (im offiziellen Sprachgebrauch der DDR: Große Sozialistische \Oktoberrevolution)

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Ok|to|ber|re|vo|lu|ti|on, die <o. Pl.>:
politisch-soziale Umwälzung im zaristischen Russland, eingeleitet durch die Machtübernahme durch die Bolschewiki am 25. Oktober 1917 (nach dem julianischen Kalender).

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I
Oktoberrevolution
 
Die »Doppelherrschaft« zwischen Petrograder Sowjet und Provisorischer Regierung nach der Februarrevolution 1917 drückte auch das Verhältnis zwischen den Vertretern des Volkes und den Repräsentanten der »Gesellschaft« aus. Kam es zunächst zu einer begrenzten Zusammenarbeit, so wurde bald offensichtlich, dass es der Regierung sowie den hinter ihr stehenden liberalen und gemäßigt-konservativen Parteien nicht gelingen würde, die drängenden Probleme des Landes zu lösen. Die Lebensmittelversorgung konnte kaum verbessert werden. Die Agrarreform, die den Bauern mehr Land auf Kosten der adligen Gutswirtschaften bringen sollte, wurde ebenso vertagt wie die Nationalitätenfrage oder der Friedensschluss. Man wollte diese grundlegenden Entscheidungen der Verfassunggebenden Nationalversammlung überlassen. Deren Wahl wurde jedoch immer wieder hinausgeschoben, sodass im Volk das Misstrauen gegenüber der Regierung wuchs.
 
Im April 1917 kam es zu einer ersten schweren Krise. Die Sozialrevolutionäre, eine sozialistische Partei, die vor allem unter den Bauern Anklang fand, und die Menschewiki (»Minderheitler«), der gemäßigte Flügel der russischen Sozialdemokratie, entschlossen sich, Vertreter in die umgebildete Regierung zu entsenden. Da beide Organisationen die Mehrheit in den Sowjets stellten, war das bisherige Prinzip der »Doppelherrschaft« durchbrochen. Die Kluft zwischen »Gesellschaft« und Volk hätte vielleicht geschlossen werden können, wenn den Forderungen von Arbeitern, Bauern und Soldaten nun stärker entsprochen worden wäre. Da dies nicht der Fall war, gerieten Menschewiki und Sozialrevolutionäre mit der »Gesellschaft« in den Sog des Vertrauensschwundes. Im Juli, nachdem eine militärische Offensive gegen die Mittelmächte im Weltkrieg gescheitert war, entlud sich in Petrograd die Kritik in Streiks und Demonstrationen mit der Parole »Alle Macht den Sowjets«. Während sich der Petrograder Sowjet verweigerte, stellten sich die Bolschewiki (»Mehrheitler«), die radikalen Sozialdemokraten, an die Spitze der Proteste, obwohl sie den Zeitpunkt eines Umsturzes für verfrüht hielten. Die Regierung ließ die Demonstrationen gewaltsam auflösen und verbot die bolschewistische Partei.
 
Die Menschewiki und Sozialrevolutionäre verloren zunehmend Anhänger, die Bolschewiki erschienen neben einigen kleineren Gruppierungen als einzige Partei, die von Kompromissen mit der »Gesellschaft« unbelastet war. Dafür hatte nicht zuletzt Lenin (Wladimir Iljitsch Uljanow, 1870-1924) gesorgt, nachdem er im April aus dem Exil zurückgekehrt war. Die von den Bolschewiki unterstützten Losungen »Frieden - Land - Brot«, »Alle Macht den Sowjets« und »Arbeiterkontrolle in den Fabriken« drückten die zentralen Wünsche der Bevölkerung aus. Als Ende August Ministerpräsident Kerenski die Hilfe von Bolschewiki in Anspruch nehmen musste, um einen Putsch des Oberbefehlshabers Kornilow durch Massenaktionen niederzuschlagen, stieg deren Autorität. Es entstand gewissermaßen eine neue »Doppelherrschaft« zwischen den Massenbewegungen, die sich mehr und mehr von den Bolschewiki repräsentiert fühlten, und der Regierung.
 
Da Menschewiki und Sozialrevolutionäre die Übernahme der Macht durch die Sowjets ablehnten, drängte Lenin seit September seine Partei zum bewaffneten Aufstand. Das Zentralkomitee gab dem am 10. Oktober (nach dem julianischen Kalender) nach heftigen Auseinandersetzungen nach, zumal zahlreiche Betriebskomitees vor einer wachsenden Enttäuschung der Arbeiter über die zurückhaltende Politik der Partei gewarnt hatten. Inzwischen besaßen die Bolschewiki auch im Petrograder Sowjet die Mehrheit. Dieser wählte Leo Trotzki (Leib Bronschtein, 1879-1940) zum Vorsitzenden und bestimmte ein Mili tärisches Revolutionskomitee, um gegen einen befürchteten neuen gegenrevolutionären Putsch gerüstet zu sein.
 
Als die Regierung versuchte, die Aktivitäten der Bolschewiki und des Militärischen Revolutionskomitees zu behindern, ging dieses zur Offensive über. Am 25. Oktober besetzten Arbeiter und Soldaten alle wichtigen Gebäude in Petrograd und verhafteten die Regierung. Der am Abend zusammengetretene 2. Allrussische Sowjetkongress billigte den Umsturz. Die Minderheit aus Menschewiki und Sozialrevolutionären zog unter Protest aus. Am nächsten Tag verabschiedete der Kongress zwei Gesetze: Das eine enteignete den Gutsbesitz und übergab das Land den Bauern, das andere bot einen sofortigen Friedensschluss an. Darüber hinaus wurde die Wahl zur Nationalversammlung eingeleitet und die Provisorische Arbeiter- und Bauern-Regierung mit Lenin an der Spitze gebildet.
 
Auch die folgenden Maßnahmen entsprachen den Forderungen der Massenbewegungen. Neben den Bolschewiki traten nur die - abgespaltenen - Linken Sozialrevolutionäre in den Rat der Volkskommissare, wie man die Regierung nannte, ein. Koalitionsverhandlungen mit den Menschewiki und Sozialrevolutionären scheiterten. Erst jetzt erklärten die Bolschewiki die Revolution zur »sozialistischen« und setzten sich damit das Ziel, in planmäßiger Entwicklung einen grundlegenden gesellschaftlichen Umbau vorzunehmen.
II
Oktober|revolution,
 
die Machtübernahme der Bolschewiki im Jahre 1917 in Petrograd in der Nacht vom 25. auf den 26. Oktober (nach dem damals in Russland üblichen julianischen Kalender; nach dem heutigen gregorianischen Kalender: 7./8. November). Dieses Ereignis war der Höhepunkt einer mehrmonatigen revolutionären Entwicklung in Russland. Nach dem Sturz des Zaren durch die Februarrevolution (2./15. 3. Abdankung Kaiser Nikolaus' II.) war es der Provisorischen Regierung unter Ministerpräsident G. J. Lwow und Außenminister P. N. Miljukow nicht gelungen, die Kontrolle über das Land zu gewinnen. Der Petrograder Sowjet bildete in Konkurrenz zur Regierung ein Provisorisches Exekutivkomitee des Arbeiterrates; er behielt sich weitgehende Einwirkungsmöglichkeiten beim Militär (»Befehl Nummer 1 vom 1./14. 3.«) und in den Betrieben vor (so genannte Doppelherrschaft). Regierungsumbildungen, der Versuch einer Koalitionsregierung mit den Sozialrevolutionären (5./18. 5.) und die Ablösung Lwows durch A. F. Kerenskij (Juli) brachten nicht die erhoffte Wende.
 
Mit seiner in den Aprilthesen erhobenen Forderung »Alle Macht den Sowjets« leitete der mit deutscher Hilfe aus seinem Schweizer Exil zurückgekommene Lenin eine Gegenbewegung von unten ein, die den Bolschewiki bis zum Sommer zur Mehrheit in den Fabrikkomitees und in den Stadtteilsowjets in Petrograd verhalf und - nach dem Rückschlag durch den gescheiterten Juliaufstand - im Herbst die Führung im Petrograder und Moskauer Sowjet brachte. Am 25. 9./8. 10. wurde L. D. Trotzkij zum Präsidenten des Petrograder Sowjets gewählt und bereitete über das zur Abwehr »konterrevolutionärer« Gefahren gegründete »Militärrevolutionäre Komitee« den bewaffneten Aufstand vor, der auf einer Geheimsitzung des ZK am 10./23. 10. beschlossen worden war. Im Laufe des 24. und 25. 10. (6. und 7. 11.) besetzten Rotgardisten die strategisch wichtigsten Punkte der Stadt. Die 13 Minister der Provisorischen Regierung wurden in der Nacht vom 25. zum 26. 10. (7. zum 8. 11.) beim »Sturm auf den Winterpalast« (tatsächlich unspektakuläre Besetzung) verhaftet; Kerenskij war die Flucht aus Petrograd gelungen. Gegen den Protest der Menschewiki und der (rechten) Sozialrevolutionäre billigte noch in der gleichen Nacht der 2. Allrussische Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte den Alleingang der Bolschewiki und bildete bis zum Zusammentritt einer konstituierenden Versammlung eine provisorische Arbeiter- und Bauernregierung (»Rat der Volkskommissare«) unter dem Vorsitz Lenins. Moskau fiel erst nach blutigen Straßenkämpfen am 3./16. 11. in die Hand der Bolschewiki. Ein 1918 ausbrechender mehrjähriger Bürgerkrieg, in dem antibolschewistischen Kräfte (Weißgardisten) gegen die bolschewistische Rote Armee kämpften, und die militärische Intervention der ehemaligen ausländischen Verbündeten Russlands konnten die revolutionäre Entwicklung nicht mehr anhalten.
 
Der in der Sowjetunion und den anderen kommunistischen Staaten als »Große Sozialistische Oktoberrevolution« bezeichnete bolschewistische Aufstand stellte eine wichtige Zäsur in der Geschichte des 20. Jahrhunderts dar (Neuzeit, Ost-West-Konflikt) und leitete eine radikale politisch-soziale und wirtschaftliche Umwälzung in Russland ein. Im Ergebnis der Oktoberrevolution entstanden eine bolschewistische Einparteienherrschaft und der erste kommunistisch regierte Staat der Erde (1918 Gründung der »Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik«, aus der 1922 die Sowjetunion hervorging).
 
Literatur:
 
J. L. H. Keep: The Russian Revolution. A study in mass mobilization (London 1976);
 I. I. Minc: Istorija Velikogo Oktjabrja, 3 Bde. (Moskau 21977-79);
 
Die russ. Revolution 1917. Der Aufstand der Arbeiter, Bauern u. Soldaten. Eine Dokumentation, hg. v. R. Lorenz (1981);
 D. Geyer: Die Russ. Revolution (41985);
 B. Bonwetsch: Die russ. Revolution 1917. Eine Sozialgesch. von der Bauernbefreiung 1861 bis zum Oktoberumsturz (1991);
 R. Pipes: Die russ. Revolution, 3 Bde. (a. d. Amerikan., 1992-93);
 M. Hildermeier: Die russ. Revolution: 1905-1921 (41995);
 H. Altrichter: Staat u. Revolution in Sowjetrußland 1917-1922/23 (21996);
 H. Altrichter: Rußland 1917. Ein Land auf der Suche nach sich selbst (1997).

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Ok|to|ber|re|vo|lu|ti|on, die <o. Pl.>: politisch-soziale Umwälzung im zaristischen Russland, eingeleitet durch die Machtübernahme durch die Bolschewiki am 25. Oktober 1917 (nach dem julianischen Kalender).

Universal-Lexikon. 2012.