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Bauernbefreiung
I
Bauernbefreiung,
 
heute übliche Bezeichnung für die Lösung der Bauern aus allen herrschaftlichen Bindungen durch die Agrarreformen im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts. Der Ausdruck Bauernbefreiung wurde Ende des 19. Jahrhunderts geprägt; die zeitgenössische Gesetzgebung im deutschsprachigen Raum verwandte, wenn es sich um die Auflösung gutsherrschaftlicher Verhältnisse handelte, meist den Begriff Regulierung, bei der Auflösung grundherrschaftlicher Verhältnisse sprach sie von Ablösung. Die Bauernbefreiung umfasste a) die persönliche Befreiung aus der Leibeigenschaft oder Erbuntertänigkeit, b) die Grundentlastung, d. h. die Auflösung der Grundherrschaft oder der Gutsherrschaft, c) die Aufhebung der Gerichtsherrschaft (Patrimonialgerichtsbarkeit), d) die Ablösung des Zehnten und anderer herrschaftlicher Berechtigungen. Die Bauernbefreiung wurde teils revolutionär (Frankreich), in der Regel aber durch staatliche oder grundherrschaftliche Reformen durchgeführt. Damit wurden die bäuerlichen Lasten (Geld- und Naturalleistungen, Frondienste) zumeist gegen festgesetzte Entschädigungen (in Land oder Geld) aufgehoben. Die Grundherren verloren die Grundlage ihrer bisherigen Lebenshaltung. Dort, wo größere Gutswirtschaften bestanden (z. B. in Ostdeutschland und im östlichen Mitteleuropa), musste die Arbeitsverfassung vom Frondienst der Bauern auf landwirtschaftliche Lohnarbeiter umgestellt werden. Die Bauernbefreiung war im Zusammenhang mit den Separationen (Verkoppelungen und Gemeinheitsteilungen) die Voraussetzung für die Steigerung der agrarischen Produktivität in der rationellen Landwirtschaft. Im Kern bedeutet sie die Hineinstellung auch des Bauern in die liberale Marktverfassung und ist insofern ein Teil der großen liberalen Reformen dieser Zeit. Verbunden war damit die Ersetzung bisheriger Standessonderrechte durch eine allgemeine gleiche Staatsbürgerschaft.
 
Geschichte:
 
Die erste Bauernbefreiung wurde 1761/71 in Savoyen durchgeführt. Schon vor 1789 kam es in Deutschland unter einzelnen Fürsten des aufgeklärten Absolutismus zu Ansätzen der Bauernbefreiung: so wurde in Brandenburg-Preußen unter Friedrich Wilhelm I. (1718/19) und Friedrich II., der Große, (1777) versucht, durch teilweise Eigentumsverleihung und Aufhebung der Erbuntertänigkeit der Domänenbauern u. a. auch die Peuplierungs- und Rekrutierungspolitik zu sichern. - In Österreich begann Maria Theresia mit Reformen, die unter Joseph II. verstärkt fortgesetzt wurden: Aufhebung der Leibeigenschaft 1781 und Beginn der Ablösung grundherrlicher Lasten 1789 (nach Josephs II. Tod durch Leopold II. wieder rückgängig gemacht). Bis 1848 stockte der Reformprozess und wurde dann überstürzt zu Ende geführt. - Baden hob 1783 die hier besonders wichtige Leibherrschaft auf.
 
In Frankreich, wo die Leibeigenschaft auf den königlichen Domänen 1779 beseitigt worden war, wurden die persönlichen Lasten im Zuge der Französischen Revolution am 4. 8. 1789 ohne Ablösung beziehungsweise Entschädigung aufgehoben. Durch die Französische Revolution wiederum wurde in Deutschland allgemein die Bauernbefreiung beschleunigt. Zunächst handelte es sich v. a. um die persönliche Befreiung im Sinne einer (in der Regel entschädigungslosen) Aufhebung aller personellen Bindungen und Leistungen; noch nicht oder nur in Anfängen um die Grundentlastung, z. B. in Bayern 1808 und in Württemberg 1817. Besonders umfassend und folgenschwer war die Bauernbefreiung in Preußen in der Zeit von 1799 bis 1816. Die Gutsuntertänigkeit sämtlicher Bauern der Monarchie in dem durch den Tilsiter Frieden belassenen Umfang wurde im Rahmen der Steinschen Reformen durch das Edikt vom 9. 10. 1807 aufgehoben. 1811 und 1816 wurde unter K. A. von Hardenberg die Ablösung der Gutsherrschaft für die Groß- und Mittelbauern verordnet, die ihre Entschädigungen grundsätzlich durch Abgabe eines Drittels oder der Hälfte ihres Landes zu leisten hatten. Die gutsherrlichen Bauern machten aber in Preußen noch nicht einmal die Hälfte der Bauern aus; die Mehrheit stand in grundherrlichen Beziehungen. Sie hatten teilweise Eigentum oder doch gute erbliche Besitzrechte, die dem Eigentum nahe kamen. Die Ablösungsgesetzgebung seit 1821 wurde in vorsichtiger, die Verhältnisse jeder Landschaft berücksichtigender Weise nach und nach auch auf diejenigen Provinzen ausgedehnt, die Preußen 1814/15 wieder oder neu erhalten hatte. Zum Abschluss der gesamten Gesetzgebung kam es 1850. Die Folgen in Altpreußen waren: der Verlust des Bauernlandes an Fläche und Stellen, die erhebliche Vergrößerung des Großgrundbesitzes, die Umstellung der Arbeitsverfassung von Fronarbeit auf freie Arbeit, damit besonders die Entstehung einer besitzlosen Landarbeiterschicht (aus Kleinbauern und Häuslern) sowie die Intensivierung und Kräftigung der Guts- und Bauernbetriebe, v. a. im Zusammenhang mit den in Preußen vorbildlich durchgeführten Separationen.
 
Einen neuen Anstoß erhielt die Bauernbefreiung in Deutschland durch die französische Julirevolution von 1830. Sachsen (1831) und Hannover (durch C. B. Stüve 1831-33) erließen mustergültige Ablösungsgesetze. In ganz Deutschland vollendete die Revolution von 1848 die Bauernbefreiung, so in Bayern, Württemberg und Baden, wo man zwischen der napoleonischen Zeit und 1848 einzelne Reformen durchgeführt hatte, und in den meisten Kleinstaaten Mitteldeutschlands.
 
In Russland vollzog Alexander II. durch das Manifest vom 3. 3. 1861 die Bauernbefreiung, durch die 23 Mio. Leibeigene die persönliche Freiheit erhielten (daher der Beiname Alexanders »Zar-Befreier«). In Ungarn begann die Bauernbefreiung 1853/54, in Rumänien 1864. In diesen Ländern führte die Bauernbefreiung zur uneingeschränkten Realteilung, verbunden mit einer Übervölkerung der Dörfer sowie zur Bildung eines am Rand des Existenzminimums lebenden Kleinbauerntums und zu agrarrevolutionären Spannungen.
 
Literatur:
 
G. F. Knapp: Die B. u. der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Theilen Preußens, 2 Bde. (1887);
 K. Grünberg: Die B. u. die Auflösung der gutsherrlich-bäuerl. Verhältnisse in Böhmen, Mähren u. Schlesien, 2 Bde. (1894);
 K. A. Wieth-Knudsen: Bauernfrage u. Agrarreform in Rußland (1913);
 W. Conze, in: Vjschr. f. Sozial- u. Wirtschaftsgesch., Jg. 38 (1949); G. Ipsen, in: Ztschr. f. Agrargesch. u. Agrarsoziologie, Jg. 2 (1954); Quellen zur Gesch. der dt. Bauernbefreiung, hg. v. W. Conze (1957)
 
Dt. Agrargesch., Bd. 3: F. Lütge: Gesch. der dt. Agrarverfassung vom frühen MA. bis zum 19. Jh. (21967);
 C. Dipper: Die Bauernbefreiung in Dtl. 1790-1850 (1980).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
 
Agrarreformen in Europa zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Von Bauernschutz und Landflucht
 
II
Bauernbefreiung
 
Der Begriff Bauernbefreiung bezeichnete die Agrarreformen des 18. und 19. Jahrunderts, die in weiten Teilen Europas die bäuerlichen Erbuntertänigkeitsverhältnisse beendeten. Die Bauernbefreiung umfasste die Beseitigung der persönlichen Unfreiheit und der damit verbundenen persönlichen und dinglichen Lasten, die Übertragung des von den Bauern bewirtschafteten Bodens in ihr volles Eigentum (meist bei Entschädigung der Grundherren), die Aufhebung der grund- und gutsherrlichen Gerichtsbarkeit sowie die Aufteilung der gemeinschaftlich genutzten Allmenden und die Beseitigung des Flurzwangs, der die Bauern einer Gemarkung zu gleichem Fruchtbau und gleichzeitiger Feldbestellung verpflichtete. Damit wurden die Bauern zu gleichberechtigten Staatsbürgern. - In den deutschen Territorialstaaten vollzog sich die Bauernbefreiung auf dem Weg staatlicher Reformen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, beeinflusst durch die Aufklärung, die Konfrontation mit Frankreich und zugleich aus wirtschaftlichen, staats- und finanzpolitischen Erwägungen. - In Preußen wurde die Gutsuntertänigkeit 1807 im Rahmen der preußischen Reformen für alle Bauern beseitigt; doch führte die bis zur abschließenden Gesetzgebung von 1850 uneinheitlich geregelte Ablösungspflicht der Bauern zur Vermehrung des Großgrundbesitzes und zur Entstehung einer Schicht besitzloser Landarbeiter, da die meisten Bauern einen großen Teil ihres Hoflandes als Entschädigung an die Gutsbesitzer abtreten mussten und dadurch vielfach die Existenzgrundlage verloren. - Im Gegensatz zu Preußen wurde in den Gebieten westlich der Elbe und in Süddeutschland durch die Bauernbefreiung das Bauernland nicht vermindert; hier hat die Bauernbefreiung den Bauern lediglich zum vollen Eigentum über ihre Höfe verholfen. - In Österreich wurde die Leibeigenschaft durch Joseph II. 1781 aufgehoben; die wirtschaftliche Befreiung durch völlige Aufhebung der Erbuntertänigkeit erfolgte aber erst 1848.

Universal-Lexikon. 2012.