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Nibelungenlied
Ni|be|lụn|gen|lied 〈n. 12; unz.; Lit.〉 mhd., strophisches Heldenepos von unbekanntem Verfasser aus dem 13. Jh.

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Nibelungenlied,
 
mittelhochdeutsches Heldenepos eines namentlich nicht bekannten Dichters um 1200 im Donaugebiet (Passau?), das in 39 »Aventiuren« in der Form der Nibelungenstrophe von Siegfrieds Werbung um die burgundische Königstochter Kriemhild und der mit ihr verbundenen Gewinnung Brünhilds für König Gunther, der Vermählung beider Paare, von Siegfrieds Ermordung durch Hagen und von Kriemhilds furchtbarer Rache mithilfe des hunnischen Königs Etzel berichtet.
 
Das Nibelungenlied gliedert sich in zwei ursprünglich selbstständige Teile: die Siegfried-Brünhild-Kriemhild-Handlung und den Burgundenuntergang (Einschnitt zwischen der 19. und 20. Aventiure).
 
Dem zweiten Teil liegen geschichtliche Ereignisse zugrunde: die Vernichtung der Burgunden (Burgunder) unter Gundahar am Mittelrhein durch die mit dem weströmischen Feldherrn Aetius verbündeten Hunnen 436 und der Tod Attilas 453 in der Nacht seiner Hochzeit mit der Germanin Ildiko. Auf älterer Stufe der Sage (Altes Atlilied) rächt Kriemhild (Gudrun) den Tod ihrer Brüder an Etzel (Atli), der diese aus Gier nach dem Hort an seinen Hof gelockt und getötet hatte. Dass Kriemhild im Nibelungenlied nicht mehr ihre Brüder an Etzel rächt, sondern dessen arglos gewährte Hilfe benutzt, um den Tod ihres ersten Gatten Siegfried an ihren Brüdern Gunther, Gernot und Giselher sowie an Siegfrieds Mörder Hagen zu rächen, also die altgermanische Sippenbindung durch die Liebesbindung ablöst, bedeutet eine völlige Umgestaltung der Fabel.
 
Für den ersten Teil sind historische Grundlagen schwieriger nachzuweisen und auch im Einzelnen umstritten. Am ehesten kommen mit mythischen und märchenhaften Elementen verbundene Ereignisse aus der merowingischen Geschichte des 6. Jahrhunderts in Betracht.
 
Die jahrhundertelange Heldensagentradition wirkt noch im hochmittelalterlichen Nibelungenlied nach; bewahrt gebliebenes germanisch-heroisches Ethos wird mit höfischen Formen der Stauferzeit konfrontiert. Christliches ist im Nibelungenlied nur äußere Einkleidung. Die unerbittliche Härte und der Pessimismus des Nibelungenlieds stehen im Gegensatz zum idealistisch-utopischen Optimismus des höfischen Romans.
 
Von der Beliebtheit des Nibelungenlieds zeugen 35 Handschriften oder Handschriftenfragmente aus dem 13. bis zum frühen 16. Jahrhundert Sie repräsentieren zwei Hauptfassungen: die »Nôt«-Fassung, vertreten durch die Handschrift A (Hohenems-Münchener Handschrift; 2 316 Strophen) und die Handschrift B (Sankt Galler Handschrift; 2 376 Strophen), sowie die »Liet«-Fassung, vertreten durch die Handschrift C (Hohenems-Laßbergische oder Donaueschinger Handschrift; 2 442 Strophen) mit einer deutlich höfischen Tendenz.
 
Das seit dem 16. Jahrhundert in Vergessenheit geratene Epos wurde 1755 von dem Lindauer Arzt Jacob Hermann Obereit (* 1725, ✝ 1798) wieder entdeckt, zwei Jahre später von J. J. Bodmer teilweise und 1782 durch Christoph Heinrich Müller (* 1740, ✝ 1807) vollständig publiziert. Die Romantik und ihre Verklärung des Mittelalters erhöhte das Interesse am Nibelungenlied (seit 1807 brachte F. H. von der Hagen mehrere Ausgaben heraus), wobei die Dichtung geeignet erschien, der Nation »ein Bild ihres alten Ruhmes, ihrer alten Würde und Freiheit im Spiegel ihrer Vorzeit vorzuhalten« (F. Schlegel). Die in der Folgezeit zunehmend ideologisierende Deutung des Nibelungenlieds, die einen mythischen Volkstumsbegriff herauslas, führte dazu, das Nibelungenlied als Hauptwerk der deutschen Nationalliteratur zu verstehen. Diese volkstümliche, die Dichtung aber missdeutende Tradition bereitete den Boden für den Versuch des Nationalsozialismus, das Nibelungenlied zum Hohen Lied der bedingungslosen Gefolgschaftstreue zu einem Führer zu erklären.
 
Der Stoff des Nibelungenlieds wurde in der deutschen Literatur vielfältig bearbeitet. Eine frühe Variante ist das »Lied von Hürnen Seyfried«, das die Vorlage für das Volksbuch bildete. Nach der Wiederentdeckung des Epos wurde die dramatische Form bevorzugt. Sie beginnt mit F. de la Motte Fouqués Trilogie »Der Held des Nordens« (1808-10), die sich an die nordische Fassung der Völsunga saga und der Snorra-Edda hielt. Fouqué nahe steht mit der Betonung der nordischen Elemente, zu denen auch das Motiv vom Fluch des Goldes gehört, R. Wagners musikdramatische Tetralogie »Der Ring des Nibelungen« (entstanden 1848-52). Auf das Mittelhochdeutsche griffen u. a. E. Geibel (»Brunhild«, 1857) und F. Hebbel (Tragödientrilogie »Die Nibelungen«, 1862, 2 Bände) zurück. Spätere dramatische Bearbeitungen des Stoffes schufen u. a. P. Ernst (»Brunhild«, 1909; »Chriemhild«, 1918), M. Mell (»Der Nibelunge Not«, 2 Teile, 1951), R. Schneider (»Die Tarnkappe«, 1951) und in neuester Zeit V. Braun (»Siegfried, Frauenprotokolle, deutsch Furor«, 1987). Daneben traten v. a. im 20. Jahrhundert zunehmend Neugestaltungen in Romanform, so von J. Fernau (»Disteln für Hagen«, 1966) und J. Lodemann (»Der Mord«, 1995). Eine poetische Nacherzählung für Kinder schuf F. Fühmann (»Das Nibelungenlied«, 1971). Einzelne Episoden und Motive thematisierten in Erzählgedichten und Balladen z. B. L. Uhland, Geibel, F. Dahn und Agnes Miegel.
 
Ausgaben: Das Nibelungenlied, herausgegeben von M. S. Batts (1971); Das Nibelungenlied. Kudrun. Text, Nacherz., Wort- und Begriffserklärungen, herausgegeben von W. Hoffmann (1972); Das Nibelungenlied, herausgegeben von H. de Boor (221988); Das Nibelungenlied, herausgegeben von H. Brackert, 2 Bände (80.-90. Tausend 1988-90).
 
Literatur:
 
S. Grosse u. U. Rautenberg: Die Rezeption mittelalterl. dt. Dichtung. Eine Bibliogr. ihrer Übersetzungen u. Bearbeitungen seit der Mitte des 18. Jh. (1989);
 W. Hoffmann: Das N. (61992);
 J. E. Härd: Das Nibelungenepos. Wertung u. Wirkung von der Romantik bis zur Gegenwart (a. d. Schwed., 1996);
 J. Heinzle: Das N. Eine Einf. (Neuausg. 5.-6. Tsd. 1996);
 Ursula Schulze: Das N. (1997);
 O. Ehrismann: N. Epoche - Werk - Wirkung (22002).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Nibelungenlied und Tristan: Die Infragestellung des höfischen Modells
 

Universal-Lexikon. 2012.