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Eugenik
Eu|ge|nik 〈f. 20; unz.〉 praktische Anwendung der Erkenntnisse der Humangenetik, z. B. bei der Erhaltung erwünschter Erbanlagen; Sy Eugenetik [zu grch. eugenes „wohlgeboren“ <eu „gut“ + gennan „erzeugen“]

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Eu|ge|nik, die; - [zu griech. eugene̅̓s = wohlgeboren, von edler Abkunft, aus: eũ = gut, wohl u. -gene̅̓s, -gen] (Med. veraltend):
Wissenschaft von der Verbesserung der Erbanlagen in der menschlichen Bevölkerung (z. B. durch die Zurückdrängung von Erbkrankheiten).

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I
Eugenik,
 
die Erbgesundheitsforschung, -lehre, -pflege mit dem Ziel, erbschädigende Einflüsse und die Verbreitung von Erbkrankheiten zu verhüten.
II
Eugenik
 
[zu griechisch eugene̅́s »wohlgeboren«, »von edler Abkunft«] die, -, Erbgesundheitslehre, Erbhygi|ene, von dem britischen Naturforscher F. Galton 1883 geprägte Bezeichnung für die Wissenschaft von der Verbesserung körperlicher und geistiger Merkmale der Menschheit. Ziel der Eugenik ist, unter Anwendung genetischer Erkenntnisse den Fortbestand günstiger Erbanlagen in einer menschlichen Population zu sichern und zu fördern (positive Eugenik) sowie die Ausbreitung nachteiliger Gene einzuschränken (negative oder präventive Eugenik).
 
Galtons Vorstellung war (bei fehlenden klaren wissenschaftlichen Grundlagen) die Förderung positiver Eigenschaften (hohe Begabung, Gesundheit u. a.) durch Maßnahmen wie Auszeichnung besonders befähigter Jugendlicher (z. B. durch Diplome), Förderung früher Heirat sowie Heiratslenkung, Förderung der Fruchtbarkeit. Sein politisches Ziel war, das »inheritance concept«, die aus dem Privatrecht übernommene Möglichkeit, Vermögen und Titel zu erben, durch Chancengleichheit und die Bewertung des Einzelnen nach Leistung (die fälschlicherweise als allein genetisch vorherbestimmt angenommen wurde) zu ersetzen. Anders als in Großbritannien, wo die eugenische Bewegung demnach eher ein Klassenphänomen war, vertrat die amerikanische Eugenikbewegung politisch einen dezidierten Rassismus. Dies führte 1905 zu den »Gesetzen zur Verhinderung von Schwachsinn und Kriminalität«, auf deren Grundlage mehr als 60 000 Betroffene zwangssterilisiert wurden, sowie 1924 zu einem Einwanderungsgesetz, das mithilfe rassistischer Argumente die Einwanderung v. a. von Süd- und Osteuropäern zu verhindern suchte. Auch in europäischen Ländern, z. B. in der Schweiz und in Dänemark, wurden Ende der 20er-Jahre Gesetze zur Sterilisation erlassen. Etwa ab 1930 trat eine Hinwendung zu einer mehr wissenschaftlichen orientierten Eugenik ein, die sich v. a. mit Fragen der genetischen Beratung, der Erbkrankheiten und ihrer medizinischen Probleme sowie der Erblast der Zivilisation befasste.
 
Die ebenfalls rassistisch gefärbte Eugenikbewegung in Deutschland, die anstelle von Eugenik bis um 1920 und ab um 1930 den Begriff »Rassenhygiene« (Alfred Ploetz, 1895, und W. Schallmayer, 1903) verwendete, war anfangs politisch wenig erfolgreich. Doch schon in der Weimarer Republik (1918-33) nahm eugenischer Gedankengut im Sinne von biologistischen (sozialdarwinistischen) Umdeutungen sozialer Tatbestände z. B. in der Sozialfürsorge (u. a. Behindertenpädagogik), teilweise auch in demokratischen Kreisen, auch innerhalb der Kirchen und der SPD, zu. Eine grundlegende Änderung brachte die Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. 1. 1933. Das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« (14. 7. 1933, das die - nach neueren Erkenntnissen auch gelegentlich schon vor 1933 übliche - Zwangssterilisation von Psychiatriepatienten erlaubte, wurde v. a. nach dem Änderungsgesetz vom 26. 6. 1935 allgemein auf als »minderwertig« bezeichnete Menschen und »Gemeinschaftsfremde« (neben psychisch Kranken z. B. Behinderte, Nichtsesshafte, Asoziale) sowie unerwünschte ethnische Gruppen (z. B. Juden, Polen, Russen, Sinti und Roma [Zigeuner]; Holocaust) ausgeweitet. Diese Perversion der ursprünglichen Idee Galtons zu einer rassenideologisch motivierten Verfolgung sah schließlich auch die Tötung als »Vernichtung lebensunwerten Lebens« (Euthanasie) vor. Zugrunde lag ein aus der evolutionistischen Begründung einer Höherentwicklung der menschlichen Rassen entstandener Dogmatismus, der eine angeblich »höherwertige« »arische« Rasse von den »nichtarischen Untermenschen« unterschied. Eine darauf fußende eugenische Maßnahme war außer der Massenvernichtung u. a. auch die in den Häusern der SS-Einrichtung »Lebensborn e. V.« praktizierte »Züchtung reinrassiger Arier«.
 
Heute wird in Deutschland ein eugenisches Konzept von Vertretern der Humangenetik allein schon aus ethischen Gründen als unakzeptabel angesehen. Daneben sprechen aber auch wissenschaftliche Gründe gegen ein derartiges Konzept. So wurden früher genetische Faktoren zum Teil überbewertet bei deutlicher Vernachlässigung des Einflusses des sozialen Umfeldes (z. B. ist Intelligenz ein multifaktorielles und kein monogenes Merkmal). Den Vertretern positiver Eugenik ist entgegenzuhalten, dass jedes Individuum mehrere, in Heterozygoten nicht erkennbare autosomal-rezessive Mutationen (zum Teil Letalfaktoren) trägt, die homozygot zur Erkrankung (oder seinem Tod) führen würden.
 
In Verkennung wissenschaftstheoretischer Grundlagen und aus Ignoranz inzwischen anerkannter Richtlinien werden immer noch einige Angebote der Humangenetik (z. B. genetische Beratung und Pränataldiagnostik) in der Bevölkerung als eugenische Maßnahme angesehen. Die genetische Beratung ist familienkonzentriert und dient allein der umfassenden Information der Rat Suchenden ohne eine Einflussnahme des Beratenden auf die Entscheidung (Konzept der nichtdirektiven Beratung). Die Entscheidung über eine Fortpflanzung wird, auch bei identischen Erkrankung, je nach den individuellen Verhältnissen von den Eltern unterschiedlich getroffen. Auch die Pränataldiagnostik ist keine eugenisch orientierte Methode, da erst die Möglichkeit einer vorgeburtlichen Untersuchung (z. B. bei zystischer Fibrose) bei einigen Eltern zu einer Entscheidung für eine weitere Schwangerschaft führte. Damit kommt es vermehrt zur Geburt Heterozygoter, wodurch die Allelenfrequenz des mutierten Gens in der Bevölkerung über Generationen geringfügig an Häufigkeit zunehmen wird.
 
Literatur:
 
Anthony Smith: Das Abenteuer Mensch. Die Herausforderung der Genetik (a. d. Engl., Wien 1978);
 W. Walter: Der Geist der E. Francis Galtons Wissenschaftsreligion in kultursoziolog. Perspektive (1983);
 
Medizin u. Gesundheitspolitik in der NS-Zeit, hg. v. N. Frei (1991);
 
E., Sterilisation, »Euthanasie«. Polit. Biologie in Dtl. 1895-1945, hg. v. J.-C. Kaiser u. a. (1992);
 H.-W. Schmuhl: Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie. Von der Verhütung zur Vernichtung »lebensunwerten Lebens«, 1890-1945 (21992);
 
Wiss. auf Irrwegen. Biologismus - Rassenhygiene - E., hg. v. P. Propping u. H. Schott., Beitrr. v. G. Lilienthal u. a. (1992);
 
Nationalsozialismus u. Modernisierung, hg. v. M. Prinz u. R. Zitelmann (21994);
 P. Weingart u. a.: Rasse, Blut u. Gene (Neuausg. 21996).

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Eu|ge|nik, die; - [zu griech. eugene̅́s = wohlgeboren, von edler Abkunft, aus: eũ = gut, wohl u. -gene̅́s, ↑-gen] (Med.): Erbgesundheitsforschung, -lehre, -pflege (mit dem Ziel, erbschädigende Einflüsse u. die Verbreitung von Erbkrankheiten zu verhüten).

Universal-Lexikon. 2012.