Tide (umgangssprachlich)
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Ge|zei|ten [gə'ts̮ai̮tn̩], die <Plural>:Ebbe und Flut in ihrem Wechsel:
beim Urlaub am Meer muss man die Gezeiten berücksichtigen.
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Ge|zei|ten 〈nur Pl.〉 regelmäßige Schwankungen des Meeresspiegels (auch: des festen Erdkörpers od. der Lufthülle), verursacht durch Anziehungskraft des Mondes u. der Sonne, Wechsel von Ebbe u. Flut [Pl. zu mhd. gezit „Zeit, festgesetzte Zeit, Gebetsstunde“ <ahd. gizit „Zeit, Zeitlauf“, beeinflusst von mnddt. getide „Flutzeit“]
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Gezeiten,
Tiden, periodische Bewegungen der festen Erde, des Meeres und der Atmosphäre, die durch das Zusammenwirken der Anziehungskräfte zwischen Erde, Mond und Sonne und der mit den Bewegungen dieser Himmelskörper verbundenen Fliehkräfte erzeugt werden.
Gezeiten erzeugende Kräfte
Bei der Bewegung (Revolution ohne Rotation) des Systems Erde-Mond um den gemeinsamen Schwerpunkt S ist die Fliehkraft an allen Punkten der Erde gleich gerichtet und gleich groß. Die Anziehungskraft des Mondes auf der Erde ist dagegen stets auf den Mond gerichtet und von der Entfernung zum Mond abhängig. Sie ist dort am größten, wo der Mond im Zenit (Z), am kleinsten, wo er im Nadir (Norden) steht. Anziehungskraft und Fliehkraft heben sich nur im Schwerpunkt (E) der Erde auf. An allen anderen Punkten resultieren kleine Restkräfte. Die Vertikalkomponente dieser Kräfte ist gegenüber der Schwerkraft vernachlässigbar klein, die Horizontalkomponente ruft Gezeiten hervor. Entsprechende Kräfte treten auf der Erde durch die Bewegung des Systems Sonne-Erde auf. Die Gezeiten erzeugenden Kräfte lassen sich als eine unendliche Summe periodischer Komponenten, der Partialtiden, darstellen. Die vier wichtigsten sind in der Reihenfolge ihrer Bedeutung die halbtägige Haupt-Mondtide (Bezirk M2, Periode 12,42 Stunden), die eintägige Haupt-Deklinationstide (K1, 23,93 Stunden), die halbtägige Haupt-Sonnentide (S2, 12,00 Stunden) und die eintägige Haupt-Mondtide (O1, 25,82 Stunden).
Gezeiten des Meeres
Jede Partialtide erzeugt im Meer eine periodische Bewegung, die »Gezeit« oder »Tide«. Benennungen und Perioden der Gezeiten sind dieselben wie die der erzeugenden Partialtiden. Eine Gezeit besteht aus einer periodischen Wasserstandsschwankung, verbunden mit einer periodisch umlaufenden horizontalen Strömung (Gezeitenstrom). Das Steigen des Wasserstandes heißt Flut, das Fallen Ebbe, die Höhendifferenz zwischen Hoch- und Niedrigwasser Tidenhub. Für viele Zwecke wird der gezeitenbedingte Wasserstandsverlauf durch die vier wichtigsten Gezeiten (M2, S2, K1, O1) ausreichend beschrieben. In den weitaus meisten Meeresgebieten dominieren die halbtägigen Gezeiten. Dabei addieren sich ein bis zwei Tage nach Voll- und Neumond (Springzeit) die Gezeiten erzeugenden Einflüsse von Mond und Sonne; es ergeben sich besonders starke Gezeiten, die Springtiden. Rd. 7,5 Tage nach der Springzeit heben sich die Einflüsse von Mond und Sonne teilweise auf (Nippzeit); dann sind die Gezeiten besonders schwach (Nipptiden). Die geographische Verteilung der Gezeiten wird durch Linien gleicher Tidenhübe und Linien gleicher Eintrittszeit des Hochwassers (Flutstundenlinien) dargestellt. Die Gezeiten erweisen sich als lange Wellen (Meereswellen), die sich unter dem Einfluss der Erdrotation und der Topographie des betreffenden Meeresgebiets zu Drehwellen (Amphidromien) anordnen. Die Stärke der Gezeiten ist örtlich sehr unterschiedlich. Die maximalen mittleren Springtidenhübe der halbtägigen Gezeiten betragen 11 cm in der Ostsee, 4 m an der deutschen Nordseeküste, 6,5 m an der englischen Nordseeküste, 11 m an der englischen Südwestküste (Severnmündung), 11,5 m im Ärmelkanal (Golf von Saint-Malo) und erreichen mit 14-15 m in der Fundybai an der Atlantikküste Nordamerikas die höchsten Werte im gesamten Weltmeer.
Gezeitenströme
Die Gezeitenströme erfassen die ganze Wassersäule von der Meeresoberfläche bis zum Meeresboden. Dadurch werden am Meeresboden Reibungskräfte hervorgerufen (Gezeitenreibung). In Küstennähe verlaufen die Gezeitenströme küstenparallel und wechseln die Richtung nach jeweils etwa einer halben Gezeitenperiode (alternierender Strom). Im offenen Meer beschreibt der Stromvektor eine Ellipse (Gezeitenstromellipse). Die Gezeitenströme haben im offenen Ozean eine Größenordnung von 5 bis 10 cm/s. In flacherem Wasser und in Meerengen können sie bedeutend stärker sein. In der Nordsee (Deutsche Bucht) erreichen sie Werte über 1 m/s. Die größten Werte treten mit 8 m/s im Skjerstadfjord bei Bodø (Nordnorwegen) auf. Ein bekannter Gezeitenstrom ist Moskenstraumen. In Gezeitenkraftwerken wird die hohe Energie der Gezeiten technisch nutzbar gemacht (bis jetzt allerdings in beschränktem Umfang).
Gezeitenvorausberechnung
Die große Bedeutung der Gezeiten für Schifffahrt, Wasserbauwesen u. a. macht eine Gezeitenvorhersage wichtig. Wegen der strengen Periodizität der Gezeiten ist eine exakte Gezeitenvorausberechnung für jeden Zeitpunkt und jeden Hafen der Erde möglich. Sie wird von hydrographischen Ämtern durchgeführt und in jährlich erscheinenden Gezeitentafeln veröffentlicht.
Da bis jetzt die Gezeiten nicht hinreichend genau aus der Wirkung der Gezeiten erzeugenden Kräfte vorausberechnet werden können, bleiben empirische Verfahren unentbehrlich, die von Wasserstandsregistrierungen ausgehen, die einmal über einen Monat, besser noch über ein Jahr, angestellt worden sind. Zwei verschiedene Verfahren sind im Gebrauch: Das nonharmonische Verfahren (1831) des britischen Astronomen und Mathematikers Sir John William Lubbock (* 1803, ✝ 1865) benutzt die erwiesene Tatsache, dass die Ungleichheiten der Gezeiten von bestimmten astronomischen Größen abhängen (wahre Sonnenzeit, Meridiandurchgang des Mondes, Horizontalparallaxe und Deklination von Mond und Sonne). Die Beträge der Ungleichheiten werden einmal aus den Wasserstandsbeobachtungen abgeleitet. Umgekehrt kann man anhand der vorausberechneten Größen, die regelmäßig in astronomischen Jahrbüchern veröffentlicht werden, die Gezeitenvorausberechnung vornehmen, wenn man die Beträge der Ungleichheiten kennt. Dieses Verfahren liefert allerdings nur Werte für die Höhen und Zeiten der Hoch- und Niedrigwasser und nicht, wie das harmonische Verfahren von W. Lord Kelvin (1868), die ganze Gezeitenkurve. Dafür sind die Vorausberechnungen nach dem nonharmonischen Verfahren genauer, wenn die Gezeiten halbtägig sind, wie z. B. in der Nordsee. Deshalb beruhen die Gezeitentafeln für die Nordsee, wie sie das Deutsche Hydrographische Institut, Hamburg, vorausberechnet, auf dem nonharmonischen Verfahren. Das harmonische Verfahren geht davon aus, dass die beobachtete Gezeitenkurve für jeden Ort rechnerisch in eine Anzahl von Teilwellen (Partialtiden) zerlegt werden kann, die die Perioden der Tiden der Gezeiten erzeugenden Kräfte besitzen. Hinzu kommen Obertiden und Kombinationen mehrerer Partialtiden (Verbundtiden), die besonders in flachen Meeren in Erscheinung treten. Sind die Phasen und Amplituden (harmonische Konstanten) der wichtigsten Partialtiden an einem Ort bekannt, so kann umgekehrt durch Zusammensetzung der Partialtiden der Gezeitenablauf für den betreffenden Ort vorausberechnet werden.
Heute verwendet man für die Gezeitenvorausberechnung elektronische Rechenanlagen. Bis 1976 stand im Deutschen Hydrographischen Institut die größte Gezeitenrechenmaschine der Erde, die 62 Partialtiden berücksichtigen konnte (heute im Deutschen Museum, München). Für die jährliche Vorausberechnung der Hoch- und Niedrigwasser für einen Hafen benötigte sie 20 Stunden, während ein moderner Großrechner dies in Sekunden ermöglicht.
Gezeiten der Atmosphäre
Die Gezeiten der Atmosphäre sind sonnen- wie auch mondbedingte Druckwellen. Unter ihnen sind die 12-stündigen Gezeiten mit Minimum um 4 und 16, Maximum um 10 und 22 Uhr Ortszeit mit 1,5 mbar Amplitude in den Tropen stets, in Mitteleuropa mit 0,5 mbar nur bei stationärem Hochdruckwetter gut beobachtbar. Die übrigen Frequenzen, besonders die vom Mond ausgehenden, sind auf der Erde unregelmäßig verteilt und nur durch empfindliche statistische Analyse vieljähriger Messreihen nachweisbar.
Gezeiten des festen Erdkörpers
Auch der feste Erdkörper erfährt durch die Gravitationswirkung von Mond und Sonne dank seiner Elastizität eine Deformation, die in Äquatornähe 1/2 m in einer zwölfstündigen Periode erreichen kann. Überlagert wird dieser primäre Effekt durch Schollenverbiegungen, verursacht durch die Wassermassenverlagerung infolge der Meeresgezeiten, durch atmosphärische Druckschwankungen und thermisch bedingte Bodendeformation. An der Erdoberfläche kann man die Gezeiten in radialer Richtung (d. h. in Richtung der Fallbeschleunigung) mit Gravimetern, in tangentialer mit einem Horizontalpendel messen.
Gezeitentheorie
Die Wirkungsweise der Gezeiten erzeugenden Kräfte und damit die Erklärung der Gezeiten ist ein geophysikalisches Problem und Gegenstand der Gezeitentheorie. Die Gezeiten erzeugenden Kräfte, die für die Gezeiten des Meeres, der Atmosphäre und der festen Erde verantwortlich sind, wurden 1687 von I. Newton erkannt und 1921 von dem britischen Mathematiker Arthur Thomas Doodson (* 1890, ✝ 1968) mit großer Genauigkeit angegeben. Im Meer stellt die Ermittlung der Gezeiten hohe Anforderungen an die ozeanographische Messtechnik (ozeanographische Instrumente).
Die Gezeitentheorie, angewendet auf die komplizierte Gestalt der Ozeane, bereitet große mathematische Schwierigkeiten, sodass vereinfachende Annahmen gemacht werden mussten.
Die Gleichgewichtstheorie von D. Bernoulli (1741) geht von der Annahme aus, dass die ganze Erde vom Weltmeer bedeckt ist und dass der Meeresspiegel sich trägheitslos auf die Gezeiten erzeugenden Kräfte von Mond und Sonne einstellt. Diese Theorie kann viele Eigentümlichkeiten der Gezeiten des Meeres erklären, v. a. die Periode der beobachteten Wasserstandsschwankungen und alle darin enthaltenen Ungleichheiten der Gezeiten. Sie versagt aber vollständig bei der Erklärung der Eintrittszeiten der Hochwasser sowie der Hubhöhen. Die Hochwasser treten weder bei der Kulmination des Mondes ein, noch sind die Hubhöhen überall im Weltmeer 55 cm, wie es die Gleichgewichtstheorie fordert.
Die dynamische Theorie von P. S. Laplace (1775) berücksichtigt die Trägheit des Wassers und zeigt, dass Schwingungen des Wassers entstehen, deren Periode die der Gezeiten erzeugenden Kräfte ist.
Die dynamische Theorie des amerikanischen Geologen Sydney S. Hough (* 1870, ✝ 1923) von 1897 berücksichtigt die Coriolis-Kraft und die freien Schwingungen des Meeres und zeigt, dass diese freien Schwingungen, die durch die Wassertiefe und die Coriolis-Kraft bestimmt sind, entscheidend die Höhe des Tidenhubs beeinflussen.
Diese drei Gezeitentheorien gehen von einer wasserbedeckten Erde aus. Daneben wurde seit G. B. Airy (1842) versucht, die Lösung der Gezeitenprobleme für einfach geformte Meeresbecken mit gleichförmiger Tiefe zu lösen (Kanaltheorie von Airy). Die Entwicklung wurde fortgesetzt 1910 durch H. Poincaré, 1936 durch den britischen Ozeanographen Joseph Proudman (* 1888, ✝ 1975) und 1938 durch Doodson. Mit großem mathematischem Aufwand konnte gezeigt werden, dass die halb- und eintägigen Partialtiden als Drehwellen (Amphidromien) auftreten und dass deren Lage stark von der Wassertiefe abhängt. Diese klassischen Gezeitentheorien lassen manche Gezeitenerscheinungen ungeklärt. Der Grund dafür ist, dass die mathematischen Schwierigkeiten ohne elektronischen Rechenanlagen nicht zu bewältigen sind, wenn die unregelmäßige Form der natürlichen Meere berücksichtigt werden soll. Eine weitere Entwicklung der Gezeitentheorie auf terrestrischer Grundlage ging von der Erforschung der Seiches (1919) durch A. Defant und den Mathematiker und Hydrographen Robert Sterneck (* 1871, ✝ 1928) aus. Hierbei wird die Gestalt der Meeresbecken weitgehend in der mathematischen Behandlung berücksichtigt. Defant (1925) konnte auf diesem Wege eine befriedigende Erklärung der Gezeiten und Gezeitenströme von mehreren Nebenmeeren geben (Nordsee, Ärmelkanal, Irische See, Adriatisches Meer, Rotes Meer, Persischer Golf). Eine weitere Entwicklung dieser halbempirischen Verfahren erfolgte 1952 durch Walter Hansen (* 1909), der das Randwertverfahren der Mathematik benutzte, um aus den beobachteten Gezeitenwerten an den Küsten Gezeitenkarten ganzer Meeresgebiete abzuleiten, z. B. für den Ärmelkanal, den nördlichen Atlantischen Ozean und am ausführlichsten für die Nordsee. Die Berücksichtigung der Gezeiten der festen Erdkruste, der Verformung der festen Erde durch die mit den Gezeiten wechselnde Auflast des Meerwassers und der Eigenanziehung der Wassermassen stellt eine Verfeinerung der Gezeitentheorie dar, die zu einem Gleichungssystem geführt hat, das nur noch mit modernen Rechenanlagen lösbar ist. Heute ist mithilfe numerischer Verfahren auf großen elektronischen Rechenanlagen eine detaillierte Berechnung der Gezeiten auf der Grundlage der bekannten Gezeiten erzeugenden Kräfte möglich. Die routinemäßige Gezeitenvorhersage wird aber immer noch anhand der Analyse von Gezeitenmessungen durchgeführt.
A. Defant: Ebbe u. Flut des Meeres, der Atmosphäre u. der Erdfeste (21973);
P. Melchior: The tides of planet earth (Oxford 1978);
W. Zahel: Astronomical tides, in: Zahlenwerte u. Funktionen aus Naturwiss.en u. Technik, begr. v. H. Landolt, Neue Serie, hg. v. O. Madelung, Gruppe 5, Bd. 3, Tl. C (New York 1986);
G. Sager: Mensch u. G. Wechselwirkungen in zwei Jahrtausenden (Gotha 1987);
W. Kumm: G.-Kunde. Theorie u. Praxis (1992).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Gezeitenkraftwerk: Ebbe und Flut erzeugen Energie
Gezeitenkräfte auf der Erde
Universal-Lexikon. 2012.