Le|bens|phi|lo|so|phie 〈f. 19〉 Philosophie, die das menschl. Leben in den Mittelpunkt stellt
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Le|bens|phi|lo|so|phie, die:
1. (Philos.) Philosophie, die sich mit dem menschlichen Leben befasst.
2. Art u. Weise, das Leben zu betrachten.
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Lebensphilosophie,
1) allgemein: die Gesamtheit der Lebensweisheiten und -anschauungen eines Menschen.
2) Philosophie: im weiteren Sinn alle philosophischen Richtungen, die ihre Sinnstiftung unmittelbar aus der auf das praktische Dasein gerichteten Lebenshaltung und -ergriffenheit ableiten (z. B. Epikureismus, Stoizismus), unter diesem Aspekt zum Teil auch die Ethik. Daneben wird der Begriff Lebensphilosophie auch zur Charakterisierung der allgemeinen Lebenseinstellung und -führung früherer Denker herangezogen (z. B. Sokrates, Seneca, B. Pascal). Im engeren Sinn eine im 19. Jahrhundert entstehende, auf Traditionen der nachaufklärerischen Philosophie (J. G. Hamann, J. G. Herder) und der Romantik (der junge Goethe, Novalis) zurückgehende philosophische Strömung, die sich insgesamt gegen den starren Seinsbegriff rationalistischer und mechanistischer Denkmodelle, aber auch gegen den v. a. durch G. W. F. Hegel vertretenen Anspruch eines ausschließlich vom Geist beziehungsweise Begriff her systematisch deduzierten Wertbildes wendet und stattdessen eine Ganzheitssicht postuliert, die das Dynamische, Einmalige und zur Entwicklung drängende Schöpferische im Leben für alle Bereiche der Wirklichkeit als bestimmend ansieht und grundsätzlich das Werden gegenüber dem Sein betont. Zum Teil greift sie auch biologistische und darwinistisch-evolutionistische Tendenzen auf. Wegbereitend wirkten hier neben F. Schlegel, F. W. I. Schellings praktischer Philosophie und A. Schopenhauers Begriff des »Willens« v. a. F. Nietzsches Idealtyp des »Übermenschen« und S. Kierkegaards Existenzphilosophie mit ihrer Betonung der menschlichen Individualität. Ihre Hauptvertreter wurden im ausgehenden 19. Jahrhundert in Frankreich H. Bergson und in Deutschland W. Dilthey, die den bis dahin vorwiegend vitalistischer Lebensbegriff zur Überwindung der rationalistischen Subjekt-Objekt-Trennung auch erkenntnistheoretisch zu fundieren suchten: Bergson, indem er dem mechanistischen Zeit- und Raumbegriff der Physik die in einem schöpferischen Lebensstrom (Élan vital) offenbare, subjektiv erfahrene Lebenszeit (Durée) entgegensetzt, in der der Mensch seine Entscheidungen nicht durch den Verstand (Raison), sondern durch die Unmittelbarkeit der Intuition fällt; Dilthey, indem er den deduktiv verfahrenden Naturwissenschaften den Entwurf einer historisch begründeten Geisteswissenschaft entgegenhält, in der Erkenntnis nur auf dem Hintergrund einer beständig nacherlebten Strukturganzheit möglich ist und in der der menschliche Geist als immer höherstufiger Ausdruck eines allgemeinen Lebenszusammenhanges auftritt. V. a. Diltheys Begriff des Lebens als ein Prozess des nachvollziehenden Verstehens wirkt im Zusammenhang mit der von ihm begründeten hermeneutischen Methode (Hermeneutik) bis heute nach. Aspekte der Lebensphilosophie aufgegriffen und weitergeführt haben im 20. Jahrhundert u. a. G. Simmel, M. Scheler (materiale Wertethik) und M. Weber für die Geschichtsphilosophie und Soziologie, J. Ortega y Gasset zu einer pluralistischen Kulturphilosophie, E. Spranger und C. G. Jung für die Psychologie und H. Keyserling für die Ästhetik. Betont antirationalistische beziehungsweise kulturpessimistische Positionen vertraten L. Klages und O. Spengler. Auswirkungen, zum Teil in Vertiefung des erkenntnistheoretischen Ansatzes, erstreckten sich ferner auf die Existenzphilosophie M. Heideggers (Probleme des Individuums und der Geschichtlichkeit des Seins) und die Phänomenologie E. Husserls (konstitutive Strukturen der Lebenswelt). Zeitweise als Irrationalismus, Subjektivismus und Relativismus kritisiert, scheint der traditionelle Konflikt zwischen Lebensphilosophie und naturwissenschaftliches Weltbild durch die in einem wesentlich fundamentaleren Sinne wieder aktuell gewordene Frage nach dem Leben erneut von Bedeutung.
R. Eucken: Der Sinn u. Wert des Lebens (91922);
G. Misch: L. u. Phänomenologie (21931, Nachdr. 1967);
O. F. Bollnow: Die L. (1958);
H.-J. Lieber: Kulturkritik u. L. Studien zur dt. Philosophie der Jh.-Wende (1974);
G. Kühne-Bertram: Aus dem Leben - zum Leben. Entstehung, Wesen u. Bedeutung populärer L. in der Geistesgesch. des 19. Jh. (1987).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Lebensphilosophie: Werden und Wandel - Ein Blick auf den schöpferischen Lebensprozess
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Le|bens|phi|lo|so|phie, die: 1. (Philos.) Philosophie, die sich mit dem menschlichen Leben befasst. 2. Art u. Weise, das Leben zu betrachten.
Universal-Lexikon. 2012.