Kạfka,
1) Bohumil, tschechischer Bildhauer, * Nová Paka (bei Jičin) 14. 2. 1878, ✝ Prag 24. 11. 1942; studierte u. a. 1898-1901 an der Akademie der bildenden Künste in Prag. 1904-08 hielt er sich in Paris auf. Seine Werke (v. a. Porträtplastiken, Denkmäler, Grabmäler, Tierdarstellungen) kennzeichnet die Auseinandersetzung mit Impressionismus, Jugendstil und Neoklassizismus.
2) Franz, Schriftsteller, * Prag 3. 7. 1883, ✝ Kierling (heute zu Klosterneuburg) 3. 6. 1924. Aus einer bürgerlichen jüdischen Kaufmannsfamilie stammend, studierte Kafka, dem Wunsch des Vaters folgend, 1901-06 Jura an der Deutschen Universität in Prag (Freundschaft u. a. mit O. Pollak, O. Baum und M. Brod). Danach war er zunächst Praktikant am Landes- und Strafgericht, 1908 übernahm er (bis zu seiner Pensionierung 1922) eine Stelle als Versicherungsjurist bei der »Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt« in Prag. Im gleichen Jahr noch erschien Kafkas erste Publikation von acht Prosastücken in der Zeitschrift »Hyperion«. Von 1910 an führte er Tagebuch, setzte sich intensiv in Selbstanalysen mit Träumen, Erlebnissen und Erfahrungen auseinander. Besonders wichtig wurde ihm dabei die Beschäftigung mit dem Judentum, v. a. auch dem jiddischen Theater. Kafka änderte seine zunächst assimilatorische Gesinnung hin zu einer bewusst aus der kulturellen Tradition des Judentums erfolgenden Reflexion (»Rede über die jiddische Sprache«, 1912). Hierzu gehörte auch die Konfrontation mit familiären Problemen: So versuchte er in dem »Brief an den Vater« (entstanden 1919, gedruckt 1952 in: »Die Neue Rundschau«) anhand eines biographischen Überblicks dem Briefpartner zu beweisen, dass sein Versagen eine Folge seiner ungünstigen Beziehung zu dem als übermächtig und bedrohend empfundenen Vater sei. Häufige Reisen, dienstlich oder privat (meist mit M. Brod), führten Kafka u. a. nach Oberitalien (»Die Aeroplane in Brescia«, 1909, Feuilleton), 1910 nach Paris, 1911 in die Schweiz, 1912 nach Weimar und Leipzig, wo Kafka die Verleger K. Wolff und E. Rowohlt kennen lernte. Im August 1912 begegnete Kafka erstmals Felice Bauer (* 1887, ✝ 1960); mit ihr begann ein anspruchsvoller, schnell vertraulich werdender Briefwechsel (»Briefe an Felice und andere Korrespondenz aus der Verlobungszeit«, herausgegeben 1967). Im September 1912 gelang Kafka mit der Erzählung »Das Urteil« der Durchbruch zu der ihm eigenen (danach »kafkaesk« benannten) literarischen Ausdrucksform, einer durch eine Lakonik der Bedrohung geprägten und auf rätselhafte Weise unheimlich wirkenden Schreibweise. Hier ist autobiographisch Kafkas Vaterproblem im Zusammenhang mit der sich anbahnenden Beziehung zu Felice thematisiert. In den folgenden Monaten wurden die meisten Teile des Romanfragments »Der Verschollene« (bekannt unter dem Titel »Amerika«, gedruckt 1927; das erste Kapitel des Romans erschien 1913 unter dem Titel »Der Heizer«) konzipiert, in dem ein jugendlicher Held allmählich aus der menschlichen Gesellschaft gedrängt wird, weil er in einer über seine subjektive Schuld hinausgehenden Weise von seinen Eltern und deren Ersatzfiguren immer wieder verstoßen wird. Gegen Ende des Jahres 1912 schrieb Kafka die Erzählung »Die Verwandlung« (gedruckt 1915). Pfingsten 1914 verlobte er sich mit Felice; die Verlobung wurde aber schon Mitte Juli desselben Jahres wieder gelöst. In der zweiten Jahreshälfte entstand der Roman »Der Prozeß« (gedruckt 1925), der Schuld und Selbstverurteilung eines sich den Gemeinschaftsaufgaben Entziehenden darstellt. Im Juli 1917 fand die zweite Verlobung mit Felice Bauer statt; im September wurden erste Anzeichen von offener Tuberkulose erkennbar. Weihnachten 1917 wurde die Verbindung mit Felice endgültig gelöst. 1919/20 war Kafka mit Julie Wohryzek verlobt. Im Frühjahr 1920 begann die Korrespondenz mit Milena Jesenská (* 1896, ✝ 1944), die zu einer bald als aussichtslos erkannten Liebesbeziehung führte (»Briefe an Milena«, herausgegeben 1952). Anfang 1922 entstand die Erzählung »Ein Hungerkünstler« (gedruckt 1922, in: »Die Neue Rundschau«; Buchausgabe 1924), in den folgenden Monaten das Romanfragment »Das Schloß« (gedruckt 1926), in dem, veranlasst durch das Milena-Erlebnis, Kafkas Kampf um die Verwurzelung in der menschlichen Gesellschaft dargestellt ist. Im Sommer 1922 schrieb er die besonders im Blick auf das Problem des Judentums autobiographischen »Forschungen eines Hundes« (gedruckt 1931, in: »Beim Bau der chinesischen Mauer«). Ende September 1923 übersiedelte Kafka nach Berlin, wo er mit Dora Diamant (* 1898, ✝ 1952) zusammenlebte. Im März 1924 kehrte er wegen seiner sich verschlechternden Gesundheit nach Prag zurück (Kehlkopftuberkulose); er starb in einem Sanatorium.
Kafka fand zu seinen Lebzeiten nur geringe Beachtung. Er stand dem eigenen Schaffen stets selbstzweifelnd gegenüber, viele Arbeiten schienen ihm noch zu wenig durchgestaltet und ausgereift. Nur dem Bemühen M. Brods ist es zu verdanken, dass, entgegen Kafkas Willen, nach dessen Tod zahlreiche Werke nicht der Vernichtung anheim fielen.
Weltweite Würdigung erfuhr das Gesamtwerk erst nach 1945, im Ostblock gab die »Kafka-Konferenz« auf Schloss Liblice bei Prag 1963 den Anstoß für eine Rezeption, die frei war von Vorwürfen der »Dekadenz«. Bis heute beeinflusst Kafka wesentlich die moderne Weltliteratur. Zahllose Deutungen belegen die ungebrochene Faszination, die von den scheinbar hermetischen Romanen und Erzählungen ausgeht. Auch die textkritische Arbeit daran ist bis heute noch nicht abgeschlossen.
Weitere Werke: Ein Landarzt (1919); In der Strafkolonie (1919); Josefine, die Sängerin oder das Volk der Mäuse (1924).
Ausgaben: Beim Bau der chinesischen Mauer. Ungedruckte Erzählungen und Prosa aus dem Nachlaß, herausgegeben von M. Brod (1931); Schriften, Tagebücher, Briefe. Kritische Ausgabe, herausgegeben von J. Born und anderen, auf mehrere Bände berechnet (1-21982 folgende); Gesammelte Werke, herausgegeben von M. Brod, 8 Bände (Neuausgabe, 46.-66. Tausend 1994); Romane und Erzählungen, herausgegeben von Michael Müller (1994); Historisch-kritische Ausgabe sämtlicher Handschriften, Drucke und Typoskripte, herausgegeben von R. Reuß und P. Staengle auf mehrere Bände berechnet (1995 folgende).
K.-Symposion, bearb. v. J. Born u. a. (1965);
K.-Hb. in zwei Bden., hg. v. H. Binder, (1979);
F. K. u. die Prager dt. Lit., hg. v. H. Binder:(1988);
J. M. Herz: F. K. Eine kommentierte Bibliogr. der Sekundärlit.. .. (Bern 1987);
Was bleibt von F. K.? K.-Symposium Wien 1983, hg. v. W. Schmidt-Dengler (Wien 1985);
Hartmut Müller: F. K. Leben - Werk - Wirkung (1985);
F. K. u. das Judentum, hg. v. K. E. Grözinger u. a. (1987);
R. Robertson: K. Judentum, Gesellschaft, Lit. (a. d. Engl., 1988);
F. Baumer: F. K. (61989);
M. Brod: Über F. K. (45.-46. Tsd. 1993);
M. Blanchot: Von K. zu K. (a. d. Frz., 1993);
K. u. Prag, hg. v. K. Krolop u. a. (1994).
Universal-Lexikon. 2012.