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Ibn Ruschd
Ịbn Rụschd,
 
Abul Walid Mohammed Ibn Ahmad Ibn Mohammed, latinisiert Averroes [a'vɛroɛs], arabischer Philosoph, Theologe, Jurist und Mediziner, * Córdoba 1126, ✝ Marrakesch 11. 12. 1198; 1169 Richter (Kadi) in Sevilla, 1171 in Córdoba, in hohem Ansehen und besonderer Gunst bei den Kalifen Abu Jakub Jusuf (1163-84) und seinem Nachfolger Jakub al-Mansur bis 1195, dann Verbannung wegen angeblicher Religionsfeindlichkeit seiner Lehre und Verbot seiner Schriften, Rehabilitation kurz vor seinem Tod. - Ibn Ruschd, letzter bedeutender Vertreter der arabischen Scholastik, galt im Mittelalter als der Kommentator des Aristoteles schlechthin. Er sah als Hauptaufgabe der »kleinen« (vor 1178) und der »großen« (nach 1180 verfassten) Kommentare die Rekonstruktion der ursprünglichen Lehre des Aristoteles und ihre Verteidigung gegen Verfälschungen im Neuplatonismus und in der älteren islamischen Philosophie, z. B. bei Ibn Sina, an. Seine rationalistische Position zielt auf die Versöhnung von Vernunft und Offenbarung. Widersprüche zwischen den wissenschaftlichen Beweisführungen der Vernunft und der wörtlichen Bedeutung von Sätzen des Korans werden durch Einführung einer übertragenen Bedeutung der Koransätze aufgelöst. Wo das nicht möglich ist, ist der Wortlaut des Korans verbindlich und gegen die pseudowissenschaftlichen Interpretationen der (islamischen) Theologie in Schutz zu nehmen. Ibn Ruschd griff die Lehre des Aristoteles von der Ewigkeit der Welt wieder auf. Gleichwohl zeigte er, dass auch eine ewige Welt von ihrem göttlichen Grund abhänge, also »erschaffen« sei. Der denkende Geist (intellectus universalis), der Nus des Aristoteles, ist nach Ibn Ruschd nicht in den Einzelmenschen vervielfältigt, sondern ein einziges, rein geistiges Wesen, das in der menschlichen Seele wirkt und der menschlichen Gattung zugehört. Weiterhin lehrte Ibn Ruschd die Einheit Gottes (gegen die christliche Trinitätslehre). Außer in dem Traktat »Fasl al-makal«, der die Methode zur Herbeiführung der Übereinstimmung von Religion und Philosophie behandelt, kommt die philosophische Position von Ibn Ruschd in seinem Hauptwerk, der gegen die »Destructio philosophorum« des Ghasali gerichteten »Destructio destructionis«, am klarsten zum Ausdruck. Zu seinen Schriften zählt u. a. auch ein großes medizinisches Handbuch mit dem lateinischen Titel »Colliget« (1255 lateinisch übersetzt).
 
Ibn Ruschd wurde bestimmend für die Aristotelesauslegung bis etwa 1600; er leistete für die Scholastik einen bedeutenden Beitrag zur Differenzierung und Festigung ihres Begriffsapparates; seine Lehren waren Gegenstand der Auseinandersetzungen in der christlichen, islamischen, v. a. jüdischen Philosophie und Theologie des Mittelalters, der Rezeption und Systematisierung im Averroismus, der Ablehnung u. a. durch Thomas von Aquino und Albertus Magnus.
 
Ausgaben: Die Metaphysik des Averroës. Nach dem Arabischen übersetzt und erläutert von M. Horten (1912, Nachdruck 1960); Die Hauptlehren des Averroes nach seiner Schrift: Die Widerlegung des Gazali, übersetzt von demselben (1913); Corpus Commentariorum Averrois in Aristotelem, herausgegeben von H. A. Wolfson u. a., auf 7 Bände berechnet (1949 folgende); Averroës' commentary on Plato's Republic, übersetzt von E. I. J. Rosenthal (Neuausgabe 1969).
 
Literatur:
 
L. Gauthier: La théorie d'Ibn Rochd (Averroès) sur les rapports de la religion et de la philosophie (Paris 1909, Nachdr. 1983);
 
Multiple Averroes. Actes du colloque international (ebd. 1978);
 O. N. Mohammed: Averroes' doctrine of immortality (Waterloo 1984);
 K. Flasch: Das philosoph. Denken im MA. (1986);
 A. von Kügelgen: Averroes u. die arab. Moderne (Leiden 1994).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Averroismus: Die Einzigkeit des Intellekts
 

Universal-Lexikon. 2012.