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Ernährung des Menschen
Ernährung des Menschen
 
Wie jeder lebende Organismus benötigt auch der Mensch Energie zur Aufrechterhaltung aller Lebensprozesse. Diese Energie dient letztlich zwei Zielen: der Erhaltung seines Körpers und dessen Lebens. Voraussetzungen hierfür sind die Aufnahme von Nahrung, das Erschließen ihres Energiegehaltes und schließlich die Abgabe der nicht nutzbaren Reststoffe. Auch für den Wasserhaushalt und die Atmung sind eine ständige Zufuhr und Abgabe von Stoffen bei andauernd gleich bleibender Grundfunktion charakteristisch. Der Zustand des Körpers soll sich dabei möglichst nicht verändern. Wasserhaushalt, Sauerstoffgehalt, Temperatur und der Energiegehalt des Körpers, die gleich bleibende Konzentration von Salzen oder Proteinen im Blut — all dies unterliegt dem dynamischen Gleichgewicht von Zufuhr und Abgabe. Während beim Wasserhaushalt die Zufuhr von Trinkwasser und die äquivalente Abgabe von Wasser im Harn und Schweiß noch relativ leicht nachvollziehbar sind, ist die Energiezufuhr in Form einer Tafel Schokolade und ihre Abgabe im dynamischen Gleichgewicht weniger offensichtlich. Sie äußert sich beispielsweise in der Arbeit eines Muskels, in einem Heizbeitrag zum Erhalt der Körpertemperatur oder in der Energie zur Erzeugung eines Schweißtropfens, um den Körper abzukühlen — oder auch in der Produktion eines Gedankens, denn auch diesen gibt es nicht ohne energetischen Aufwand.
 
Panta rhei, »alles fließt«, war schon eine Erkenntnis zur Zeit des klassischen Griechenlands. In diesem Ausdruck steckt die tiefe Erkenntnis des scheinbaren Paradoxons, dass alles in der Welt und somit auch der Mensch durch Aufnahme und Abgabe an jedem Tag die selben Grundzüge seines Wesens und Lebens behält, aber immer wieder in nicht gleich bleibenden Zusammensetzungen existiert. Jeder Mensch ist an jedem neuen Tag gleichzeitig derselbe und trotzdem ein täglich neuer Mensch. »Alles fließt« bedeutet, auf den Menschen bezogen, in der modernen, naturwissenschaftlich geprägten Auffassung, dass der gesunde Mensch ein offenes System im dynamischen Gleichgewicht ist.
 
 Der Mensch braucht ausgewogene Kost
 
Da die Weichteile des Magen-Darm-Traktes nach dem Tod eines Individuums nicht erhalten bleiben, liegen mit Ausnahme des Kauapparates keine fossilen Dokumente über die Ernährung unserer Vorfahren vor. Daher muss eine Herleitung der Ernährungsgewohnheiten mit einem Vergleich mit heute lebenden Menschenaffen beginnen. Die dem Menschen nächstverwandten Primaten sind entweder reine Vegetarier wie der Gorilla oder Mischesser mit vornehmlich vegetarischer Lebensweise wie die Schimpansen und Bonobos. Für ihre jeweilige Lebensweise haben sich diese Tiere jeweils deutlich angepasst. Im Gegensatz zum Menschen besitzen die vegetarisch lebenden Gorillas in ihrem Blinddarm spezielle einzellige Wimperntierchen (Ciliaten), die ein Cellulose spaltendes Enzym, die Cellulase, produzieren. Mithilfe dieser Cellulase können die Ciliaten die Zellwände des holzigen Pflanzenmaterials spalten und so den Zellinhalt als Nahrung erschließen. Ebenfalls wichtig ist aber auch die Verdauung der sich stark vermehrenden Ciliaten selbst, die gewissermaßen in Kultur genommen werden und dann selbst als Nahrung dienen. Dem Menschen fehlen alle diese Einrichtungen völlig, sodass eine Herkunft von rein vegetarischen Vorfahren sehr unwahrscheinlich ist. Vielmehr ist anzunehmen, dass die Gorillas die ausschließlich vegetarische Lebensweise auf ihrem stammesgeschichtlichen Eigenweg neu erworben haben.
 
Stammesgeschichte menschlicher Ernährung
 
Dass der Mensch von Natur aus kein Vegetarier ist, belegen auch einige Daten seines Darmtraktes. So haben vegetarisch lebende Huftiere eine Darmlänge vom Zwölf- bis Zwanzigfachen der Körperlänge, bei Hunden und Katzen liegt dieses Verhältnis beim Vier- bis Sechsfachen, während der menschliche Darm knapp die fünffache Länge der Körperhöhe ausmacht. Auf einen Vierfüßer bezogen würde er etwa den Faktor acht erreichen, also in der Mitte zwischen den Fleisch- und den Pflanzenfressern einzuordnen sein.
 
Auch das Verhältnis der Oberflächen des Darms im Vergleich zu jener des Körpers ist aufschlussreich. Bei den Huftieren ist die Oberfläche der Darmwand rund zweieinhalb- bis dreimal so groß wie jene des Körpers, während bei den Fleisch fressenden Raubtieren die Darmwandfläche nur etwas mehr als die halbe Körperfläche ausmacht. Beim Menschen macht die Fläche des Magen-Darm-Trakts 80 Prozent der Körperaußenfläche aus. Nach solchen und anderen Daten ist der Mensch aus anatomischer und stammesgeschichtlicher Sicht zweifelsfrei ein Mischesser.
 
Die Zähne und Kieferknochen von Menschenaffen sowie fossil erhaltene Gebisse unserer möglichen Vorfahren lassen Vergleiche und Interpretationen zu. Der Gorilla und die beiden Schimpansenarten besitzen größere Mahlzähne (Molaren) als der heutige Mensch. Bei unseren Vorfahren gehen große Molaren in massiveren Kiefern mit kleineren Schneidezähnen einher und umgekehrt. Die frühen Hominiden unterscheiden sich deutlich von Schimpansen durch kleinere Eckzähne, hatten aber relativ große Schneidezähne. Auch die Strukturen des Zahnschmelzes geben Hinweise auf die Lebensweise unserer biologischen Vorläufer. Beide Schimpansenarten und der Gorilla haben dünnere Schmelzschichten als fossile Hominiden und der Mensch. Dafür ist ihr Zahnrelief mit stärkeren Höckern eher zum Zerschneiden des Pflanzenmaterials geeignet.
 
Die Nahrung der Jäger und Sammler
 
Bis vor wenigen Jahren wurde die Bedeutung der Großwildjagd für unsere hominiden Vorfahren wahrscheinlich überschätzt. In quantitativer Hinsicht spielte sie in der Vorgeschichte, ebenso wie heute, eine außerordentlich untergeordnete Rolle. Das betrifft wahrscheinlich die frühesten Hominiden wie den modernen Menschen. Aus der europäischen Altsteinzeit, die vor 10 000 Jahren endete, haben wir besonders aus den Knochenfunden in der Halbhöhle von La Vache (Pyrenäen) sehr genaue Kenntnisse über den Speiseplan unserer damaligen Vorfahren gewonnen. Am häufigsten auf der Speisekarte standen Schneehühner und Schneehasen, zu bestimmten Jahreszeiten auch die kleinen Kälber von Steinböcken. Während in der prähistorischen Kunst jener Zeit vor allem große Huftiere die Wände von Felsheiligtümern schmücken, wurden vornehmlich ganz andere und vor allem kleinere Tiere gegessen.
 
Die Nahrung des Menschen bestand, bei allen in ihrer Nahrungsbeschaffung stark von der Natur abhängigen Gesellschaften, zu einem sehr großen, oft zum größten Anteil aus gesammelter Nahrung. Das trifft aber nicht nur auf Pflanzennahrung zu, sondern interessanterweise auch auf die Versorgung mit kostbaren tierischen Proteinen. Kleintiere wie Landschnecken, Heuschrecken und Frösche trugen erheblich zur Ernährung bei.
 
In fast allen Kulturen der Welt ernähren sich die Menschen vorwiegend vegetarisch. Eine Ausnahme sind die Inuit (Eskimos), denen Nahrungspflanzen kaum zur Verfügung stehen. Es gibt jedoch keine völlig vegetarische Gesellschaft, sodass die Anpassung des Menschen an eine Mischnahrung als hinreichend belegt gelten kann. Stammesgeschichtlich bedeutsam ist vielleicht auch die Abhängigkeit des Menschen von Meerestieren und insbesondere vom Jod. An praktisch allen wichtigen Fundorten von fossilen Frühmenschen bis hin zur noch relativ nahen Altsteinzeit findet man Schalen von Wassertieren, Fischwirbel und andere auf Nahrung aus dem Wasser hinweisende Spuren. Wie heute auch siedelten die Menschen zu allen Zeiten bevorzugt in Wassernähe.
 
 Das dynamische Gleichgewicht der Ernährung
 
Der gesunde erwachsene Körper befindet sich energetisch und stofflich in einem dynamischen Gleichgewicht: Die Bilanz zugeführter und abgegebener Energien über den Zeitraum mehrerer Tage oder Wochen hinweg liegt nah bei null und pendelt um diesen Wert. Exakt null kann diese Bilanz nur beim Durchgang vom positiven in den negativen Bereich oder umgekehrt gemessen werden. In einem solchen angenähert dynamischen Gleichgewicht befinden sich erwachsene Personen, die nicht zu- oder abnehmen. Die Menge energiehaltiger Substanzen des Körpers bleibt also annähernd gleich.
 
Die Einnahme einer Mahlzeit bedeutet in der Regel eine erhebliche Aufnahme an energiehaltigen Substanzen (in der Größenordnung von knapp 3 500 Kilojoule [kJ]). Ihre vollständige energetische Umsetzung nimmt mindestens etwas mehr als einen Tag in Anspruch, kann aber auch ohne weiteres mehrere Wochen dauern.
 
Sauerstoff und Fluor, zwei Extreme der Umsatzdynamik
 
Im Gegensatz zum energetischen Gleichgewicht besitzt das stoffliche eine Dynamik sowohl in kleineren als auch in größeren Zeiträumen. Die Periodenlängen für annähernd ausgeglichene Bilanzen von Stoffen hängen wesentlich von der Gesamtstoffmenge und der Umsatzgeschwindigkeit für das jeweilige Element ab. Das Element mit der kürzesten Zeitspanne für eine ausgeglichene Stoffbilanz ist der Sauerstoff (O2). Insbesondere bei körperlicher Arbeit, zum Beispiel beim Tauchen, meldet der Körper die negativ unausgeglichene Sauerstoffbilanz mit schnell zunehmender Intensität als Drang zum Luftholen, was daher zutreffender als »Sauerstoffholen« bezeichnet werden müsste. Ein einziger kräftiger Atemzug stellt in der Regel in etwa das Gleichgewicht wieder her: Die Sauerstoffbilanz wird sofort wieder ausgeglichen.
 
Die Nutzung des bei einem Atemzug angebotenen Sauerstoffs hängt aber auch vom Bedarf des Körpers ab. Mit einem Liter Atemluft werden etwa 170 ml Sauerstoff eingeatmet. Ohne Arbeitsbelastung nutzt der Körper hiervon nur etwa 40 ml, doch steigert er die Entnahme bei erhöhtem Bedarf. Je nach Körpergröße, Lebens- alter und körperlicher Belastung atmet ein Mensch an durchschnittlichen Tagen rund 15 000 bis 20 000 Liter Atemluft ein und aus. Hieraus entnimmt er als Tagesbedarf etwa 750 bis 1 200 Liter Sauerstoff.
 
Sauerstoff reichert sich im Blut durch forciertes Atmen über eine oder mehrere Minuten an, zum Beispiel beim Aufblasen einer Luftmatratze. Bei einer solchen Hyperventilation wird der Sauerstoff weniger ausgeschöpft, sodass die ausgeatmete Luft einen höheren Anteil an verbliebenem Restsauerstoff enthält. Trotzdem führt eine forcierte Atmung mit erhöhter Sauerstoffsättigung im Blut gelegentlich zu bald einsetzendem Unwohlsein und Schwindel. Da die Betroffenen einfach mit dem forcierten Atmen aufhören können, ist das jedoch nur eine vorübergehende Erscheinung. Eine übermäßige Anreicherung von Sauerstoff auf Dauer wäre für den Organismus giftig. Über viele Atemzüge hinweg gemittelt ist die Bilanz des aufgenommenen, umgesetzten und abgegebenen Sauerstoffs schon im kurzen Zeitraum von wenigen Minuten in der Regel recht genau ausgeglichen.
 
Ganz anders verhält es sich bei langsam und in minimalen Mengen umgesetzten Substanzen, beispielsweise bei Fluor. Die Hauptmenge des Fluors im menschlichen Körper ist in dem vornehmlich aus fluoriertem Hydroxylapatit bestehenden Zahnschmelz gespeichert. Früher wurde angenommen, dass der Stoffumsatz im Zahnschmelz praktisch null sei. Da man aber durch das Angebot einer organischen Fluorverbindung in Zahnpasta einem Fluormangel im Zahnschmelz zum Teil entgegenwirken kann, muss ein gewisser Stoffumsatz gegeben sein. Wegen des außerordentlich langsamen Umsatzes von Fluor in der Knochensubstanz und den Zähnen ist dieses Element kaum zu bilanzieren.
 
Die biologische Halbwertszeit
 
Die Ernährung dient dem Erhalt des dynamischen Gleichgewichtes. Bei erwachsenen Personen mit stabilem Gewicht lassen sich keine messbaren Differenzen zwischen Auf- und Abbau von Substanzen oder Geweben beobachten, sondern lediglich ein Austausch. Die hierbei notwendigen Prozesse bezeichnet man als Stoffwechsel (Metabolismus). Hierbei wird zwischen dem Betriebsstoffwechsel, welcher der Aufrechterhaltung vor allem der Energie wandelnden Stoffwechselprozesse dient, und dem Baustoffwechsel unterschieden, mit dem die Synthese- und Abbauleistungen körpereigener Substanzen gemeint sind.
 
Mit dem Austausch von Elementen und Substanzen in Form molekularer Verbindungen ist der Begriff der biologischen Halbwertszeit eng verbunden. Sie bezeichnet diejenige Zeitspanne, in der eine dem Körper zugeführte Substanz zur Hälfte auf natürlichem Wege (Harn, Stuhl) ausgeschieden wurde. Manche Stoffe werden im Körper im Laufe von Stoffwechselprozessen gespalten und dienen als Grundbausteine anderer körpereigener Substanzen. In diesem Fall entspricht die biologische Halbwertszeit auch der Periode, in der beispielsweise eine giftige Substanz zur Hälfte in ungiftige Spaltprodukte umgebaut wurde. Die biologische Halbwertszeit bei Medikamenten umfasst die Zeitspanne, nach der die Hälfte der Wirksubstanz ausgeschieden wurde beziehungsweise dem Körper noch zur Verfügung steht.
 
Betriebsstoffwechsel und Baustoffwechsel
 
Mit der Nahrung aufgenommene Fette und Kohlenhydrate werden im Betriebsstoffwechsel unter Freisetzung von Energie vornehmlich in die Endprodukte Kohlendioxid (CO2) und Wasser (H2O) gespalten. Bei der Zufuhr überschüssiger Nahrung hingegen werden die Fette und die Kohlenhydrate im Baustoffwechsel zu spezifischem körpereigenem Speicherfett aufgebaut und in den Fettgeweben deponiert. Für die Kohlenhydrate gilt, dass zuvor jedoch der Glykogenvorrat in der Leber — wenn nötig — aufgefüllt wird. Diese »tierische Stärke« ist ein ausgezeichneter, schnell verfügbarer Energiespeicher des Körpers. Seine Kapazität ist jedoch viel geringer als jene des Fettgewebes. Aufgenommene Proteine (Eiweiße) können ebenfalls nur in geringem Umfang gespeichert werden, da der Körper für die Proteine kein nennenswertes Depot hat.
 
Als Ausdruck einer positiven Energiebilanz ist die Anlage von Reserven in Form von Speicherfett durch den Baustoffwechsel eine Art des aufbauenden Stoffwechsels (Anabolismus). Beim Training führt die körperliche Anstrengung oftmals zu gesteigertem Appetit. Der beim Training eingetretene Verlust wird also meist überkompensiert. Dieses Energieangebot führt im Falle körperlicher Schwerarbeit aber nicht zur Fettsynthese, sondern, als weitere Form des anabolen Stoffwechsels, vorrangig zum Aufbau von Knochensubstanz und körpereigenen Proteinen, vor allem der Muskeln, Sehnen und Bänder sowie des Kollagens.
 
Eine negative Stoffwechselbilanz führt zur Abnahme der Körpermasse (Katabolismus). Sie kann zum Beispiel Folge einer verringerten Nahrungszufuhr sein. Katabole Prozesse können aber auch krankhaft sein, so beim Krebs, bei dem ein Abbau von Körpermasse einschließlich der Proteine im Vordergrund steht. Kennzeichnend ist hierbei die Freisetzung des Stickstoffs, der ein wesentlicher Bestandteil der aus Aminosäuren bestehenden Proteine ist. Bei Verdacht auf Krebs ist daher eine negative Stickstoffbilanz oft wegweisend.
 
Prof. Dr. Carsten Niemitz, Berlin
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Nährstoffe: Proteine, Fette und Kohlenhydrate
 
Verdauung: Aufschließen und Bereitstellen

Universal-Lexikon. 2012.