Gorillas
Die Gattung Gorilla gehört wie Schimpanse und Orang-Utan zu den Menschenaffen, den nächsten Verwandten des Menschen. Sie besteht aus nur einer Art mit zwei oder drei Unterarten, die alle in den Regenwäldern des westlichen und östlichen Zentralafrika leben. Gorillamännchen können (aufrecht stehend) eine Höhe von zwei Metern erreichen und bis zu 275 Kilogramm schwer werden; die Weibchen sind deutlich kleiner und leichter. Entgegen lang gehegter Vorurteile sind sie wesentlich friedfertiger als ihre Verwandten Schimpanse und Mensch; sie kennen weder Revierkämpfe noch sexuelle Eifersucht. Konflikte zwischen Gorillas werden durch ein reichhaltiges Repertoire an Droh-, Unterwerfungs- und Beschwichtigungsgebärden und -lauten im Allgemeinen gewaltfrei gelöst. Gorillas sind in ihrem Bestand gefährdet; vor allem die im militärischen Krisengebiet Ruanda-Uganda-östlicher Kongo lebenden Berggorillas sind akut vom Aussterben bedroht.
Abstammung und Verbreitung
Gorillas gehören wie Orang-Utans, Schimpansen und Bonobos (Zwergschimpansen) zur Säugetierfamilie der (Großen) Menschenaffen (Pongidae). Diese bildet in der klassischen biologischen Systematik zusammen mit den Menschenartigen (Hominiden), deren einzige lebende Art der Mensch (Homo sapiens) ist, und den Kleinen Menschenaffen (Gibbons) die Überfamilie der Hominoidae. Menschenaffen und Menschen bilden mit den übrigen Affen und den Halbaffen die Säugerordnung der Primaten oder Herrentiere, die sich bereits im Erdmittelalter, also vor dem Aussterben der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren, aus kleinen Insekten fressenden Säugern (Insectivora) entwickelt hat. In der Erdneuzeit, dem Tertiär, zweigte sich zunächst die Gattung der Orang-Utans von der Entwicklungslinie der Pongidae ab, und zwar etwa vor 10-15 Millionen Jahren. Die letzten gemeinsamen Vorfahren von Gorilla, Schimpanse und Mensch lebten vor zirka 6-11 Millionen Jahren; die Trennung zwischen den Hominiden und den Vorfahren von Schimpanse und Bonobo erfolgte vor 4-6 Millionen Jahren. Diese aus genetischen Untersuchungen gewonnenen Daten veranlassen manche Biologen dazu, die Trennung zwischen Pongidae einerseits und dem Menschen und seinen Vorfahren andererseits aufzuheben; in ihrem Erbgut sind Mensch und Schimpanse einander ähnlicher als Schimpanse und Gorilla.
Berg- und Flachlandgorillas
Die Gattung Gorilla besteht aus nur einer Art, Gorilla gorilla, die man in zwei oder drei Unterarten einteilt: den Berggorilla (G. gorilla beringei) und den Flachlandgorilla (G. gorilla gorilla); Letzterer wird auch als Westlicher Flachlandgorilla vom Östlichen Flachlandgorilla (G. gorilla graueri) abgegrenzt. Flachlandgorillas leben in den Regenwäldern des westlichen Zentralafrika, vor allem in Kamerun, Gabun und der Republik Kongo. Das natürliche Verbreitungsgebiet der Berggorillas beschränkte sich schon zu Beginn der systematischen Erforschung dieser Unterart Ende der 1950er-Jahre auf kleinere Gebiete in den Gebirgen westlich der großen Seen in Uganda, Ruanda und im Osten der Demokratischen Republik Kongo (früher Zaire). Die Größe der Populationen wurde früher überschätzt, da Gorillas in durchforsteten Waldgebieten in der Nähe menschlicher Siedlungen mehr Nahrung finden und dort deshalb überproportional häufig gesehen werden. Seit den 1970er-Jahren gibt es wohl nur noch höchstens 4 000-10 000 Östliche Flachlandgorillas und wenige hundert Berggorillas. Die Westlichen Flachlandgorillas sind mit geschätzten 50 000-100 000 Exemplaren noch zahlreicher, aber ebenfalls durch Vernichtung und Zerstückelung ihres Lebensraums sowie durch Wilderer bedroht.
Berggorillas unterscheiden sich von den Flachlandgorillas vor allem durch ihr dichteres und fast schwarzes Fell, außerdem haben sie einen stärkeren Scheitelkamm. Sie wandern bis in Höhen von 3 500 Metern, wo es auch am Äquator empfindlich kalt werden kann. Aufgrund der beeindruckenden Forschungsleistungen von Wissenschaftlern wie dem Ehepaar Schaller und der 1985 ermordeten Forscherin Dian Fossey sind Verhalten und Lebensweise der Berggorillas heute recht gut erforscht. Ob dies allerdings noch zur Rettung dieser extrem bedrohten Unterart beitragen wird, ist fraglich.
Gesellschaftliches Leben der Berggorillas
Zwischen 1959 und 1985 haben zunächst George B. Schaller zusammen mit seiner Frau Kay und dann Dian Fossey mit Feldforschungen zur Lebensweise der Berggorillas im Gebiet der Virungavulkane (Dreiländereck Kongo-Ruanda-Uganda) beeindruckende Ergebnisse zusammengetragen. Sie konnten zeigen, dass das Bild vom menschenbedrohenden oder sogar menschenfressenden Monster à la King Kong ein Fantasieprodukt europäischer Abenteurer ist. In Wirklichkeit sind Gorillas vegetarische, introvertierte und sehr friedliche Wesen. Die folgenden Darstellungen beziehen sich im Wesentlichen auf Schallers und Fosseys Erkenntnisse, sind aber vermutlich in vielen Punkten auf Flachlandgorillas übertragbar.
Die wichtigste Erkenntnis, die die Untersuchungen überhaupt erst möglich gemacht hat, war, dass Gorillas sich in ihren Gesichtszügen und ihrem Verhalten so stark voneinander unterscheiden, dass die Forscher das Schicksal und die persönliche Entwicklung einzelner Tiere über Jahre und Jahrzehnte verfolgen konnten.
Familienleben und gewaltfreie Konfliktprävention
Die meisten Gorillas leben in stabilen Familienverbänden von bis zu 30 Mitgliedern, die sich aus ein bis zwei erwachsenen Männern mit silbernem Rückenfell (»Silberrücken«), einer davon als Anführer, bis etwa acht Weibchen sowie deren Nachkommen zusammensetzen. Besonders Männchen ziehen auch als Einzelgänger umher oder schließen sich für kürzere oder längere Zeit fremden Gruppen an, sofern diese das dulden.
Die Gruppe hat eine klare hierarchische Struktur, wobei die erwachsenen Männchen an der Spitze stehen, gefolgt von den erwachsenen Weibchen, den Heranwachsenden und den Kindern. Ranghöhere Individuen erhalten an Engstellen den Vortritt und können andere Tiere von Ruheplätzen oder trockenen Unterständen vertreiben. Um die Rangfolge gibt es normalerweise kaum Auseinandersetzungen, und wenn, dann sind sie fast immer gewaltlos. Dies liegt daran, dass die Gorillas ein reiches Repertoire an Gesten und Lauten haben, mit denen solche Streitigkeiten geführt und beigelegt werden können, ohne dass es zu Handgreiflichkeiten kommen muss. Auch das gefürchtete Auf-die-Brust-Trommeln und Scheinangriffe gehören hierzu, vor allem aber Gesten wie Kopfschütteln, zur Seite schauen oder beruhigendes Murmeln. Indem sie diese besänftigenden Signale entdeckten und selbst anwendeten, konnten sich Schaller und Fossey das Vertrauen von mehreren Gorillafamilien erwerben. Eine Gruppe erkannte Fossey nach drei Jahren Abwesenheit durch einen gründlichen Blick ins Gesicht wieder und nahm sie mit herzlichen Gesten als »verlorene Tochter« wieder in die soziale Struktur auf.
Es gibt allerdings Ausnahmen vom grundsätzlich sehr friedlichen Miteinander: Wie beim Menschen muss auch beim Gorilla soziale Kompetenz erst gelernt und geübt werden; es kommt daher immer wieder vor, dass unbesonnene Heranwachsende die Drohgebärden der Älteren und Stärkeren ignorieren oder missverstehen und dann ernstliche Bissverletzungen erleiden können. Und innerhalb der Frauengruppe hängt die Rangfolge auch davon ab, ob einzelne Tiere gerade empfängnisbereit sind oder Säuglinge pflegen. Die sich immer wieder ändernde Rangfolge ist natürlich konfliktträchtiger als ein stabiles hierarchisches Gefüge.
Reviere und Gruppenwechsel
Eine Gorillagruppe lebt in einem ausgedehnten Revier, das viele Quadratkilometer groß sein kann und das sie bei ihren Streifzügen während der Nahrungssuche nicht verlässt. Anders aber als Schimpansen und Menschen, die lange und blutige Kämpfe um die Verfügungsgewalt über ein Revier austragen können, stört es eine Gorillagruppe normalerweise nicht, wenn in »ihrem« Gebiet eine weitere Gruppe umherzieht, solange sie sich im Alltag nicht gegenseitig behindern. Von diesem paradiesisch erscheinenden Nebeneinander der Gorillabevölkerung gibt es nur eine - in unseren Augen - barbarisch erscheinende, auf jeden Fall zunächst irritierende Ausnahme: Wenn eine Gorillafrau ihre Gruppe verlässt, entweder weil sie eine zu niedrige Rangposition hat oder weil ihr Partner oder ihre Eltern umgekommen sind, und sich einer neuen Gruppe mit einem neuen Sexualpartner anschließt, so tötet dieser ihre Kinder, sofern sie noch im Säuglingsalter sind. Ältere Kinder lässt die Gorillafrau in der alten Gruppe zurück, wo sie von Vater und Verwandten aufgezogen werden. Zu diesem Verhalten gibt es im Tierreich eine Entsprechung, nämlich bei Löwen. Auch diese leben zum Teil in familiären Gruppen mit einem männlichen Anführer; wenn dort ein neuer Löwe ein Rudel übernimmt, tötet er manchmal die vom Vorgänger gezeugten Jungtiere. Bei beiden Arten hat diese Kindstötung möglicherweise mit genetischen Vorteilen für die tötenden Männchen zu tun, die auf diese Weise schneller eigenen Nachwuchs zeugen können, vielleicht auch mit der Tatsache, dass Gorillas wie Löwen keine natürlichen Feinde haben. Ein weiterer selektiver Vorteil des mit Kindstötung verbundenen Auswanderns aus dem Familienverband ist die dadurch verringerte Inzucht in den Familienverbänden.
Abgesehen vom Töten der nicht selbst gezeugten Jungtiere (das übrigens die betroffenen Mütter psychisch stark belastet) sind aber Gorillamänner sehr geduldige und aufmerksame Väter; manchmal turnen fünf und mehr Kleinkinder auf ihnen herum. Und auch die Rolle als absoluter Anführer üben sie nicht wie Löwen oder manche Menschen aus, sondern meistens sehr verständnisvoll, bedächtig und auf Ausgleich innerhalb der Gruppe bedacht.
Der Tagesablauf einer Gorillagruppe wird von Folgendem bestimmt: Zum einen haben Gorillas weder natürliche Feinde noch machen sie Jagd auf Beutetiere - sie essen zwar in Zoos angebotene fleischliche Nahrung, es wurde aber noch nie beobachtet, dass sie auch nur ein Insekt gefangen (beziehungsweise verdaut und ausgeschieden) hätten. Zum anderen benötigen sie aufgrund ihres rein pflanzlichen Speiseplans, der auch Triebe, Blätter und Rinde umfasst, eine recht große Nahrungsmenge. Dies bedeutet, dass Gorillas verhältnismäßig lange essen müssen, sonst aber fast gar nichts zu tun haben. Daher beginnt der Tag für eine Gorillagruppe mit einem ausführlichen zwei- bis dreistündigen Frühstück. Zwischen neun und zehn Uhr vormittags beenden sie die Mahlzeit und ruhen dann bis in den Nachmittag hinein; dabei kommt es oft vor, dass sie regelrechte Sonnenbäder nehmen. Bei einem der in ihren Siedlungsgebieten häufigen Regenfälle stellen sie sich nur dann unter einen Baum, wenn der Regen heftig wird. Nachmittags beginnt eine weitere Essensphase. Dabei streifen sie gemächlich durch den Wald und legen maximal - je nach Nahrungsangebot - drei bis fünf Kilometer pro Stunde zurück. Um fünf, spätestens sechs Uhr abends beginnt der Anführer (und damit die ganze Gruppe) mit dem Bau eines Schlafnests, und zwar dort, wo er sich gerade befindet: Gorillas schlafen jede Nacht an einer anderen Stelle. Während der Nacht, die am Äquator das ganze Jahr über ungefähr von sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens dauert, schlafen (und verdauen) die Gorillas.
Paarung und Nachwuchs
Ein weiterer Unterschied zwischen Gorillas einerseits und Schimpansen und Menschen andererseits besteht darin, dass Gorillas anscheinend keinerlei Eifersucht bei der Paarung kennen. Auch wenn die meisten Paarungsakte mit dem ranghöchsten Mann geschehen, lässt er es zu, wenn direkt neben ihm ein rangniederer Mann mit einer der Frauen seiner Gruppe kopuliert. Gorillafrauen haben eine sehr geringe Fruchtbarkeit; sie gebären nur alle dreieinhalb bis viereinhalb Jahre ein einzelnes Junges, das mit zwei bis vier Jahren vollständig von der Mutter entwöhnt ist. Allerdings kann das Baby bereits mit zwei bis drei Monaten feste Nahrung zu sich nehmen; generell entwickelt sich ein Gorillababy etwa doppelt so schnell wie ein Menschenbaby. Geschlechtsreif werden junge Gorillas mit sechs bis sieben Jahren, ihre erste Geburt haben junge Gorillafrauen meist aber erst mit zehn Jahren. Und von den Jungtieren einer Gruppe erreicht normalerweise nur die Hälfte das Erwachsenenalter - dies reicht gerade zur Reproduktion einer recht geringen Bevölkerungsdichte. Möglicherweise findet sich hier ein Grund für die erstaunliche Friedfertigkeit und Ausgeglichenheit dieser Tierart: Bei einer niedrigen Bevölkerungsdichte und wenigen Geburten müssen Gorillas wenig Energie in Revierkämpfe und »Liebesdramen«, aber viel in eine fürsorgliche Betreuung der Jungtiere investieren. Gorillas können recht alt werden: Ihre Lebenserwartung beträgt bis zu 50 Jahren.
Gorillas und Menschen
Anders als mit Schimpansen hatten die Europäer in historischer Zeit fast nie direkten Kontakt mit den scheuen und zurückgezogen lebenden Gorillas. So konnte sich das Bild der bedrohlichen Bestie formen, bei der nicht einmal klar war, ob es sich um Tiere oder »wilde« Menschen handelte (sicherlich haben sich dabei rassistische Vorstellungen von den afrikanischen Ureinwohnern und von unbekannten gefährlichen Wildtieren gegenseitig bestärkt). Mit der Eroberung Afrikas durch die Europäer gelangten erstmals lebende Gorillas in die gerade im Entstehen begriffenen zoologischen Gärten, wo sie aber durch falsche Ernährung und Haltung schnell starben. Mit zunehmendem Wissen über die notwendigen Haltungsbedingungen etablierte sich ein für den Bestand der Art fatales Gewerbe: die Wilderei nach Gorillakindern, welche nach Europa und Nordamerika an private und öffentliche Zoos verkauft wurden. Um eines Jungtiers habhaft zu werden, muss man normalerweise seine gesamte Familie umbringen, denn ein erwachsener Gorilla würde jeden Menschen, der ein Kind seiner Gruppe bedroht, angreifen und töten. Seit den 1960er-Jahren gelingt die Aufzucht von in Zoos gehaltenen Gorillas immer besser, Pionierdienste wurden hier von Bernhard Grzimek am Frankfurter Zoo geleistet: Dieser Zoo führt das internationale Zuchtbuch für Flachlandgorillas (Berggorillas werden fast nirgendwo gehalten). Heute sind etwa zwei Drittel aller in Zoos lebenden Gorillas in Gefangenschaft geboren. Aber noch immer ist die Wilderei für die Menschen in den von Bürgerkriegen zerrütteten Siedlungsgebieten der Gorillas (Kongo, Ruanda) eine der wenigen einträglichen Tätigkeiten, und illegale Ausfuhren von Gorillababys für reiche Privatleute sind weiterhin eine ernste Gefahr für diese einmalige Tierart.
Noch gefährlicher aber ist die Zerstörung der Regenwälder, welche nicht nur den Lebensraum der Gorillas überhaupt einschränkt, sondern diesen auch in immer kleinere Inseln zersplittert. Diese Zersplitterung verstärkt die Inzucht und nimmt den Gorillas die ungestörten Rückzugsgebiete, wo sie dem Menschen aus dem Wege gehen können.
Universal-Lexikon. 2012.