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Ensemblemusik der Renaissance
Ensemblemusik der Renaissance
 
Unter Ensemble versteht man das Zusammenwirken mehrerer zumeist solistisch besetzter Instrumentalstimmen. Von großer Bedeutung war das ins 16. Jahrhundert zurückreichende englische Consort. Derartige Consorts bestanden aus verschiedenen Violen, Lauten, Cistern und Flöten. Die Hauptgattung für Violenconsorts war bis hin zu Henry Purcell die »Fantasia« oder auch »Fancy«. Ihr italienisches Pendant war die »Canzona«, in ihrem Ursprung die ausgearbeitete Transkription französischer Chansons, die allerdings nur bis etwa zur Mitte des 17. Jahrhunderts gepflegt wurde und nicht in allen Punkten der Fantasia entsprach. Ebenso beliebt waren Suiten, also Sammlungen einzelner Tanzsätze, die häufig für eher kleines Ensemble — meist zwei Violinen und Continuo — komponiert wurden. Da die Satzfolge nicht streng normiert war, ließen sich — je nach Geschmack — unterschiedliche Abfolgen zusammenstellen. Auch die höfische Sonata da camera enthielt zunächst in ihrer Reihenfolge nicht festgelegte Tanzsätze; die Kirchensonate, die Sonata da chiesa, war aufgrund ihres eher feierlichen Gestus dagegen der Canzona verpflichtet. Da jedoch einerseits die Kammersonate nicht durchgehend auf Tanzsätzen beruhte, andererseits aber die Kirchensonate durchaus tanzartige Sätze mit einbezog, relativierte sich mitunter der Gattungsunterschied. Obwohl die Triobesetzung mit zwei Violinen und Continuo vorherrschte, experimentierte man schon früh auch mit der auf ein Instrument reduzierten Besetzung, der Solosonate. Ebenso ließ sich die Sonata auf fünf oder sechs Instrumente erweitern; den Aufführenden war es selbst überlassen, Mittelstimmen hinzuzufügen. Die Barocksonate erweist sich in Besetzung und Form als äußerst flexibel. Die Fülle der Sonatendrucke lässt auf ihre allgemeine Beliebtheit schließen.
 
Anders als in Italien verlangten in Deutschland und Österreich viele Komponisten ein ausgesprochen virtuoses Spiel auf der Violine. So sind beispielsweise Johann Jakob Walthers »Scherzi da violino solo« von 1676 eher polyphon gehalten und verlangen einen technisch versierten Spieler. Dies gilt ebenso für die oftmals erst durch Umstimmen einzelner Saiten spielbaren, nur handschriftlich überlieferten Sonaten Heinrich Ignaz Bibers. Derart virtuose, mit Mehrfachgriffen gespickte Sonaten finden sich in Italien kaum. Dies liegt nach neueren Forschungsergebnissen mutmaßlich nur daran, dass die Darstellung derart komplexer Stimmen drucktechnisch problematisch und sehr kostspielig war.
 
Für die Triosonate setzte in Italien Arcangelo Corelli den später kaum mehr erreichten Standard. Zahlreiche Drucke der Folgezeit beziehen sich ausdrücklich auf das Vorbild dieser schnell als klassisch angesehenen Sonaten; im »Stile corellisante« versuchten sich in Deutschland unter anderem Georg Philipp Telemann, in Frankreich François Couperin und in Italien Antonio Vivaldi.
 
Die Termini »Sinfonia« und »Concerto« wurden im 17. Jahrhundert lange uneinheitlich verwendet. Die zunächst als Opernvorspiel genutzte »Sinfonia« kleineren Zuschnitts löste sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts von ihrer Bindung an die Oper und entwickelte sich zur selbstständigen Konzertsinfonie. Alessandro Scarlatti bevorzugte ab 1700 für die Sinfonia die Satzfolge schnell — langsam — schnell, die für das 18. Jahrhundert maßgeblich wurde. Aus dem instrumentalen »Concerto«, das zunächst nur hin und wieder solistische Abschnitte aufwies, entwickelten sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts das Solokonzert und das Concerto grosso. Das Prinzip des Concerto grosso besteht darin, dass ein Klangkörper in Triobesetzung (zwei Melodieinstrumente und Generalbass) dem als »Tutti« oder »Ripieno« bezeichneten Orchester gegenübergestellt wird. Derartige Satztechniken waren zuvor im Vokalbereich entwickelt worden. Kurz vor 1700 hatte sich diese Gattung vor allem in Rom etabliert. Arcangelo Corelli und in seiner direkten Nachfolge der Österreicher Georg Muffat waren die ersten, die das rein instrumentale Musizieren mit unterschiedlichen Klanggruppen populär machten. Gut fünfzig Jahre lang konnte sich diese Gattung gegenüber anderer konzertanter Musik in ganz Europa behaupten. Telemann und Bach (zum Beispiel 5. Brandenburgisches Konzert) übernahmen in Deutschland das Concerto-grosso-Prinzip ebenso wie in England Händel oder William Boyce und in Frankreich Jean-Marie Leclair.
 
Auch das Solokonzert erfreute sich einer schnell wachsenden Beliebtheit. Bereits in Giuseppe Torellis 1709 erschienenem op. 8, einer Sammlung von zwölf als Concerti grossi bezeichneten Kompositionen, sind sechs Konzerte für Solovioline enthalten. Ähnlich »versteckt« sind die vier Solokonzerte in Vivaldis »L'estro armonico«, die neben Concerti für zwei und vier Violinen stehen.
 
Auch programmatische Titel wie die berühmten »Vier Jahreszeiten« (»Quattro stagioni«) konnten dem konzertierenden Prinzip folgen. Obwohl er die Violine bevorzugte, versuchte Vivaldi mit großem Erfolg, das für Solokonzerte konstitutive Prinzip des Wechsels zwischen Solo und Tutti auch für andere Instrumente nutzbar zu machen. Zahlreiche Konzerte für Flöte, Oboe, Mandoline, Fagott und Violoncello sind von ihm überliefert. Auffallend ist die besondere Qualität der Konzerte für Bassinstrumente. Konzerte für Tasteninstrumente hingegen sind in seinem Œuvre nicht nachweisbar. Erste Versuche, auch Tasteninstrumente solistisch einzusetzen, finden sich in Bachs 5. Brandenburgischen Konzert. Bei Bachs Cembalokonzerten handelt es sich — soweit zu erkennen ist — durchweg um Bearbeitungen von Konzerten für ursprünglich andere Soloinstrumente. Obwohl Bach in einigen Kantatensätzen auch die Orgel solistisch eingesetzt hat, scheint er, anders als Händel, keine Orgelkonzerte geschrieben zu haben. Händels Orgelkonzerte entstanden für die Zwischenspiele in seinen Oratorien und zeigen gelungene Lösungen für das nicht einfache Problem der Balance zwischen Soloinstrument und Orchester. Neben Bach, der aufgrund unterschiedlicher Gewichtung und Integration der Solo-tutti-Kontraste zwar deutlich das Vorbild Vivaldis erkennen lässt, dem zugleich aber eine eigenständige Synthese gelang, schrieb auch Georg Philipp Telemann zahlreiche Solokonzerte, bei denen er jedoch nicht primär italienische, sondern in ähnlichem Maß auch französische Elemente integrierte.
 
Während in Italien in der Nachfolge Vivaldis vor allem Giuseppe Tartini und Pietro Antonio Locatelli immer höhere Ansprüche an die Virtuosität stellten, entwickelte sich in Frankreich ein starker Widerstand gegen das Solokonzert. Dennoch veröffentlichten einige wenige, dann zumeist in Italien ausgebildete Komponisten einzelne Sammlungen. Einer von ihnen war Jean-Marie Leclair, dessen Violinkonzerte deutlich dem vivaldischen Vorbild folgen.
 
Dr. Reinmar Emans
 
Literatur:
 
Europäische Musik in Schlaglichtern, herausgegeben von Peter Schnaus. Mannheim u. a. 1990.
 
Geschichte der Musik, herausgegeben von Alec Robertson und Denis Stevens. Band 2: Renaissance und Barock. Aus dem Englischen. Sonderausgabe Herrsching 1990.
 
Die Musik in Geschichte und Gegenwart, begründet von Friedrich Blume. Herausgegeben von Ludwig Finscher. Auf 21 Bände berechnet. Kassel u. a. 21994 ff.
 
Neues Handbuch der Musikwissenschaft, begründet von Carl Dahlhaus. Fortgeführt von Hermann Danuser. Band 3 und 4. Sonderausgabe Laaber 1996.

Universal-Lexikon. 2012.