Violine.
Die Violine nimmt in der Tanz- und Unterhaltungsmusik des 19. Jahrhunderts jene dominierende Stelle ein, die heute die Gitarre in der Rockmusik inne hat. Die führenden Musiker, Kapellenleiter und Komponisten (meist in Einheit) waren Geiger (Stehgeiger); als Beispiele seien Joseph Lanner (1801-1843) und Johann Strauß (Vater, 1804-1849, und Sohn, 1825-1899) genannt. Die spieltechnischen Möglichkeiten des Instruments prägten einen Großteil der Kompositionen (wie etwa der Strauß-Walzer: »geigerische« Melodien, Wahl der Tonarten usw.). Das trifft ebenso auf die kleinen Ensembles zu (Schrammelmusik). Der Stellenwert der Violine ist auch aus der Struktur der Druckarrangements ersichtlich ; sowohl in der Pariser wie auch in der Wiener und Berliner Besetzung führt die Violine (obligat). Diese Tradition lebte auch auf amerikanischem Boden fort. So finden sich vereinzelt in den Ragtime- und New-Orleans-Bands Geiger, die jedoch bald den Bläsern weichen mussten. Seither nimmt die Violine eine gewisse Sonderstellung im Jazz ein. Der erste bedeutende Jazzgeiger war Joe Venuti (1904-1978), der schon 1926/27 durch sein virtuoses Spiel und seine Akkordtechnik Aufsehen erregte (vergleiche die Duos mit dem Gitarristen Eddie Lang). In den Dreißigerjahren profilierte sich als Mitglied des berühmten Quintette du Hot Club de France Stéphane Grappelli (1908-1997) als einer der besten europäischen Jazzgeiger. Stuff Smith (1909-1967), dessen herbes, rhythmisch forciertes Spiel im Kontrast zu Venuti und Grappelli stand, nutzte als erster die Möglichkeit der elektrischen Verstärkung (Kontaktmikrofon an der Decke der Violine). Zu den wichtigsten Persönlichkeiten, die in den Sechzigerjahren eine »Geigenwelle« im Jazz (und Jazzrock) auslösten, gehören der Franzose Jean Luc Ponty (* 1942), der Pole Zbigniew Seifert (1946-1979) und der Franzose Didier Lockwood (* 1956). Mit Leroy Jenkins (* 1930) und Billy Bang (William Walker, geboren 1947) sei auf zwei weitere Geiger verwiesen, die — wenn auch durchaus individuell — die Jazz-Traditionslinie ihres Instruments weiterführen, eine oft fast perkussive Spielweise mit neuen Klangqualitäten verbinden (wie bei ihren Solo-LPs).
Als Fiedel (nicht mit der historischen Fidel zu verwechseln) bzw. Fiddle bezeichnet, gehört die Geige nach wie vor zum Volksmusikinstrumentarium mit zum Teil abweichender Spielweise und -haltung. Man begegnet ihr letztlich überall in Europa, besonders aber in Irland, Schottland, England und Skandinavien. Von dort kam sie auch mit den Auswanderern nach Amerika, wo sie seither zum unverkennbaren Klangbild der Countrymusic gehört. Eine Vielzahl unterschiedlicher Fiddle Styles entstand. Wohl namhaftester Vertreter ist der in Nashville beheimatete Vassar Clements (* 1928). Sein »Lonesome Fiddle Blues«, vor allem aber der mit dem Gitarristen Doc Watson eingespielte »Black Mountain Rag« sind bleibende Dokumente des Bluegrass. In Weiterführung dieser folkloristischen Traditionslinie fand die Violine Eingang in die Rockmusik, zunächst in den Folkrock der Sechzigerjahre in den USA und England, bald aber auch in den Jazzrock. Hier muss an erster Stelle noch einmal auf den schon erwähnten Ponty verwiesen werden, der seinem Instrument auch durch elektronische Möglichkeiten neue Klangqualitäten entlockte. Belege dafür sind die in Zusammenarbeit mit Frank Zappa entstandenen LPs »Aurora« (1976) und »Enigmatic Ocean« (1977), neben ihm sind Jerry Goodman (* 1943; zunächst bei The Flock, dann unter anderem im Mahavishnu Orchestra) und Don Sugarcane Harris (* 1938) zu nennen (z. B. LP »Fiddler on the Rock«, 1971). Eine Synthese aus traditionellen Streichertechniken und rockästhetischen Klangvorstellungen bildet das von Georgie Gogow eingespielte Solo im Titel »Am Fenster« (1978) der ehemaligen DDR-Rockgruppe City. Mit nachgerade artistischem Können begeistern immer wieder die Geigensolisten von Folkloreensembles aus den Balkanländern und von Zigeunerkapellen (Primás = Vorgeiger). Das Violinspiel prägt z. B. auch die Melodik des Csardas. Der Einsatz der Violine in der gegenwärtigen Tanzmusikpraxis beschränkt sich weitgehend auf das Tanzstreichorchester beziehungsweise auf Backgroundfunktion bei Schlagerproduktionen. Als Solist trat unter anderem Helmut Zacharias (* 1920) hervor.
Universal-Lexikon. 2012.