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Frauenliteratur
Frau|en|li|te|ra|tur, die <Pl. selten>:
von Frauen verfasste [im Zusammenhang mit der Frauenbewegung entstandene] Literatur, Frauen betreffende Literatur.

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Frauenliteratur,
 
im weiteren Sinn die von Frauen verfasste Literatur (früher meist Frauendichtung genannt), im engeren Sinn die im Zusammenhang mit der »Neuen Frauenbewegung« entstandenen fiktionalen Werke von Frauen. Der umstrittene Begriff »Frauenliteratur« kann nur historisch gedeutet werden. Er geht darauf zurück, dass schreibende Frauen, bedingt durch ihre marginale Stellung in einer männlich dominierten Kultur, spezifischen Genres, Schreibweisen und Themen bevorzugt haben.
 
Die neue Frauenliteratur, die seit Ende der 1960er-Jahre mit einem breiten Spektrum von Publikationen in Westeuropa, den USA und zunehmend auch in den Ländern der Dritten Welt hervortritt, lenkte auch das Interesse auf die von der Literaturgeschichtsschreibung weitgehend vergessenen oder nicht beachteten literarischen Werke von Frauen in der Vergangenheit. Vorbildcharakter für die Vertreterinnen der neuen Frauenliteratur gewannen Autorinnen wie George Sand, Jane Austen, die Geschwister Brontë, Virginia Woolf, Kate Chopin, Djuna Barnes, Gertrude Stein, Katherine Mansfield, Jean Rhys, Unica Zürn (* 1916, ✝ 1970), Marieluise Fleisser, Sylvia Plath, Simone de Beauvoir, Anaïs Nin, Ingeborg Bachmann.
 
Selbstverständnis und Thematik der neuen Frauenliteratur wurden nachhaltig von den emanzipatorischen Zielsetzungen und der Kulturkritik der »Neuen Frauenbewegung« beeinflusst. Obwohl einige bedeutende Autorinnen der Frauenbewegung distanziert gegenüberstehen und das Etikett »Frauenliteratur« für ihre Werke ablehnen (z. B. Doris Lessing, Joyce Carol Oates, Margaret Drabble, Rose Ausländer, Sarah Kirsch, Iris Murdoch, Gabriele Wohmann, Barbara Frischmuth, Nathalie Sarraute), ist auch bei ihnen eine Sensibilität für frauenspezifische Themen festzustellen. Trotz der individuellen Vielfalt der Themen und Ausdrucksformen kann die Suche nach dem weiblichen Ich als gemeinsamer Ausgangspunkt der neuen Frauenliteratur gelten. Lebensgeschichtlich, oft psychoanalytisch vertiefte Selbstdeutung und Neuentdeckung eines spezifisch weiblichen Erlebens stehen im Zentrum der vielfach autobiographisch orientierten Werke. Dabei kommt der Rückbesinnung auf die Kindheit, der Auseinandersetzung mit den Eltern, v. a. der Aufarbeitung des Mutter-Tochter-Konflikts, eine Schlüsselfunktion zu (Marie Cardinal, Annie Hernaux, Marguerite Duras, Christa Wolf, Helga Novak, Elisabeth Plessen, Jutta Heinrich, Katja Behrens, Elfriede Jelinek u. a.). Die Privatsphäre der erwachsenen Frau (Ehe, Partnerschaft, Familie, Sexualität) wird oft als ein von Männern beherrschter Raum beschrieben, in der Frauen den Widerspruch zwischen Unterwerfung und Befreiungsversuchen erleben (Erica Jong, Marilyn French, Marie Chaix [* 1942], Karin Struck, Verena Stefan, Brigitte Schwaiger, Christa Reinig, Brigitte Kronauer, Ursula Krechel, Margot Schröder [* 1937]). Krankheit als äußerster Versuch, Unterdrückung und Selbstverlust zu artikulieren, wird von Autorinnen wie Marie Cardinal, Emma Santos, Marilyn French, Madeleine Chapsal (* 1925), Maria Erlenberger thematisiert. Neben Werken, in denen die Aufarbeitung persönlicher Probleme im Vordergrund steht, findet sich eine sozialkritische (fiktionale wie dokumentarische) Literatur, die die Schilderung des Alltags- und Berufslebens von Frauen mit einer mehr oder weniger expliziten Kritik an den Deformationen verbindet, die das patriarchalische Wertsystem an Psyche und Körper von Frauen hervorbringt (Erika Runge [* 1939], Marianne Herzog [* 1939], Ingeborg Drewitz, Angela Mechtel, Maxie Wander, Gabriele Wohmann). Hier zeichnet sich auch der wachsende Trend ab, Gesellschaftskritik mit mythischen, utopischen und märchenhaften Gegenbildern zu verbinden (Christiane Rochefort, Françoise d'Eaubonne, Claire Etcherelli, Eva Demski, Barbara Frischmuth, Irmtraud Morgner, Rahel Hutmacher [* 1944], Gertrud Leutenegger, Hannelis Taschau [* 1937], Christa Wolf).
 
Auf der theoretischen Ebene führte die Auseinandersetzung mit der alten und neuen Frauenliteratur zu der Diskussion einer spezifisch weiblichen Ästhetik und Sprache. Führende Vertreterinnen dieser Theoriedebatte sind die französischen Wissenschaftlerinnen und Schriftstellerinnen Hélène Cixous, Luce Irigaray (* 1930) und Julia Kristeva. Ausgehend von ihrer Kritik am logozentrischen Denk- und Sprachsystem fordern sie eine von der weiblichen Libido und Körpererfahrung determinierte weibliche Ästhetik und Schreibweise (»écriture féminine«), die die symbolischen Strukturen des Patriarchats aufbricht und den männlichen Weiblichkeitsmythen eigene, dem weiblichen Unbewussten entsprungene Bilder, Mythen, Symbole, Rhythmen entgegenstellt. Autorinnen, die nicht nur eine Innovation der Inhalte, sondern auch neue Textstrategien und Schreibweisen anstreben, sind z. B. Monique Wittig, Chantal Chawaf, Marguerite Duras, Verena Stefan, Monika Schröder, Svende Merian (* 1955), Adrienne Rich und Mary Daly.
 
In der Dritten Welt geht es den Autorinnen von Frauenliteratur v. a. um die Befreiung der Frau aus traditionellen religiösen und sozialen Zwängen, oft unter Beibehaltung traditioneller Ausdrucksformen. Wichtige Vertreterinnen der Frauenliteratur sind in Indien Anita Desai, in Neuseeland Patricia Grace, in der Karibik Grace Nichols (* 1950) und Jamaica Kincaid, in der Republik Südafrika beziehungsweise Botswana Bessie Head.
 
Literatur:
 
G. Auburtin: Tendenzen der zeitgenöss. F. in Frankreich (1979);
 
Neue Lit. der Frauen, hg. v. H. Puknus (1980);
 E. Friedrichs: Die deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 18. u. 19. Jh. (1981);
 B. Burmeister: Écriture féminine, in: Lendemains 25/26 (1982);
 
Frauen - Sprache - Lit., hg. v. M. Heuser (1982);
 
F., hg. v. M. Jurgensen (Neuausg. 1985);
 K. Richter-Schröder: F. u. weibl. Identität (1986);
 S. Weigel: Die Stimme der Medusa. Schreibweisen in der Gegenwarts-Lit. von Frauen (1987);
 
The Oxford companion to women's writing in the United States, hg. v. C. N. Davidson u. L. Wagner-Martin (New York 1995);
 
Frauen - Literatur - Geschichte, hg. v. H. Gnüg u. R. Möhrmann (21998).

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Frau|en|li|te|ra|tur, die: von Frauen verfasste [im Zusammenhang mit der Frauenbewegung entstandene] Literatur, Frauen betreffende Sachliteratur.

Universal-Lexikon. 2012.