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Frieden von Brest-Litowsk
Frieden von Brest-Litowsk
 
Der 3. Allrussische Sowjetkongress rief am 15. Januar 1918 die Russische Sozialistische Sowjet-Republik als Föderation aus und ver abschiedete die Deklaration der Rechte des werktätigen und ausgebeuteten Volkes, die dann auch in die Verfassung vom 10. Juni 1918 einging. Damit war die staatsrechtliche Folgerung aus den Ergebnissen der Oktoberrevolution gezogen worden. Die am 5. Januar 1918 zusammengetretene Nationalversammlung hatte sich mit ihrer deutlichen Mehrheit aus nichtbolschewistischen Parteien, vorab der Sozialrevolutionäre, geweigert, die seit Oktober getroffenen Maßnahmen überhaupt zu beraten. Daraufhin war sie von den Bolschewiki aufgelöst worden.
 
Die Grenzen des neuen Staates konnten noch keineswegs als gesichert gelten. Das unmittelbar nach dem Oktoberumsturz erlassene Gesetz über den Frieden hatte nur bei Deutschland und seinen Verbündeten Resonanz gefunden; am 22. November 1917 war ein Waffenstillstand geschlossen worden. Da die Westmächte weiterhin Friedensgespräche ablehnten, begannen bereits am 9. Dezember 1917 in Brest-Litowsk Verhandlungen über einen Sonderfrieden. Aufgrund der hohen deutschen Forderungen erwiesen sie sich als außerordentlich schwierig. Nachdem ultimativ die Annahme der deutschen Bedingungen verlangt worden war, unterbrach am 28. Januar 1918 der sowjetische Delegationsleiter Trotzki die Verhandlungen und erklärte zugleich den Kriegszustand für beendet. Mit der Losung »Weder Krieg noch Frieden« hoffte er, dass auch ohne Vertrag die militärischen Aktionen nicht wiederaufleben würden.
 
Die Deutschen und ihre Bündnispartner entschieden sich jedoch nach internen Differenzen für eine Offensive ihrer Truppen, die ihnen erhebliche Gebietsgewinne brachte. Die Spitzen des Sowjetstaates gaben diesem Druck nach. Am 3. März 1918 wurde der Friedensvertrag von Brest-Litowsk unterzeichnet: Der Sowjetstaat erkannte die Ukraine und Finnland als selbstständige Staaten an und verzichtete auf territoriale Ansprüche gegenüber Polen und dem Baltikum, die zum Russischen Reich gehört hatten. Armenien fiel an die Türkei. Dieser »Diktatfrieden« war in seiner Härte mit dem Versailler Vertrag gegenüber Deutschland vergleichbar: Insgesamt verlor der neue Sowjetstaat rund 1,4 Millionen km2 Staatsgebiet mit etwa 60 Millionen Einwohnern. Mit der Ukraine ging die Kornkammer Russlands sowie über 70 % seiner Eisen- und Kohleindustrie verloren.
 
Der Friedensschluss war unter den Bolschewiki heftig umstritten. Neben die Konzeption Trotzkis trat die Forderung der »linken Kommunisten« um Nikolai Bucharin (1888-1938), lieber einen revolutionären Krieg zu führen, als sich den Bedingungen der reaktionären Monarchie zu unterwerfen. Einen solchen Krieg werde die Bevölkerung mit neuem Einsatz unterstützen, zugleich gehe von ihm eine Signalwirkung für die Weltrevolution aus. Lenin und seine Anhänger, die einen Friedensschluss befürworteten, um eine Atempause zur Konsolidierung der Revolution zu erhalten, blieben zunächst in der Minderheit und konnten sich erst unter dem Eindruck des deutschen Vormarsches durchsetzen. Aus Protest gegen den Frieden schieden die linken Sozialrevolutionäre aus der Regierung aus und versuchten im Juli sogar einen Aufstand. Am 30. August verwundete eine Sozialrevolutionärin Lenin bei einem Attentat schwer.
 
Nach der Novemberrevolution in Deutschland erklärte die Sowjetregierung den Vertrag von Brest-Litowsk für ungültig. Eine Atempause hatte er bislang nicht gebracht: Deutschland strebte weiterhin eine Ausdehnung seines Einflusses an, und vor allem verschärfte sich dadurch der Bürgerkrieg. Erstmalig war deutlich geworden, dass die revolutionären Erwartungen nicht ohne weiteres in Erfüllung gingen, sondern Kompromisse und Abstriche notwendig wurden. Die innenpolitische Verhärtung wirkte sich nachteilig auf eine demokratische Entwicklung aus; aus einer Miliz ohne militärische Ränge und mit der Wahl aller Vorgesetzten wurde wieder eine »normale« Armee, und die Außenpolitik musste sich darauf einstellen, dass man statt mit der Weltrevolution noch länger mit traditionellen zwischenstaatlichen Beziehungen zu rechnen hatte.

Universal-Lexikon. 2012.