Wa|rä|ger 〈m. 3〉 Normanne in Osteuropa
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I Waräger,
altnordisch Væringjar ['vɛː-], russisch Varjạgi, Bezeichnung für die vornehmlich aus Schweden stammenden Wikinger, die zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert in Osteuropa bis zum Kaspischen Meer sowie bis Byzanz und zum arabischen Kalifat (Bagdad) v. a. als Händler und Krieger auftraten. Die Bezeichnung findet sich erstmals im Berufungsbericht der »Nestorchronik« für die neben Slawen und anderen Völkerschaften an der Entstehung des altrussischen Reiches (Kiewer Rus) beteiligten Nordleute (»Normannen«), die auch Rus genannt wurden (erstmals in den westfränkischen »Annales Bertiniani« zum Jahr 839); ihre Rolle bei der Gründung des Kiewer Reiches ist in der russischen Geschichtswissenschaft umstritten (Normannisten). In der politischen Geschichte wurden die Waräger v. a. berühmt als Stützen der kaiserlichen Garde in Byzanz (altnordisch Miklagard); in dieser Garde diente auch Harald III., der Strenge, bevor er 1047 norwegischer König wurde.
Brückenköpfe für die wikingische Expansion nach Osten und Südosten bildeten skandinavische Kolonistensiedlungen in Lettland (bei Grobin ab dem 7. Jahrhundert) und am Wolchow (bei Altladoga ab dem 8./9. Jahrhundert sowie bei Holmgard, heute Nowgorod). Als Händler und Kriegergefolgschaften befuhren die Waräger besonders den Dnjepr und die Wolga. Mancherorts ließen sie sich für längere Zeit nieder; das zeigen z. B. Gräberfelder mit skandinavischem Inventar bei Gnesdowo (bei Smolensk). Von ihren ertragreichen Fahrten zeugen neben zahlreichen Texten auf schwedischen Runensteinen u. a. auch einige Runeninschriften im Südosten, so auf einem Stein vom Dnjeprmündungsgebiet, in der Hagia Sophia in Istanbul und auf dem Löwen von Piräus (heute in Venedig). Als Gegenleistung für Sklaven, Pelze u. a. kamen durch die Waräger besonders Gewürze, Honig, Seide und Brokat nach Skandinavien sowie aus Kufa stammende Silbermünzen, die als einschmelzbarer Rohstoff für die Schmuckerzeugung sehr begehrt waren und in großen Mengen in Gräbern und Schätzen bewahrt wurden.
H. R. E. Davidson: The Viking road to Byzantium (London 1976);
Wikinger, W., Normannen. Die Skandinavier u. Europa 800-1200, bearb. v. E. Roesdahl, Ausst.-Kat. Museum für Vor- u. Frühgesch., Berlin (1992).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Wikinger: Im Drachenboot zu fernen Ufern
Kiewer Reich (Rus): Am Weg von den Warägern zu den Griechen
Waräger
Unter den Normannen gingen die schwedischen Wikinger, die später Waräger (»Eidgenossen«) genannt wurden, ihre eigenen Wege. Während bei ihren westlichen Nachbarn, den dänischen und norwegischen Wikingern, zumindest in der Frühphase Raub und Beutemachen im Vordergrund standen, scheint die Expansion der Waräger in den osteuropäischen Raum in erster Linie von handelspolitischen Zielvorstellungen bestimmt gewesen zu sein.
So gingen schwedische Wikinger bereits seit dem 7. Jahrhundert daran, sich den Zugang zur südlichen Ostseeküste von der Odermündung bis Estland zu sichern, wo sie die einheimische slawisch-finnische Bevölkerung unterwarfen und an verkehrstechnisch wichtigen Punkten Handelsstützpunkte (Truso bei Elbing, Grobin bei Libau) gründeten. Von hier aus folgten sie den alten Handelsstraßen entlang den großen Flüssen (Oder, Weichsel, Düna, Dnjepr, Wolga) landeinwärts und gelangten so bis Polen, Böhmen und Schlesien sowie im Osten bis zu den Grenzen des Bulgaren- und Chasarenreiches. Dabei wird das Bestreben deutlich, durch die Errichtung von Stützpunkten an den maßgeblichen Wasserstraßen die Kontrolle über den lukrativen Orienthandel mit Byzanz und Bagdad zu gewinnen.
Nach der Überlieferung der russischen »Nestorchronik« sollen 859 schwedische Wikinger, die (nach der schwedischen Landschaft Roslag/Uppland) als »Rus« bezeichnet wurden, das Land am Ladogasee in Besitz genommen und die einheimische Bevölkerung tributpflichtig gemacht haben. Nachdem sie 862 vertrieben worden waren, sollen die slawisch-finnischen Stämme sie kurze Zeit später wieder zurückgerufen haben. Unter der Führung dreier Brüder, Rurik, Sineus und Truvor, kamen die Rus darauf erneut ins Land und errichteten um Aldeigjuborg (Alt-Ladoga) am Ladogasee, Bjelosersk (zwischen Onega-See und Rybinsk) und Isborsk (bei Pleskau am Peipus-See) drei Herrschaften, die zur Grundlage des späteren russischen Reiches werden sollten. Als Rurik nach dem Tode seiner Brüder deren Herrschaften erbte, verlegte er seine Residenz von Aldeigjuborg nach Nowgorod am Ilmensee.
Inzwischen hatten zwei Gefolgsleute Ruriks, Askold und Dir, Kiew erobert und dort eine weitere warägische Herrschaft gegründet, die unter dem Nachfolger Ruriks, Oleg (870/79-912), mit der nördlichen Herrschaft zum Kiewer Reich unter der Dynastie der Rurikiden (bis 1598) vereinigt wurde.
Universal-Lexikon. 2012.