Stein|schnei|de|kunst 〈f. 7u; unz.〉 Bearbeitung von Edel- u. Halbedelsteinen zu Gemmen u. Kameen; Sy Glyptik (1.1), Steinschnitt
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Stein|schnei|de|kunst, die <o. Pl.>:
Kunst des Gravierens von erhabenen od. vertieften Reliefs in Schmucksteinen.
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Steinschneidekunst,
Steinschnitt, Glỵptik, die Bearbeitung und Verzierung von Steinen sowie Glas durch Gravieren. Verwendung finden seit dem Altertum besonders Varietäten des Chalcedons, v. a. Karneol, Jaspis, Achate, Sarder, Onyx, Sardonyx, sowie die Quarzvarietäten Amethyst und Bergkristall, Quarzit, ferner u. a. Hyazinth (in der Antike Bezeichnung des blauen Saphirs), der harte Smaragd, Lapislazuli, weiche Steine wie Steatit (Speckstein), Serpentin sowie Glas (Glasfluss), Bernstein und auch Muscheln, Korallen u. a. Die Bearbeitung erfolgte mit steinernen Werkzeugen, und zwar zunächst mit Sticheln und Gravurnadeln aus Obsidian sowie mit Schmirgel als Schleifmittel, beides äußerst harte Materialien. Spätestens um 3000 v. Chr. wurde außer Grabstichel und Gravurnadel ein Schleifrädchen verwendet (ebenfalls aus Obsidian), das mit einer Drehspindel (horizontaler Spindelantrieb durch Fiedelbogen) betrieben wurde und so den langwierigen Bearbeitungsvorgang erleichterte. Ähnliche Drillbohrer finden bis heute Verwendung, in Europa aber später mit Fußantrieb (im 20. Jahrhundert als Gravierfräsmaschine). Bei weniger harten Steinen verwendete man (seit dem 2. Jahrtausend v. Chr.) auch Bronze- und (seit dem 1. Jahrtausend v. Chr.) Eisenwerkzeuge, im 20. Jahrhundert Stahl. Schmirgel wurde im 20. Jahrhundert durch synthetischen Korund und Diamantstaub ersetzt. Die Schneidwerkzeuge (»Zeiger«) der Drehspindel beziehungsweise des Drillbohrers haben unterschiedlich geformte Köpfe, sie bestimmen die Art des Schnittes. Der Zeiger läuft »auf Punkt«, das Arbeitsstück wird bewegt. Erzeugnisse der Steinschneidekunst sind v. a. die Gemme (im heutigen Sprachgebrauch im engeren Sinn ein Stein mit vertieftem Bild, italienisch Intaglio) und die Kamee (ein Stein mit erhaben gearbeitetem Bild, italienisch Cameo). Die Bezeichnung Gemme findet - wie in der Antike - auch als Oberbegriff Verwendung (daher auch Gemmoglyptik). Auch in Gefäße aus Stein wurden Reliefs eingetieft (Steingefäße), in der röm. Kunst auch oft große Teile aus Überfangglas in Kameentechnik bearbeitet.
Älteste Beispiele geschnittener Steine sind die Siegel im Alten Orient, in Ägypten (Skarabäus) und im ägäischen Raum. In Uruk und Ur sowie in der minoischen Kunst auf Kreta schnitt man außerdem Reliefs in Steatitgefäße. In der mykenischen Kunst wurden neben Siegelringen auch Steatitmatrizen geschnitten (und in ihnen Glassiegel gegossen). In frühgeometrischer Zeit setzte die Steinschneidekunst in Griechenland wieder ein, aber erst die linsenförmigen »Inselsteine« von Melos (7. Jahrhundert v. Chr.) aus grünlichem Steatit sind von größerer Bedeutung. Im 7. Jahrhundert v. Chr. wurde auch der ägyptische Skarabäus (oder die spezifische Ovalform, der Skarabäoid) übernommen, der dann bei den Phönikern sehr verbreitet war. Es gab viele lokale Werkstätten, z. B. auf Ischia, in denen in beweglicher Bügel gefasste (und damit als Anhänger tragbare) Skarabäen und andere Siegel seit der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr. nachzuweisen sind; sie spielten als kostbare Schmuckstücke auch in der etruskischen Kunst des 6.-3. Jahrhunderts v. Chr. eine wichtige Rolle. In der klassischen griechischen Kunst hatte die Steinschneidekunst ebenfalls hohen Rang, und verschiedene Gemmenschneider sind aus Signaturen namentlich bekannt, z. B. Dexamenos von Chios (5. Jahrhundert) und Olympios (4. Jahrhundert). Griechische Gemmenschneider arbeiteten auch im achaimenidischen Reich, in den hellenistischen Reichen und schließlich in Rom. Seit dem 4./3. Jahrhundert v. Chr. wurden farbig verschiedenschichtige Lagensteine (v. a. Sardonyx) von starker Leuchtkraft in Kameenschnitt bearbeitet (z. B. Tazza Farnese; Neapel, Museo Archeologico Nazionale) und von etwa 25 v. Chr. bis 50/60 n. Chr. in Ägypten und Rom auch Schaustücke aus Kameoglas (blaues Glas mit weißem Überfang) hergestellt (Gemma Augustea; Portlandvase; Portlanddiskus). In der röm. Kaiserzeit entstanden zahlreiche Ringsteine (Siegel) und Schmucksteine in Kameentechnik (zum Teil mit Signaturen der Gemmenschneider). Neben die mythologische Themen trat das Porträt, besonders das Kaiserporträt (Cameo Gonzaga; Sankt Petersburg, Eremitage). Im 3. und 4. Jahrhundert n. Chr. gravierte man auch geblasene Gläser mit dem Schleifrad. In der byzantinischen Kunst belebten neue Motivkreise die Steinschneidekunst wieder (Kameen aus Onyx oder Heliotrop mit Christus- oder Heiligendarstellungen).
Im Mittelalter wurden antike Gemmen wie Edelsteine für kostbare Bucheinbände, Schreine, Kreuze und kirchliches Gerät, Diademe und Kronen wieder verwendet. Eigene Gemmen stellte man - abgesehen von karolingischen Arbeiten (Bergkristallschnitt) - erst seit dem 13. Jahrhundert, angeregt von byzantinischer Steinschneidekunst, her, besonders in Burgund. In der Renaissance entstand in Italien eine neue Steinschneidekunst (sowohl Intaglien als auch Kameen); Zentren waren Florenz, Rom und Venedig. Von dort ging die Diamantgravur für Gläser (Pokale u. Ä.) aus, die dann v. a. in den Niederlanden gepflegt wurde. In der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts entwickelte sich Mailand zum Produktionszentrum für Prunkgefäße aus Bergkristall, die seit Ende des 16. Jahrhunderts für zahlreiche fürstliche Schatzkammern gearbeitet wurden. Insbesondere war der Hof Rudolfs II. in Prag ein Zentrum der Steinschneidekunst; für das 17. Jahrhundert ist auch Deutschland zu nennen, v. a. der Hof in Kassel unter Landgraf Karl von Hessen-Kassel. Im 18. und 19. Jahrhundert entstanden klassizistische kleine Bildniskameen nach antikem Vorbild; sie wurden kostbar gefasst oder als Intarsien verwendet (z. B. auf den Deckeln kleiner Dosen, als Briefbeschwerer). In Italien kamen im 18. Jahrhundert Kameen aus Muscheln und Lava in Mode. Die Herstellung gravierter Gläser (Kameenglas) wurde im 19. Jahrhundert in deutsch-böhmischen Glaszentren wieder belebt. In England entwickelte man 1674 Bleikristallglas (Bleiglas), das sich für Glasschnitt eignete; es beherrschte im 18. Jahrhundert auch den kontinentalen Markt. Der Jugendstil erneuerte auch die Steinschneidekunst, C. Fabergé ließ seine Gravuren und Achatarbeiten in Idar-Oberstein arbeiten, das bis heute Zentrum der Edelsteinglyptik ist.
In der islamischen Kunst entstanden geschnittene Bergkristallgefäße und Glasgefäße (aus einer opak-milchigen Glasmasse) seit dem 9. Jahrhundert (Bagdad, Basra und Samarra in Irak sowie Nischapur und Samarkand in Persien). Gelbliches Schnittglas ist wohl als byzantinisch oder russisch anzusehen (Hedwigsgläser). Kostbare Bergkristallkannen aus dem fatimidischen Ägypten befinden sich in Paris (Louvre), Venedig (Schatz der Markuskirche) und London (Victoria and Albert Museum). Die islamischen Glaskünstler haben wahrscheinlich sassanidische Traditionen aufgegriffen.
E. Kris: Meister u. Meisterwerke der S. in der ital. Renaissance, 2 Bde. (Wien 1929, Nachdr. in 1 Bd. ebd. 1979);
K. J. Lamm: Mittelalterl. Gläser u. Steinschnittarbeiten aus dem nahen Osten, 2 Bde. (1929-30);
M.-L. Vollenweider: Die S. u. ihre Künstler in spätrepublikan. u. augusteischer Zeit (1966);
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Weitere Literatur: Siegel.
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Stein|schnei|de|kunst, die <o. Pl.>: Kunst des Gravierens von erhabenen od. vertieften Reliefs in Schmucksteinen; ↑Glyptik (1).
Universal-Lexikon. 2012.