Emser Depesche
Die öffentliche Meinung in Frankreich hatte den raschen Sieg Preußens über Österreich 1866 bei Königgrätz-Sadowa (Deutscher Krieg) wie eine französische Niederlage empfunden. Die schnell zustande gekommene Friedensregelung zwischen den beiden deutschen Großmächten hatte es Napoleon III. unmöglich gemacht, als Vermittler tätig zu werden und als »Kompensation« linksrheinische Gebiete für Frankreich zu fordern. Sein Versuch, über den König von Holland das Großherzogtum Luxemburg zu erhalten, scheiterte am internationalen Einspruch. Nachdem die Luxemburg-Krise eine Zeit lang den Krieg zwischen Frankreich und Preußen/Deutschland in greifbare Nähe gerückt hatte, wurde auf der Londoner Konferenz vom 7. bis 11. Mai 1867 die Unabhängigkeit und Neutralität Luxemburgs von den Großmächten gemeinsam garantiert.
Die Beziehungen zwischen Frankreich und Preußen bzw. dem Norddeutschen Bund blieben weiterhin gespannt. Frankreich suchte durch Bündnisverhandlungen mit Österreich und Italien Preußen einzukreisen. Erheblich verschärft wurde die politische Situation, als 1869 und nochmals 1870 der katholischen Linie Hohenzollern-Sigmaringen die spanische Königskrone angeboten wurde. Bismarck erkannte in dem sich zuspitzenden Konflikt eine Chance, die französisch-österreichischen Bündnisverhandlungen zu hintertreiben, und setzte die Annahme der spanischen Krone durch Erbprinz Leopold durch. Anfang Juli 1870 wurde dies bekannt und ließ die französisch-preußischen Spannungen wachsen. Um die Krise nicht weiter zu verschärfen, verzichtete die Familie Hohenzollern-Sigmaringen nach Abstimmung mit dem preußischen König schließlich auf die Thronkandidatur. Frankreich verlangte nun jedoch von König Wilhelm I. eine Garantie für den Verzicht des Hauses Hohenzollern auf die Krone Spaniens für alle Zeiten. Der preußische König wies den französischen Botschafter Benedetti ab, der ihn in Bad Ems wiederholt zu einer definitiven Aussage drängte, und verweigerte eine weitere Unterredung.
Telegrafisch teilte er diese Vorgänge Bismarck mit und überließ es ihm, die Presse »in geeigneter Form« zu unterrichten. Bismarck veröffentlichte diese »Emser Depesche« in stark verkürzter Form und stellte damit die französische Regierung mit ihren überzogenen Forderungen vor aller Welt bloß. Mit der Veröffentlichung der Emser Depesche veränderte sich die psychologische Situation in Deutschland grundlegend. Die öffentliche Meinung sah die Vorgänge nicht mehr als ein dynastisches Gerangel an, sondern als eine alle Deutschen erfassende nationale Angelegenheit. Die französische Regierung musste unter dem Druck der aufgebrachten Stimmung im eigenen Land mobilmachen und erklärte am 19. Juli 1870 Preußen den Krieg. Aber es wurde ein Krieg gegen das ganze Deutschland, weil mit der französischen Kriegserklärung für die süddeutschen Staaten der »casus belli« gegeben war und die 1866 mit Preußen geschlossenen Bündnisverträge in Kraft traten.
Ẹmser Depẹsche,
von H. Abeken verfasster Telegrammbericht vom 13. 7. 1870 aus Bad Ems, mit dem er den Kanzler O. von Bismarck über eine Unterredung König Wilhelms I. von Preußen mit dem französischen Gesandten V. Graf Benedetti über die französische Forderung nach einem Verzicht auf die hohenzollernsche Thronkandidatur in Spanien unterrichtete. In dem von Bismarck zur Veröffentlichung gebrachten, gekürzten und redigierten Text erhielt das Auftreten des französischen Gesandten einen ultimativen Charakter. Zugleich stellte die Veröffentlichung die französische Diplomatie bloß, die nach dem Verzicht von Erbprinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen auf eine Thronkandidatur in Spanien eine garantierte preußische Verzichterklärung hinsichtlich weiterer Thronkandidaturen forderte. Das Vorgehen Bismarcks stellte nach damaligem diplomatischen Verständnis eine ernste Brüskierung Frankreichs dar und zog, auch wegen der seit längerem gespannten Beziehungen zwischen beiden Staaten, die Kriegserklärung Frankreichs (19. 7. 1870 Deutsch-Französischer Krieg 1870/71) nach sich.
E. Kolb: Der Kriegsausbruch 1870 (1970);
Europa u. die Reichsgründung. Preußen-Dtl. in der Sicht der großen europ. Mächte 1860-1880, hg. v. E. Kolb: (1980).
Universal-Lexikon. 2012.